Nach der dritten Liga-Niederlage in Folge steht Hertha BSC wieder unter Zugzwang. Die Windhorst-Millionen könnten zu Änderungen in der Vereinspolitik führen.
Beinahe hätte man sich für die Spieler von Hertha BSC vor der Partie gegen RB Leipzig gewünscht, dass sie nicht an diesem Datum stattfinden würde. Eine Woche, nachdem die Blau-Weißen im Stadt-Derby gegen Union nicht den Nachweis erbringen konnten, der Drucksituation standzuhalten, sollten sie nun gegen den formstarken Tabellendritten Wiedergutmachung betreiben. Dabei stand die Partie aber eben auch im Zeichen des Mauerfalls am 9. November vor 30 Jahren: So gab es im Olympiastadion vor Anpfiff eine Show zu diesem Anlass und die Mannschaft lief in Retro-Trikots im Stil von 1989 auf. Wie schwer es da fiel, sich auf das Sportliche zu konzentrieren, kann man nur erahnen. Doch Hertha BSC startete ordentlich – auch, wenn man dem Gegner das Spiel überließ, selbst hauptsächlich kompakt stand sowie ab und an sein Heil im Umschaltspiel suchte. Einer dieser schnellen Züge führte nach einer halben Stunde dann sogar zur Führung durch Maximilian Mittelstädt, doch diese sollte der Ausgangspunkt für einen rundherum bitteren Fußball-Nachmittag werden. Denn zur Halbzeit lag man bereits zurück: Dabei avancierte Karim Rekik – nicht zum ersten Mal in dieser Saison – zum Unglücksraben. Erst bekam der Niederländer aus kurzer Distanz den Ball an die Hand, worauf der Schiedsrichter auf Elfmeter entschied. Dann lenkte er einen Schuss von Marcel Sabitzer unhaltbar für Torwart Rune Jarstein zum 1:2 ins eigene Tor. Das „Spielglück" sollte den Berlinern auch im zweiten Durchgang nicht hold sein: Den auf Leipziger Seite bereits verwarnten Stefan Ilsanker beließ Schiedsrichter Sören Storks nach einem Foul an Javairo Dilrosun im Spiel. Dann ließ der Referee – ohne den Videoassistenten zurate zu ziehen – weiterspielen, als Konrad Laimer im Strafraum in ein und derselben Aktion mit seinem ausgestreckten Arm den Ball und das Gesicht von Niklas Stark traf. Herthas Innenverteidiger musste immerhin danach mit Nasenbeinbruch ausgewechselt werden – ein Strafstoß wäre in dieser Situation also sicher möglich gewesen. Diese Chance auf den Ausgleich blieb den Hauptstädtern aber verwehrt – stattdessen zogen die Gäste im Anschluss auf 1:4 davon, und dem eingewechselten Davie Selke gelang lediglich noch ein Tor für die Berliner in der Nachspielzeit. Insgesamt hatte es Hertha BSC also für die Voraussetzungen gar nicht so schlecht gemacht. Doch der nachhaltige Eindruck der Derby-Pleite – und von nun drei Niederlagen in Serie (und vier Ligaspielen ohne Sieg) – bescherte dem Team vor der Länderspielpause trotzdem noch mal eine kühle Verabschiedung durch die Fans.
Das Spielglück war den Berlinern nicht hold
Die auch im Verein herrschende Anspannung hatten die Verantwortlichen schon im Vorfeld des Leipzig-Spiels relativ unmittelbar zu spüren bekommen. Schließlich stand die Mitgliederversammlung an – und schon zu deren zwei Vorbereitungsterminen gab es von den Besuchern reichlich kritische Töne zu hören. Ob es da um den sportlich schwachen Auftritt der Mannschaft bei Union ging oder den vielleicht noch schwächeren einiger Chaoten im Hertha-Block, den jahrelangen Stillstand in der Stadionfrage oder die strategische Gesamtlinie für die Bundesligamannschaft – es gab viel Gesprächsbedarf. Oder besser gesagt: den Bedarf, Kritik zu formulieren. Nach dem zwischenzeitlichen Aufwärtstrend war das Team von Trainer Ante Covic dazu schon vor dem Heimspiel gegen die Leipziger wieder aus dem Tritt geraten. Der sportliche Aufwind ist nach dem Trainerwechsel im Sommer aber unabdingbar für das Projekt Hertha BSC – zumal der Verein inzwischen ja auch über Geldmittel verfügt, die die Laufzeit des Gesamtkonzepts verkürzen könnten. Sprich: einen regelmäßigen Startplatz im europäischen Wettbewerb wenigstens mittel- statt langfristig zu erreichen. Just vor der Mitgliederversammlung wurde dazu bekannt, dass Investor Lars Windhorst – der mit seiner Holding, der Tennor AG, frisches Geld in den Verein gepumpt hat – bereits die zweite Stufe der Vereinbarung mit dem Club eingeleitet hat. Zu den im Sommer geflossenen 125 Millionen Euro kommen also noch einmal 99 Millionen, die Windhorst aber auch die Besetzung von nun vier Plätzen im neunköpfigen Aufsichtsrat der Hertha BSC GmbH & Co. KGaA (also nicht im Gremium des Gesamtvereins) garantieren. Mit seinem Wunschkandidaten Jürgen Klinsmann verfolgte der Investor bereits das Spiel gegen Leipzig von der Tribüne. Die Zügigkeit der Anteilskäufe und der Klinsmann-Präsentation verdeutlichen dabei, dass Windhorst es nicht nur ernst mit seinem Engagement meint, sondern offenbar auch keine unnötige Zeit bei der Durchführung verlieren will. Das erhöht natürlich nicht nur die finanziellen Möglichkeiten der Verantwortlichen, sondern auch den Druck auf sie. Neben der sportlichen Entwicklung des Kaders beziehungsweise Vereins wurde bei Hertha BSC ja auch in der Führungsetage bisher auf Kontinuität gesetzt. Mit Klinsmann als kompetentem Kritiker im Kontrollorgan der KGaA könnte es dort zukünftig zwar weiter konstruktiv, aber eventuell weniger geduldig zugehen.
Weitere 99 Millionen Euro von Windhorst
Auch der Blick auf die sportliche Leitung dürfte sich schärfen: Der Fakt etwa, dass Ante Covic als Trainer-Novize und Hertha-Urgestein weiterhin mehr Kredit erhält als ein Coach ohne diese Attribute, dürfte so bei instabiler sportlicher Entwicklung keine Selbstverständlichkeit mehr sein. Zumal mit dem beim FC Bayern entlassenen Niko Kovac ein Kandidat auf dem Markt wäre, den viele Experten und auch Fans gewissermaßen als naheliegende Lösung ansehen würden: Gebürtiger Weddinger und schon zu Zweitligazeiten in den 90er-Jahren fünf Jahre lang Herthaner, hat Covic’ kroatischer Landsmann ebenfalls eine blau-weiße Vergangenheit – aber eben eine deutlich längere Erfahrung (und größere Erfolge) als Trainer im Profifußball vorzuweisen. Nicht ausgeschlossen in jedem Fall, dass Hertha BSC durch die zu erwartende Steigerung bezüglich der Professionalität auf allen Ebenen aus der sprichwörtlichen „Komfortzone" aufgescheucht wird – und diese dem Verein nachhaltig auf die Sprünge hilft. „Ich freue mich, ab sofort Teil des spannendsten Fußball-Projektes in Europa zu sein" – diese Formulierung Klinsmanns bei seiner Vorstellung in Berlin könnte dann vor diesem Hintergrund mehr als nur eine nett gemeinte Übertreibung gewesen sein.