Die „Amo Bar" ist keine ehrfurchtgebietende Cocktail-Kathedrale, sondern eine unkomplizierte Flüsterkneipe im Untergrund. Barchef Jonas Stein und sein Team entwickeln die im Stil der Frankfurter „Kinly Boys" gehaltenen Drinks nun mit eigener Note weiter.
Berlin, deine Untergründe! Um die Ecke vom Tacheles oder dem, was noch davon übrig ist, geht’s auf der Friedrichstraße neben einem letzten grau bröckelnden Haus nicht nur ab in die U-Bahn Oranienburger Tor, sondern auch ins gepflegte Untergeschoss der Jetztzeit. Im ausgebauten Souterrain des gleichnamigen Hotels hat sich die „Amo Bar" mehr lang als breit gemacht und verheißt in bester Speakeasy-Manier „An Underground Love Story". In Liebe für die schlicht erscheinenden, doch umso ausgefeilter hergestellten Drinks bin ich seit meinem ersten Besuch ohnehin entflammt. Die dunkelblauen Wände und das schimmernd-schummrige Raumkonzept tragen zur Flüsterkneipen-Atmosphäre bei. Nur mit dem Unterschied, dass der Alkoholausschank keineswegs verboten, sondern geradezu erwünscht ist.
Im Sommer, als alles frisch eröffnet war, stand ich mit Kolleginnen am Tresen und ließ mich mit einem „Butter-bean" von Rum, Limette, Honig, Beurre Noisette und geklärter Milch nur zu gern praktisch von den Kreationen der „Kinly Boys" überzeugen. Die „Boys" René Soffner und Johannes Möhring aus Frankfurt und München sind die Inspiratoren für die Berliner Bar. Die „Amo Bar" ist ein Satellit ihrer gerade erst bei den „Mixology" Bar Awards als „Bar des Jahres Deutschland 2020" ausgezeichneten „Kinly Bar" in Frankfurt. Die Jungs, die mit der „Ménage Bar" in München eine weitere Dependance betreiben, grüßen nun weiterhin mit drei Drinks „From Kinly with Love" auf der ersten eigenständigen Berliner Karte.
In einer „Milchtüte" aus Porzellan verbirgt sich ein Frosties Punch
Einer der drei ist der glasklare „Butterfly Mojito", ein Signature-Drink der „Kinly Boys". Er sieht wie Wasser aus, ist aber ein vollgültiger, frischer Mojito aus einem mit Minze redestilliertem Rum, Soda, Zuckersirup und per Eisfiltration geklärter Limette. Ich mag’s – so leicht, so easy going kann frau sich also einen antütern! Das alles schmeckt sogar, ohne sich mit den nerdigen Prozeduren vorab befassen zu müssen oder ein Chemie-studium absolviert zu haben. „Wir wollen definitiv keine Cocktail-Kathedrale sein", sagt Barchef Jonas Stein.
Mit seinem sechsköpfigen Team setzt er in der „Amo Bar" nun eigene Akzente. Zehn selbst kreierte Drinks mit Alkohol schreiben „Our Lovestory", drei ohne verkörpern die „Innocent Desires". Letztere sind mit Hydrosolen, selbst hergestellten alkoholfreien Destillaten, geschmacklich weitaus weniger unschuldig, als sie tun. Mit Rotationsverdampfer, Ultraschallgerät und Thermomix geht es im gut ausgestatteten Mixologen-Labor im Hintergrund zur Sache: Es wird beinah alles selbst nach eigenen Vorstellungen destilliert, gebraut, geklärt und gemixt. „Wir kaufen nur Schnäpse", sagt Jonas Stein. „Limos, unser Haustonic und Cola sind selbst gemacht." Na gut, für die, die es unbedingt so wollen, gibt’s einen einzigen zugekauften Tonic und eine originale Coke.
Was das „DIY"-Prinzip ins Glas übertragen konkret bedeutet, zeigt uns Bartender Patrizio Guidozzi. Vor den hellen Lichtrauten der Bar-Rückwand mixt er als wandelnder Scherenschnitt die erste Runde Drinks. Für den „Rabble Rouser" auf Rum-Basis wurde ein kräftiger weißer Bacardi-Heritage mit gerösteter Kokosnuss infusioniert. Jasminblüte, Senchatee und Limettensäure kommen dazu. Schon ist ein leichter, tropischer und fein ausgewogener Drink fertig. Nicht zu sauer und dezent asiatisch akzentuiert. Der Trinkbegleiter macht’s richtig und beginnt mit diesem zarten Geschöpf. Wie ein „Scharfmacher" kommt mir der Drink nun nicht gerade vor. Noch nicht einmal der Preis von 12,50 Euro erscheint sonderlich aufrührerisch. Die Drinks kosten alle zwischen 9,50 Euro bei den nicht-alkoholischen und 13,50 Euro bei den alkoholstärkeren Vertretern. Das ist vollkommen gerechtfertigt für diese Güte- und Kreativitätsklasse.
Ich wiederum lasse mich einmal richtig umhauen und probiere vom Wunsch-Drink des Fotografen: In einer „Milchtüte" aus Porzellan verbirgt sich ein krawummsiger „Frosties Punch". Ja, genau so einer, der nach dem aufgedruckten Tiger und den Frühstücksflakes schmeckt, die als Kind wegen überzogener Süße tabu waren. Whisky wurde mit Frosties, Nussbutter und Sirup versetzt und mit Zitronensäure, Wermut und Chinarindenlikör für die Tiefe abgerundet. Der Schlag ist fein ausgeführt und sitzt. „Der ist für das sehr, sehr späte Frühstück", sagt Jonas Stein. Die „Amo Bar" öffnet schließlich erst um 19 Uhr, das dafür aber täglich.
Am Wochenende wäre der „Punch" zum ersten Set der DJs, die ab 22 Uhr Electro, Funk, Hiphop „und alles, was Spaß macht", live auflegen, passend getimed. Wer Substanzielleres zum Beißen braucht, tut gut daran, vor dem Barbesuch ins Restaurant „Joseph" im Erdgeschoss einzukehren. Die levantinisch aromastarken Gerichte, gern geschmort oder mit Grill-Anteil, eignen sich bestens als Grundlage fürs gepflegte Trinken. Der standfeste, aber neue dienstliche Trinkbegleiter wurde deshalb vorab auf einen Teller ins „Joseph" beordert.
Grundlage vor dem Flüssigen bietet das Restaurant „Joseph"
Wir folgten der Empfehlung von Küchenchef Robert Christow und nahmen den gegrillten Pulpo-Calamari-Spieß sowie Hühnerherzen mit gegrillter Quitte von der Tageskarte. Wir starteten anschließend beglückt und gut gerüstet in zwei dienstliche Probierrunden mit ordentlich Alkohol. Für die Zukunft wünschen wir uns mehr Querverbindungen: „Pairings im Restaurant mit den Drinks aus der Bar und einen ‚Gruß aus dem Keller‘ als Rausschmeißer beim Bezahlen", meint der Begleiter. „Und umgekehrt ,Joseph‘-Barfood auf der regulären Karte unten", meine ich. Die Teams arbeiteten daran, sagt Jonas Stein. Alle sind ja noch ziemlich neu am Start.
Doch zurück zur „Amo Bar". Eigentlich hatte ich einen „Pisco Disco" bestellt. Nicht zuletzt, weil ich das traubige südamerikanische Mostdestillat mag und die Ankündigung von „Para Cress infused Pisco" interessant fand. Die Parakresseblüten wurden im Ultraschallbad infusioniert. Mit Kürbissirup, frischer Limette und einem „Spiced Port" gepimpt wabern die zwei verschiedenfarbigen Komponenten wie in einer Lavalampe um einen traubenbesetzten Eisklotz herum. Das ist eine ziemlich weihnachtlich angewürzte Disco-Time mit brasilianischem Para-Pritzel-Effekt auf der Zunge!
In der zweiten Runde lasse ich mir meinen Wunsch nach einem nicht-alkoholischen Drink erfüllen. Aus Honig und Lavendel wurde ein Hydrosol destilliert. In Gesellschaft von Peach Cordial und Zitronensäure betreten wir die „Lavender Town". Wir dürfen das Hydrosol zum besseren Verständnis ebenfalls pur probieren: „Hustensaft, und zwar bitterer!", entfährt es mir. Das Destillat ist aber leicht, beinah schwebend, allein schon, weil der Alkohol fehlt. Zum Glück kommt es im Mix dezenter rüber, als es riecht und pur schmeckt.
Beim „Supersonic Negroni" ist der Barchef so richtig in seinem Element. „Ich komme aus dem Ortenaukreis im Schwarzwald. Obstbrände und Negronis sind einfach mein Thema", sagt Stein. Ein österreichischer Birnenbrand, Campari und Wermut wurden als Komplett-Drink mit Kakaobruch im Ultraschallbad infusioniert. „Das führt zu einem Reifungsprozess, der den Drink intensiviert." Ich denke über den Kauf eines Brillenputzgerätes und häusliche Mixologie-Versuche nach. Davon will ich nach dem Probieren allerdings sofort wieder ablassen. Der Negroni ist mir viel zu bitter. Der Begleiter und der italienische Fotograf sind dem Rotgetränk aus der Kristallkaraffe deutlich besser gewachsen. Ich hab’s dann wohl doch eher mit den „Mädchen-Drinks". Aber gibt’s die überhaupt? Und mixen Frauen anders? Das will der Begleiter von Amelie Hornung wissen, die an diesem Abend ebenfalls am Brett steht. „Nein, eigentlich nicht." Das deckt sich mit meinen Beobachtungen in der Berliner Szene. Es gibt unterschiedliche Handschriften, aber ganz bestimmt keine eindeutig „weibliche". Das mit den leichteren und süßlicheren Drinks gehört ins Reich der Klischees. „Bunt", sagt Amelie Hornung, seien ihre Drinks am ehesten. Der Begleiter will schließlich von Jonas Stein wissen, was die Gäste sagen sollen, wenn sie die die „Amo Bar" verlassen. „Wann kommen wir wieder?", lautet die Antwort. Diese Frage kam mir im Sommer in den Sinn, und auch nach diesem Besuch stelle ich sie mir gern wieder.