Silvio Meißner hat mit dem VfB Stuttgart in der Champions League gespielt – zehn Jahre nach seinem Karriereende kümmert er sich darum, dass Menschen, die nicht mehr mobil sind, Unterstützung im Alltag bekommen. FORUM hat ihn bei seinem neuen Job besucht.
Mehr als ein halbes Jahr ist es her, da schreitet Thomas Hitzlsperger an einem bitterkalten Februartag zur Tat. Als neuer Sportvorstand solle er den Bundesligisten VfB Stuttgart, mit dem er zwölf Jahre zuvor Deutscher Meister geworden war, vor dem Abstieg retten. Mal richtig aufräumen, das soll fortan seine neue Aufgabe sein. Und ganz Fußballdeutschland blickt auf den smarten Mittelfeldspieler mit dem strammen Schuss, der nicht nur in Stuttgart einen guten Ruf genießt. Und nun der nächste Schritt: Hitzlsperger ist zum Vorstandsvorsitzenden der Fußball-AG aufgestiegen und mit 37 Jahren verantwortlich für rund 200 Mitarbeiter.
220 Kilometer weiter westlich schreitet zum selben Zeitpunkt eine weitere Stuttgarter Vereinslegende zur Tat. Doch Silvio Meißner, einst gemeinsam mit Hitzlsperger Deutscher Meister geworden, versteht darunter etwas anderes. Im Frühling dieses Jahres sieht das so aus: Im Haushalt einer iranischen Familie putzt er in zwei Stunden die Wohnung blitzblank. „Das sind supernette Leute, die Mutter hat sich den Knöchel gebrochen, sitzt im Rollstuhl und braucht jetzt eben eine Haushaltshilfe", sagt Silvio Meißner und lächelt, als könne er sich in diesem Moment nichts Schöneres vorstellen, als fremde Wohnungen zu putzen. Zwar ist das nur eine seltene Ausnahme in seinem neuen Job, tatsächlich scheint der ehemalige Abräumer des VfB aber eine Berufung darin gefunden zu haben, nach der aktiven Karriere in den Wohnungen anderer abzuräumen, zwölf Jahre nachdem er in der Champions League im Camp Nou gegen den FC Barcelona spielte. Sein Plan sieht vor, dass er nur dann hilft, wenn Not am Mann ist. Denn Meißner ist der Chef des Saarbrücker Ablegers der Alltagsbegleiter. Jens Krieger, ebenfalls ehemaliger Fußballspieler beim 1. FC Kaiserslautern, gründete das Unternehmen in der Pfalz, mit dem er Menschen unterstützt, die Hilfe im Alltag brauchen. Sei es eben, weil sie wegen einer Verletzung nicht putzen können, sei es, weil sie gebrechlich oder krank sind und einfach nur jemanden benötigen, der sie zum Einkaufen fährt. Statt auf dem Trainingsplatz zu stehen oder in der Geschäftsstelle eines Fußballvereins zu sitzen, ist er morgens um halb neun im Büro in der Altstadt und plant die Tagesabläufe. Inzwischen hat er zwei Helferinnen, die ihm die Büroarbeit abnehmen. Birgit und Sandra sind zwei der 20 Mitarbeiter, für die Meißner heute die Verantwortung trägt. Während die Frauen das Büro schmeißen, führt der Ex-Kicker vor allem Erstgespräche mit Menschen, die Hilfe benötigen, spricht mit Angehörigen und klärt, ob der Auftrag über die Krankenkasse läuft oder ob die Klienten privat zahlen.
Meißners Frau, eine Saarländerin, die sich in der Gesundheitsbranche auskennt, gab Krieger Tipps, was er in der Zusammenarbeit mit Krankenkassen beachten muss. Menschen mit Pflegegrad eins erhalten etwa einen Bonus durch ihre Kasse in Höhe von 125 Euro. Bei einem Treffen in Saarbrücken kam Silvio Meißner auf die Idee, einen Ableger in der Landeshauptstadt zu gründen. „Das ist eine riesige Marktlücke", sagt er. „Es gibt im Saarland rund 20.000 Menschen, die den Pflegegrad eins haben. So viele Menschen können bislang gar nicht Unterstützung bekommen." Er will dort helfen, wo die reinen Pflegedienste an ihre Kapazitätsgrenzen kommen und zumindest ein paar Menschen unterstützen, die sonst auf dem Trockenen sitzen würden. Auch dort, wo bereits mobile Pflegedienste im Einsatz sind, könnten die Alltagsbegleiter helfen, denn mit der Pflege selbst haben sie nichts zu tun.
Der Sinn der Arbeit gefällt ihm
Der Wechsel vom gefeierten Fußballstar in die soziale Arbeit ist Silvio Meißner leichtgefallen, sagt er. „Natürlich ist das schon ein krasser Schritt. Ich hätte mir das niemals träumen lassen, aber es ist interessant, macht Spaß, und du kannst Leuten helfen." Es ist der Sinn seiner neuen Arbeit, die ihm so gefällt. Einen Sinn, den er im Sportbusiness so nicht mehr gesehen hat. „Ich habe Hitz mal geschrieben und ihm viel Erfolg gewünscht", sagt er, „aber ansonsten habe ich mich extrem zurückgehalten." Nach dem Karriereende 2008 stieg der bodenständige Defensivspieler in einer schwäbischen Spielerberatungsagentur ein. Den Porsche, den er –
wie es ein Fußballer eben so macht – gefahren hatte, gab er vorzeitig an den Leasinggeber zurück. „Du musst es nach der Karriere schaffen, ein bisschen normaler im Leben zu werden", sagt er, denn „das Leben nach dem Fußball dauert länger als das Leben im Fußball."
Seinen alten Teamkameraden Thomas Hitzlsperger beneidet er auch deshalb nicht um dessen neuen Job als Vorstandsvorsitzender in Personalunion mit dem Sportvorstand. „Ich glaube, dass der Job schwierig ist", sagt Meißner. „Du stehst in der Öffentlichkeit. Wenn es gut läuft, jubeln alle. Aber wenn es nicht so läuft, ist der Trainer oder der Manager dran, der irgendwann gehen muss." Er vergleicht die Position mit einem Karussell: „Du bist in einem Jahr drin, dann bist du raus, dann bist du wieder drin. Das wäre, glaube ich, nichts für mich gewesen." Auch ein normales Familienleben hätte er nach der Karriere in einer Funktion bei einem Verein nicht gehabt. Am Wochenende auf Spielen, ständig auf Achse, das wollte Meißner nicht mehr. „Als Fußballer selbst war mein Leben schon von Montag bis Sonntag durchgetaktet, außer vielleicht vier Wochen im Jahr, in denen du Urlaub hattest."
Nun ist er glücklich in Saarbrücken. Das Büro der Alltagsbegleiter ist von neun bis 15 Uhr geöffnet, danach schließt der Chef die Tür hinter sich und hat den restlichen Tag für seine Familie, die sich auf ihn freut. Früher wäre das undenkbar gewesen – ebenso wie Einkaufen, ohne auf Fans zu treffen. „Ich bin ganz froh drum, dass mich hier kaum jemand kennt", sagt er und lacht. „In Stuttgart war es so: Egal, ob du abends essen gehst, irgendwo unterwegs bist oder einkaufst, die Leute kommen ständig und wollen mit dir über Fußball reden." Das Privatleben blieb damals auf der Strecke, heute genießt er es in vollen Zügen. „Überhaupt gefällt es mir im Saarland sehr gut. Hier ist alles so familiär, jeder kennt jeden, man kann immer zu jemandem gehen, wenn man Hilfe braucht."
Keine Lust auf Fußball-Karussell
Ganz ohne Fußball geht es dann aber doch nicht. Ein paar Spieler berät Meißner nach wie vor, für den VfB Stuttgart ist er auf Legendenspielen im Einsatz und macht die eine oder andere Botschaftertätigkeit. Und beim Saarbrücker Vorortverein Herrensohr spielt er in der Altherrenmannschaft. „Du musst auch nach der aktiven Karriere Sport machen, sonst würde ich jetzt weiter vom Tisch weg sitzen", sagt er und lacht. In seinem neuen Verein mussten sie sich erst mal daran gewöhnen, dass da jetzt einer kommt, der den größten Teil seines Lebens nichts anderes gemacht hat, als Fußball zu spielen. Als die Mannschaft nach ein paar aktiven Einsätzen in Derbys plötzlich mit 7:0 gewann, blieb er fair und zog sich doch lieber in die Freizeittruppe zurück. Denn wenn Silvio Meißner kickt, dann richtig. Schon als Profi hat ihn seine Einstellung von vielen anderen unterschieden. Dass es nur wenig Spieler gibt, die mit Mentalität vorangehen, stört ihn am modernen Fußball: „Heute macht jeder sein Ding und versucht, gut dazustehen mit Facebook, Twitter und Instagram", sagt er. „Es ist wichtiger, ein tolles Foto zu haben, als am Wochenende auf dem Platz mal einen wegzugrätschen." Zudem hätte der Fußball sich zwar in Sachen Geschwindigkeit zum Positiven entwickelt, zuzuschauen finde er beim ständigen taktischen Verschieben aber nicht mehr so spannend.
Und dann ist da noch die Moral der Branche: „Es ist doch schade, dass da jeden Tag Millionen über den Tisch gehen, aber für den guten Zweck kaum etwas davon abspringt", ärgert sich Meißner, der deshalb so oft es geht an Benefizspielen teilnimmt. „Solche Sachen sind gut, aber da passiert zu wenig." Auch deshalb geht er mit gutem Beispiel voran. Seine Alltagsbegleiter sollen der Gesellschaft etwas zurückgeben. Und dafür packt Meißner auch gern selbst mal mit an.