In Bayern ganz oben – das ist der Frankenwald. Ein Paradies für Wanderer, eine Region für Genießer, mit Bier, Bratwurst und gleich mehreren imposanten Burgen. Und wer es abenteuerlicher mag: Bei einer Floßfahrt auf der wilden Rodach bleibt garantiert niemand trocken.
Willkommen in der Hölle: Im Frankenwald ist das keine Drohung, sondern eine Verheißung. Das wildromantische Höllental zählt zu den schönsten Orten der Region – „es ist der perfekte Ort, um Kraft zu tanken", meint Anna-Lisa Haber, Rangerin im Naturpark Frankenwald. Wir stehen am Aussichtspunkt König David, der Blick reicht über die steilen, fichtenbestandenen Hänge und hinüber bis zur Burg Lichtenfels. Unter uns rauscht das Flüsschen Selbitz durchs Tal, das sich hier bis zu 170 Meter tief in den Fels gegraben hat. „Es ist ein ganz besonderer Lebensraum", sagt Anna-Lisa Haber und deshalb sei es auch ein europäisches Schutzgebiet. Unten im Tal ist es feucht und kühl, weiter oben auf den Felsen schön warm – so bietet das Höllental ideale Lebensbedingungen für seltene Arten wie den Fischotter oder den Schwarzstorch.
Nur vier Kilometer lang ist das Tal, aber von insgesamt 30 Kilometern Wanderwegen durchzogen. Wir sind an diesem Tag auf dem Felsenpfad unterwegs, der nach seiner Sanierung erst seit 2019 wieder geöffnet ist. Der Pfad führt relativ steil bergauf und bergab, eine gewisse Trittsicherheit ist deshalb empfehlenswert. Anna-Lisa Haber deutet auf eine Gesteinformation, die aussieht wie ein Stapel mit Brennholz. „Das ist Diabas", erklärt sie, Vulkangestein, das zum Teil noch aus einer Zeit stammt, als diese Region vor fast 400 Millionen Jahren unter einem riesigen Meer verborgen lag.
Das Höllental ist ein gut gehütetes Geheimnis
Auch heute noch ist das Höllental ein gut gehütetes Geheimnis, doch das könnte sich bald ändern. 2020 beginnen die Bauarbeiten für die mit 1.030 Metern längste Hängebrücke der Welt – in rund 100 Metern Höhe sollen schwindelfreie Besucher bald das Höllental überqueren können. Das 21-Milionen-Projekt ist nicht unumstritten: Kritiker befürchten, dass sich der Charakter des bislang so idyllischen Höllentals dadurch grundlegend verändern könnte.
Die Befürworter verweisen auf das große touristische Potenzial mit jährlich bis zu 200.000 zusätzlichen Besuchern. Tatsächlich kann die Region das Gästeplus durchaus gebrauchen. In Bayern ganz oben – was heute als touristischer Leitspruch dient, war während der deutschen Teilung jahrzehntelang bittere Realität. Der Frankenwald war Zonenrandgebiet. Ein eindrucksvolles Zeugnis dieser Zeit liefert das Deutsch-Deutsche Museum in Mödlareuth. Das kleine Dorf liegt zur Hälfte auf bayerischem Gebiet, zur anderen auf thüringischem Territorium. 41 Jahre lang verlief die innerdeutsche Grenze mitten durch das Dorf entlang des Tannbachs, nicht einmal Winken von Ost nach West war erlaubt. Die Amerikaner nannten Mödlareuth „Little Berlin", in Anlehnung an die Berliner Mauer. Auch hier lief ein 700 Meter langer, 3,40 Meter hoher Betonwall quer durchs Dorf. Ein Teil der Grenzanlagen samt Stacheldraht, Hundelaufanlage und Wachtürmen blieb erhalten und sorgt bis heute für Beklemmung.
Während die Menschen in Mödlareuth regelrecht eingesperrt wurden, reiste ein anderes Produkt des Frankenwaldes durch halb Europa. Durch seinen Waldreichtum und die vielen Wasserläufe bot der Frankenwald günstige Voraussetzungen für den Holzhandel und die Flößerei; seit dem Mittelalter versorgten die Frankenwald-Flößer das gesamte Main- und Rheingebiet mit Bauholz. Sogar Amsterdam steht zum Teil auf Pfählen aus dem Frankenwald. Überall in der Region stößt man bis heute auf Zeugnisse dieser Zeit, etwa am Floßteich an der Bischofsmühle in der Nähe von Helmbrechts oder im Flößermuseum in Unterrodach, das die Geschichte umfassend darstellt. „Die Flößer waren zähe, hart arbeitende Burschen", sagt Museumsvorstand Hubert Dietl. Der Job war nicht ungefährlich: Schutzkleidung gab es keine, Unfälle waren an der Tagesordnung. „Der Fluss ist unberechenbar", meint auch Michael Thiemann vom Flößerverein Wallenfels. Gerade an den Stromschnellen könne man nie voraussagen, wie sich das Floß verhält. Zwar erlebte die kommerzielle Flößerei im Frankenwald seit den 30er-Jahren ihren Niedergang, mittlerweile wird das Holz per Zug oder auf Lkw transportiert. Gruppen wie der Floßverein Unterrodach oder der Flößerverein Wallenfels halten das alte Erbe aber lebendig und geben es an die nächste Generation weiter.
Main- und Rheingebiet mit Bauholz versorgt
Heute ist die Flößerei kein Broterwerb mehr, sondern eine touristische Attraktion. Die Floßfahrt auf der Wilden Rodach bei Wallenfels ist eine feucht-fröhliche Angelegenheit, bei der garantiert niemand trocken bleibt. Bis zum Bauch tauchen die Fahrgäste an den sechs Wehrstufen ins Wasser. Es ist die wohl abenteuerlichste Art, den Frankenwald zu erleben. „Achtung!", ruft unser Flößer noch, dann krachen wir seitlich gegen die Felsen. Das müsse so sein, insistiert er zwar grinsend, doch das, was danach kommt, gehört definitiv sonst nicht zum Programm.
Mehrere Flöße sind stecken geblieben und haben sich ineinander verkeilt, weil der Wasserstand zu niedrig ist. Mit vereinten Kräften schieben die Männer die Flöße wieder in die Fahrrinne, selbst die Wasserwacht packt mit an. Mehrere Floßstangen gehen bei der Aktion zu Bruch, doch am Ende setzt sich die Flotte unter dem Jubel der Passagiere wieder in Bewegung. Es ist die erste Fahrt seit Wochen, nachdem die vorherigen Touren aufgrund des Wassermangels gleich komplett ausfallen mussten. Normalerweise finden die Floßfahrten den ganzen Sommer über statt, von Ende Mai bis Ende August. An den Terminen ist die ganze Stadt danach ausgerichtet, zahlreiche Lokalitäten laden dann zum Flößerschmaus ein. Alljährlicher Höhepunkt ist die Fackelfloßfahrt „Rodach in Flammen" Ende Juli.
Im weiteren Flussverlauf wird die Wilde Rodach dann merklich ruhiger, ehe sie in die Rodach mündet, die später wiederum den Main speist. An der Rodach liegt auch Kronach mit seiner imposanten Festung Rosenberg. Der Name stammt von den wildblühenden Rosen am Burgberg. In über 700 Jahren Festungsgeschichte wurde das Bauwerk trotz zahlreicher Belagerungsversuche nie erobert, was einen angesichts mehrerer Festungsringe und bis zu 40 Meter dicken Mauern auch nicht überrascht. Im Festungstor des inneren Verteidigungsrings, dem vermutlich ältesten noch erhaltenen Festungstor Europas, stecken bis heute die Spitzen der feindlichen Brandpfeile.
Größte Sammlung an Zinnfiguren
Fast 24 Hektar misst die Anlage. „In dieser Größe gibt es in ganz Europa keine zweite Anlage, die so gut erhalten ist", sagt Gästeführer Philip Kraus. Vor allem in den vergangenen zehn Jahren wurde einiges saniert, sodass die Festung heute „so gut in Schuss ist wie seit 300 Jahren nicht mehr", wie Philip Kraus stolz berichtet. Sie ist zudem ein beliebter Veranstaltungsort – unter anderem finden dort die Rosenberg-Theaterfestspiele und das Mittelalterspektakel Crana Historia statt. Von besonderem Reiz ist zudem das unterirdische Gangsystem, das im Rahmen der Festungsführungen zu besichtigen ist.
Während die Festung Rosenberg immer nur rein militärische Funktion hatte, war die nicht minder imposante Plassenburg im nahe gelegenen Kulmbach lange Zeit Residenz der Hohenzollern. Seit 1929 beheimatet die Burg unter anderem das Deutsche Zinnfigurenmuseum mit der größten Sammlung der Welt. Rund 150 Dioramen lassen die Geschichte im Miniaturformat lebendig werden, wobei mittlerweile auch moderne Motive aus „Star Wars" und anderen Science-Fiction-Filmen gezeigt werden. Höhepunkt der Ausstellung ist das weltgrößte Diorama zur Zerstörung Kulmbachs am Conradi-Tag 1553 aus sage und schreibe 19.385 Figuren. „Es sind so viele Figuren, dass für die hinteren Reihen sogar ein paar Römer und Griechen verwendet werden mussten, um die Reihen zu schließen", verrät Gästeführer Jürgen Treppner. Sie seien jedoch so gut versteckt, dass er selbst bislang noch keine entdeckt hätte.
Für seine musikalischen Stadtführungen hat Jürgen Treppner alias „Bier-Schorsch" gern seine Gitarre dabei. Mitten in der Fußgängerzone, zwischen Holzmarkt, dem historischen Badhaus und dem Rathaus mit seiner Rokoko-Fassade, gibt er dann so manches Wirtshauslied zum Besten. Das Bier ist aus der Kulmbacher Geschichte nicht wegzudenken. Das Recht, zu brauen und auszuschenken, war einst sogar gleichbedeutend mit politischem Einfluss. Das erste Brauhaus befand sich ganz in der Nähe des Holzmarkts – heute steht dort eine Bank. Erhalten geblieben ist der Zinsfelder Brunnen mit der Figur eines Landsknechts aus dem Dreißigjährigen Krieg. „Nach Thomas Gottschalk ist das der am meisten fotografierte Kulmbacher", sagt Treppner. Und verneint nicht, dass zwischen der Brunnenfigur und dem Showmaster durchaus eine gewisse Ähnlichkeit vorhanden ist.
Immer parallel zur Festspielwoche in Bayreuth findet in Kulmbach Ende Juli die Kulmbacher Bierwoche statt, eines der größten reinen Bierfeste Deutschlands – von den Bewohnern auch liebevoll „Festspülwoche" genannt. Zu allen anderen Zeiten ist das Brauereiwirtshaus Kommunbräu eine gute Anlaufstelle, um die städtische Bierkultur zu erleben, das unlängst als eines der besten Bierlokale des Landes ausgezeichnet wurde.
Auch in Kronach, Geburtsstadt von Renaissance-Maler Lucas Cranach dem Älteren, gibt es weit mehr als bloß die Festung zu sehen: Die Obere Stadt, die auf einem Bergsporn gelegene historische Altstadt, bezaubert mit ihrem spätmittelalterlichen Charakter, liebevoll restaurierten Häusern und verträumten Gassen und Plätzen. Am alten Rathaus ist die Kronacher Elle angebracht – das örtliche Bratwurst-Maß, exakt 67 Zentimeter lang. Dort konnten die Bürger an Markttagen überprüfen, ob ihre Wurst auch lang genug ist oder ob sie vom Verkäufer betrogen wurden. Seit 2018 ist Kronach auch einer der „100 Genussorte in Bayern". Neben Bier und Bratwurst sind vor allem die „Schwetzela" der Bäckerei „Oesterlein" zu empfehlen: runde Teiglinge mit süßer Creme und Zartbitterschokolade – eine echte Kalorienbombe!
Weitsicht bis zum Erz- und Fichtelgebirge
Nur gut, dass man im Frankenwald so gut wandern kann und die Pfunde gleich wieder abtrainiert. Mit über 4.200 Kilometern ausgeschilderter Wanderwege und fast 300 unterschiedlichen Wanderrouten hat die Region – die einzige in Bayern mit dem renommierten Siegel „Qualitätsregion Wanderbares Deutschland" – diesbezüglich einiges zu bieten. Am Drehkreuz des Wanderns in Issigau-Unterreichenstein treffen sich mit Frankenweg, Fränkischem Gebirgsweg, Kammweg sowie dem Rennsteig gleich vier große Fernwanderwege an einem Punkt – das ist einmalig in ganz Deutschland. Wer lieber eine Halbtagestour unternehmen will, ist mit den Frankenwaldsteigla gut bedient, die durchgehend als Rundweg konzipiert sind. Eine der längsten Touren sind die „Schwarzenbacher Weitblicke" in Schwarzenbach am Wald. Randolf Hartmann vom örtlichen Frankenwaldverein begleitet mich an diesem Tag. „Wandern ist für mich die perfekte Entspannung. Andere setzen sich zu Hause vor den Fernseher, aber ich gehe nach Feierabend lieber noch eine Runde wandern", sagt er.
Ein besonderer Genuss ist die Strecke im Sommer, wenn Himbeeren, Heidelbeeren und Brombeeren am Wegesrand wachsen. Die Route passiert auch den Döbraberg, die höchste Erhebung des Frankenwalds. Die Abhöranlage knapp unterhalb des Gipfels leuchtet im Sonnenlicht wie ein riesiger weißer Fußball. 794 Meter misst der Döbraberg, mit dem Prinz-Luitpold-Turm knackt er sogar die 800-Meter-Marke. Von dort oben ergibt sich ein grandioses Panorama, die Weitsicht reicht bis zum Erz- und Fichtelgebirge, zum Thüringer Wald und bei gutem Wetter sogar bis zur Rhön. Himmel und Hölle liegen im Frankenwald manchmal ganz nah beieinander.