Im Historischen Museum Saar beleuchtet die Ausstellung „Die 20er Jahre – Leben zwischen Tradition und Moderne im internationalen Saargebiet" eine spannende Zeitstrecke mit aussagekräftigen Objekten und Medieninstallationen.
Die wilden 20er-Jahre mit Nachtclubs, Charlestontänzern und zigaretterauchenden Frauen – gab es das auch im damaligen Saargebiet, dem heutigen Saarland? Trauten sich auch im eher ländlich angehauchten Industriegebiet an der Saar die Frauen, Bubikopf und kurze Röcke zu tragen? Und posierten im Land der Hütten und Gruben die Männer in Lederjacken vor chromblitzenden Motorrädern?
Die Antwort ist eindeutig: „Ja!" Auch an der Saar wurde der Muff des Kaiserreiches abgeschüttelt, die Steifheit der Korsagen abgestreift, die Leiden des Ersten Weltkriegs verdrängt und die Lust am Leben zelebriert.
Wenn auch nicht ganz so lasziv, wie es die Fernsehserie „Babylon Berlin" jüngst in den Fokus der Zuschauer gestellt hat. Aber ein bisschen „Babylon" war auch an der Saar. Das lassen zumindest die Exponate aus den 1920er-Jahren aus Eigenbeständen, Museen, Galerien, Privatsammlungen und Vereinsarchiven erahnen, die das Historische Museum Saar am Saarbrücker Schlossplatz in seiner aktuellen Ausstellung zusammengetragen hat.
Unter dem Titel „Die 20er Jahre – Leben zwischen Tradition und Moderne im internationalen Saargebiet" beleuchten Museumsdirektor Simon Matzerath und sein Team um Kuratorin Jessica Siebeneich vor allem das alltägliche Leben im Saargebiet, das nach dem Ersten Weltkrieg im Zuge des Versailler Vertrags aus dem Kaiserreich herausgeschält und unter die internationale Verwaltung des Völkerbundes gestellt wurde. Zum Einsatz kommen hierbei neben den Exponaten von Kleidern, Elektrogeräten und Werbeschildern auch viele digitale Medien und interaktive Stationen, die das Gezeigte lebendig, spannend und unterhaltsam aufbereiten.
Französischer Einfluss der Besatzungszeit
Die Ausstellung zeigt, dass das Saargebiet von 1920 bis 1935 zwar einen politischen Sonderweg einschlug, getrennt von der Weimarer Republik, aber die Menschen im Großen und Ganzen eine ähnliche Dynamik im Alltags-, Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsleben entwickelten wie „im Reich". Manche Eigenheiten lassen sich durch den starken französischen Einfluss der Besatzungszeit erklären.
Lediglich gestreift werden die bereits gut erforschte politische Geschichte rund um die Besatzungszeit, die französische Grubenverwaltung und der Abstimmungskampf 1935. „Damit tragen wir den Besuchern Rechnung, die in der saarländischen Geschichte nicht so beheimatet sind", erklärt Siebeneich die Zielrichtung der Ausstellung. „Denn unseren Fokus haben wir auf Themen wie Mobilität und Elektrifizierung, Stadtentwicklung, Mode, moderne Formen der Werbung, Freizeitgestaltung mit Musik, Kino, Cafés und Ausflugszielen sowie die „Neue Frau" zwischen Realität und Mythos gelegt. Wobei wir auch soziale Probleme wie Armut und Arbeitslosigkeit nicht aussparen."
Und das alles wird eingebunden in eine Flaniermeile, die mit simuliertem Tag-Nacht-Wechsel dem Besucher das Gefühl vermittelt, er spaziere über die Bahnhofstraße, blicke in die Schaufenster des Passagekaufhauses, lese die Reklame für Waschmittel und Vereinsfest auf Litfaß-Säulen, und schaue in Cafés und Tanzbars.
Der erste Blick des Besuchers wird von zwei Motorrädern und zwei Fahrrädern angezogen. „Wer hätte gedacht, dass es im Saargebiet 1931 bereits über 17.000 Fahrzeuge gab, davon waren die Hälfte in Saarbrücken zugelassen. Damit hatte die Stadt einen höheren Motorisierungsgrad als Berlin, Düsseldorf, Frankfurt oder Hamburg im Vergleich zur Einwohnerzahl", erzählt Kuratorin Siebeneich. Die Mobilität nahm im Saargebiet dank der Wirtschafts- und Zollunion mit Frankreich stark zu. Französische Automarken wie Renault und Citroën beherrschten den Markt. Unzählige Fotos zeigen, wie stolz die Bürger auf ihre Motorräder oder Autos waren, sie ließen sich gern in Hut und Mantel vor den Fahrzeugen fotografieren.
„Auch in puncto Mode legten saarländische Frauen ähnlich viel Chic und Stil-Sicherheit wie ihre Kolleginnen im Reich an den Tag", erklärt Siebeneich. „Sie konnten schließlich direkt französische Bezugsquellen nutzen." So zeigte die moderne Frau gern Knie, trug Kostüme und Pumps, die im Saargebiet direkt aus Paris angeliefert wurden, und rauchte in der Öffentlichkeit. Und das nicht nur in Saarbrücken in der Bahnhofstraße, sondern auch auf dem Dorf, wie Fotos aus Fechingen oder Merchweiler zeigen.
Die Kinofilme der 20er-Jahre sind zu entdecken
Ein perlenbesticktes Abendkleid einer Saarbrückerin wird die Fantasie der Besucher beflügeln. Vor dem inneren Auge sieht man die Trägerin, wie sie sich mit einer langen Perlenkette um den Hals, angewinkeltem Bein und einem Zigarettenhalter verführerisch an einen Barhocker lehnt. In einer hinreißenden Videoanimation wird dem Besucher Schritt für Schritt demonstriert, wie man Charleston tanzt. Daran schließen sich farbenfrohe Zeichnungen an, die der Wandgestaltung des legendären Hotels Monopol nachempfunden sind.
Neben diesen typischen Klischees der „wilden 20er" lenkt die Ausstellung den Blick des Betrachters auf die Arbeitswelt, in der die Frau nicht mehr nur Mutter und Hausfrau war, sondern wie sie handtascheschwingend kurzberockt in die Straßenbahn springt und ins Büro eilt, wo sie als Sekretärin, Kontoristin oder Stenotypistin arbeitet. „Wobei im Saargebiet die meisten Frauen in den traditionellen Rollenstrukturen verhaftet blieben und lediglich die modischen Attribute der ‚neuen Frau‘ übernahmen", räumt Siebeneich mit dem Mythos auf.
Unter die Haut gehen die Dokumentationen über die zunehmende Verarmung vieler Familien durch die explodierende Arbeitslosigkeit sowie die Not vieler Frauen, die ohne Arzt selbst Abtreibungen vornahmen. Der Kinofilm „Kreuzzug des Weibes" aus dem Jahre 1926 prangert die Kriminalisierung der betroffenen Frauen an und ist heute aktuell wie damals. Überhaupt verleihen die zusammengetragenen Kinofilme und die Art, wie der Zuschauer sie sich digital erschließen kann, einen ganz besonderen Anreiz zum Besuch der Ausstellung. Da wird so manches Cineasten-Herz höherschlagen.