Die Zahl der Substitutionsmediziner im Saarland nimmt ab, zugleich ist die der Suchterkrankten konstant hoch. Gründe für diesen Trend gibt es viele, aber gibt es auch Lösungen?
Drogensucht. Keiner spricht gerne davon, denn niemand möchte es wirklich hören. In den Köpfen der Gesellschaft ist eine Drogenabhängigkeit nur selten eine Krankheit, viel mehr hat sie für viele etwas mit Kriminalität zu tun. Es gibt ein ziemlich klares Bild im Kopf. Doch wie viel Realität steckt hinter diesem Stigma?
Unbestreitbar ist die Zahl der Drogentoten auf einem konstant hohen Niveau – auch im Saarland. Allein in diesem Jahr hat das kleine Bundesland mindestens 31 bestätigte Todesfälle durch Drogenmissbrauch zu verzeichnen. 1.480 Süchtige werden hier geschätzt. Im gesamten Bundesgebiet sind Schätzungen zufolge deutlich über 160.000 Menschen von einer Abhängigkeit betroffen – die meisten sind männlich. Das Durchschnittsalter hat sich in den vergangenen Jahren erhöht und liegt inzwischen bei etwa 40 bis 45 Jahren.
Etwa 700 suchterkrankte Saarländer befinden sich in einer sogenannten Substitutionstherapie. Doch die Zahl der Substitutionsmediziner ist rückläufig. Dr. Béatrice Gospodinov ist eine von ihnen. „Wir altern mit unseren Patienten", erklärt sie den bundesweiten Rückgang. Die derzeit behandelnden Ärzte werden immer älter, und der Nachwuchs bleibt aus. Dies liegt laut Béatrice Gospodinov unter anderem daran, dass die Behandlung von Drogenabhängigen oft mit großer Anstrengung verbunden sei, die die meisten Ärzte nicht leisten können oder wollen: „Der Zeitaufwand und die Anstrengung stehen in keinem Verhältnis zu den aktuellen Kassensätzen." Das heißt schlicht: Die Honorare sind im Vergleich zu niedrig. Dazu komme die Komplexität des Betäubungsmittelgesetzes, an dessen Umsetzung sich nur wenige Ärzte trauten.
Chronische Erkrankung versus Kriminalisierung
Im Saarland behandeln zurzeit gerade einmal 14 Ärzte drogenabhängige Patienten. „Pro Quartal habe ich etwa 100 Patienten in der Substitution", berichtet Gospodinov. Die unausweichliche Folge dieses Rückgangs ist in ihren Augen die Schaffung großer Substitutionsambulanzen. Das Manko: Sozialisierung ist in solchen Praxen kaum noch möglich, denn die Suchtkranken treffen dort nur auf andere Suchtkranke. Dabei ist es der Ärztin besonders wichtig, Erkrankte in die Gesellschaft zu integrieren. Das fängt bereits damit an, dass die Patienten mit allen weiteren im gleichen Zimmer auf ihre Behandlung warten. „Wir haben selten Probleme damit", versichert sie jedoch.
Die substitutionsgestützte Therapie wird in Deutschland seit 1993 praktiziert. Sie ist neben der klassischen Entzugsbehandlung die zweite Therapie-Option bei einer Sucht. In der Regel gilt ein Patient, der sich in Substitution begibt, als langzeitabhängig, konsumiert also seit mehr als zwei Jahren regelmäßig Drogen. Viele haben zuvor einen Entzug versucht, diesen aber aus unterschiedlichsten Gründen abgebrochen. Oder sie wurden rückfällig. Zu Beginn einer substitutionsgestützten Therapie wird der Patient auf weitere Krankheiten untersucht und schließlich auf ein geeignetes Ersatzmedikament eingestellt. Dies kann je nach Umständen Levomethadon, Methadon oder Buprenorphin sein. Die Medikamente werden zu Beginn der Behandlung täglich unter Beaufsichtigung des behandelnden Arztes eingenommen. In regelmäßigen Abständen wird in Form von Blut- oder Urinuntersuchungen nachgeprüft, ob es zu Rückfällen oder Ähnlichem kam. Wenn die Therapie angelaufen ist, dürfen die Substituierten ihre Medikamente bis zu einem Monat lang auch mit nach Hause nehmen.
„Wir haben eine sehr enge Verbindung zu unseren Patienten", sagt Gospodinov. „Oftmals sind wir auch die einzige Familie, die sie haben." Daher würde die Ärztin einen Patienten niemals wegen eines Rückfalls verurteilen. „Wir müssen erst einmal nach den Ursachen für den Rückfall forschen", sagt die Medizinerin. Häufig seien es private Probleme, die die Welt des Substituierten wieder derart erschütterten, dass er erneut zu Drogen greife.
Besonders wichtig sei daher auch die psychische Betreuung. Etwa 75 Prozent der Menschen mit einer Opiatabhängigkeit leiden an einer psychischen Erkrankung, die auch oft für die Abhängigkeit mitverantwortlich ist. So erging es auch Gregor S., der nach langjährigem Missbrauch durch seinen Onkel mit 17 Jahren das erste Mal zur Spritze griff. Nach mehr als 15 Jahren der Sucht entschloss sich der junge Mann dazu, eine Therapie zu beginnen. Gregor S. schloss seine Substitution vor etwa einem halben Jahr ab – ein langer Weg, der von vielen Rückschlägen gekennzeichnet war. Inzwischen lebt der 34-Jährige mit seiner Ehefrau und der gemeinsamen Tochter in einer kleinen Wohnung in einem Saarbrücker Vorort. „Es war schwer, aber ich habe für meine Tochter durchgehalten", erzählt er stolz. Gregor S. litt neben seiner Sucht insbesondere auch an der Kriminalisierung seiner Krankheit: „Ich habe versucht, einen Job zu finden, aber niemand wollte mit jemandem wie mir arbeiten. Als ich mich einem Bekannten anvertrauen wollte, beschimpfte er mich, dass er nichts mit einem Kriminellen zu tun haben will." Der gelernte Automobilmechaniker lebt zwar drogenfrei, doch das Stigma haftet noch immer an ihm: „Selbst jetzt wird noch über mich geredet. Meiner Frau haben sie gesagt, sie soll sich trennen. Mein neuer Arbeitgeber bekam Anrufe, ob er weiß, was er sich in die Firma holt."
Dieses Verhalten ist keine Seltenheit. „Substitutionspatienten sind in der Regel nicht gerne gesehen", erzählt Gospodinov. „Das Problem ist, dass die allgemeine Bevölkerung Sucht noch immer für eine Persönlichkeitsschwäche hält, nicht für eine Erkrankung."
Viele Süchtige leiden an psychischen Krankheiten
Eine Substitution verläuft so gut wie nie gradlinig. Oft kommt es zu Rückfällen, manches Mal sogar zu einem kompletten Abbruch der Behandlung – durch Arzt oder Patient. Zudem sei es auch nicht unüblich, dass ein Patient ein Leben lang substituiert werden muss. Die anfängliche Scheu von Ärzten gegenüber dieser Methode, sagt die Medizinerin, hätte dazu geführt, dass viele kurzweilig substituierte Menschen später wieder rückfällig wurden. „Man würde nie aufhören, einem Zuckerkranken Insulin zu geben – so ähnlich muss man sich das auch hier vorstellen", vergleicht sie. „Sucht ist eine chronische Erkrankung."
Zwar habe eine Gesetzesänderung im vorigen Jahr die Auflagen an eine Substitutionstherapie gelockert, doch seien diese noch immer sehr strikt. Zu viel bürokratischer Aufwand und zu wenig Handlungsfreiheit seien den substituierenden Ärzten gegeben.
Ein wichtiger Schritt war auch die Änderung der Druckraumverordnung im vergangenen Jahr, durch welche es Substituierten erlaubt wurde, das Drogenhilfezentrum (DHZ) in Saarbrücken und dessen Konsumraum aufzusuchen. Mit der Gesetzesänderung war eine deutliche Intensivierung der Zusammenarbeit mit den substituierenden Ärzten und der psychosozialen Betreuung einhergegangen.
Das Drogenhilfezentrum bietet umfassende Hilfsangebote zur Risikominimierung sowie Ausstiegsberatungen oder gesundheitliche wie auch soziale Betreuung – alles auf der Basis der Akzeptanzorientierung. „Wir sind seit Beginn dieses Jahres auch im Qualitätszirkel Substitution und treffen uns dort regelmäßig mit Substitutionsärzten und der psychosozialen Betreuung", berichtet Peter Becker, Geschäftsführer des DHZ. Zwischen dem Team und den Besuchen herrscht ein enges Vertrauensverhältnis. Peter Becker ist es daher wichtig, diese nicht abzuschieben: „Wir begleiten sie auf dem Weg in die Substitution und lassen sie nicht alleine."
Täglich besuchen bis zu 100 Personen das Zentrum in der Brauerstraße. Viele täglich, manche nur ab und zu. Becker betont: „Es sind nicht nur Menschen aus sozialen Brennpunkten. Wir haben hier beispielsweise auch die Krankenschwester, den Pädagogen oder den Schreiner. Niemand von uns ist vor einer Suchterkrankung gefeit. Das ist eine Entscheidung eines Sekundenbruchteils."
Gesellschaftlich oft sehr umstritten ist neben dem Konsum- beziehungsweise Druckraum auch der kostenlose 1:1-Spritzentausch auf dem Gelände des Zentrums. „Neben der für uns im Vordergrund stehenden Vermeidung von Infektionen hat der Tausch auch einen ordnungspolitischen Aspekt, der allen Bürgern zugutekommt", erklärt Peter Becker. Auch wenn es durchschnittlich pro Woche mindestens einmal zu einem durch eine Überdosis bedingten Zwischenfall kommt, sei in den 27 Jahren seit Gründung des Zentrums noch nie jemand dort gestorben. Durch das Ende 2017 gestartete Naloxon-Projekt gelinge es jetzt auch, den suchtkranken Menschen bei einer Überdosis außerhalb des Zentrums zu helfen. Das Medikament wird in die Nase gespritzt und sorgt dafür, dass die Atmung des Betroffenen wieder einsetzt. Die Besucher des Zentrums lernen nicht nur, wie sie als medizinische Laien das Medikament im Notfall anwenden, sondern haben zudem die Möglichkeit, den Opiatantagonist als Erste-Hilfe-Kit mit nach Hause zu nehmen. „Seit dem Start haben acht Klienten das Medikament erfolgreich angewendet und ihrem Freund möglicherweise das Leben gerettet. Jeder einzelne Mensch, der mithilfe von Naloxon überlebt oder der es sogar schafft, aus der Sucht herauszukommen, ist für uns ein Riesenerfolg", sagt der Geschäftsführer und ehemalige Polizeibeamte.
„Das ist ein Lobbyproblem"
Ein großes Interesse an der Thematik Drogenabhängigkeit, insbesondere vonseiten der Politik, schien in den vergangenen Jahrzehnten außerhalb der Frage, ob man Cannabis legalisieren sollte, auszubleiben. „Das ist ein Lobbyproblem – wer interessiert sich schon für Drogensüchtige?", beklagt Dr. Gospodinov. Umso erfreulicher sei es, dass mit dem Landesdrogenbeauftragten und Gesundheitsstaatssekretär Stephan Kolling nun ein offenes Ohr für diese Belange gefunden sei. „Wir sind mit Staatssekretär Kolling im Moment in einer sehr guten Zeit", sagt Becker vom DHZ. Auch Gospodinov bestätigt: „Sollte dort der Stuhl wieder wackelig werden, müssen wir wieder von vorne anfangen." Kolling setzte sich unter anderem für das Naloxon-Projekt des Drogenhilfezentrums ein.
2018 flossen Landesmittel in Höhe von 1.561.800 Euro in Drogenhilfe und Suchtprävention, dennoch bleibt viel zu tun. Gerade im Bereich der Prävention muss mehr investiert werden – insbesondere an Schulen. Auch der Wunsch nach einem zentralen Betreuungszentrum steht im Raum – doch das ist ebenfalls sehr kostspielig. „Auch eine Drug-Checking-Stelle im Drogenhilfezentrum könnte vielen helfen", sagt Dennis Lander, drogenpolitischer Sprecher der Linken-Fraktion. „Das Problem bei Heroin sind nicht zuletzt die Streckstoffe. Viele Drogenabhängige tragen durch Verunreinigungen des Straßenheroins schwere organische Schäden davon, und schwankende Substanzkonzentrationen führen nicht selten zum Tod." Aber auch die gesellschaftliche Aufklärung müsse zunehmen: „Entkriminalisierung ist immer noch ein ganz großes Thema. Die Aufarbeitung des Themas ist nicht nur bei Jugendlichen, sondern auch in der älteren Generation wichtig." Denn Stigmatisierung ist und bleibt eines der größten Probleme im Kampf gegen die zunehmenden suchtbedingten Todesfälle, aber auch ein nicht zu vernachlässigender Grund für die abnehmende Bereitschaft, im Bereich der substitutionsgestützten Therapie zu arbeiten.