Elf Jahre hatte Werner Schuster als Skisprung-Bundestrainer das Sagen und bescherte den DSV-Adlern zahlreiche Erfolge. Nach seinem Rücktritt hat nun sein früherer Co-Trainer Stefan Horngacher das Amt übernommen. Eine logische Wahl, auch wenn der neue Chef nicht einfach alles so weitermachen will wie sein Vorgänger.
Sie nennen sich selbst die Adler. Doch Ende Oktober wären die deutschen Skispringer beinahe von sehr viel kleineren Flugtieren ausgebremst worden. Wenige Tage, bevor das Nationalteam zum Lehrgang auf der Olympiaschanze in Garmisch-Partenkirchen antreten sollte, bemerkten die dortigen Mitarbeiter, dass sich ein Wespenvolk in den Steuerungskasten der Spurkühlung eingenistet und dadurch einen Kurzschluss verursacht hatte. Wegen des Defekts musste das komplette Kühlsystem kurzfristig ausgetauscht werden. Gerade noch rechtzeitig schafften es Spurbauer Peter Riedel und sein Team, die Anlage wieder instand zu setzen, sodass der Lehrgang letztlich doch wie geplant über die Bühne gehen konnte.
Für ähnliche Aufregung hatte Anfang des Jahres auch die Ankündigung von Ex-Bundestrainer Werner Schuster gesorgt, sich zum Saisonende zurückzuziehen. Immerhin war der Mann eine Institution. Unter seiner Führung sind die deutschen Skispringer in die Weltspitze zurückgekehrt, nachdem bei seinem Amtsantritt 2008 kein einziger DSV-Athlet unter den besten 15 des Gesamtweltcups stand. Seitdem holte die deutsche Mannschaft unter anderem 2014 Olympiagold, wurde 2019 in Seefeld (Österreich) Team-Weltmeister und triumphierte 2014/15 erst zum zweiten Mal überhaupt in der Nationenwertung des Weltcups. Hinzu kamen die Einzelerfolge durch Severin Freund als Weltmeister 2015 und Gesamtweltcupsieger 2014/15, Andreas Wellinger als Olympiasieger 2018 sowie Markus Eisenbichler als amtierender Weltmeister 2019 von der Großschanze.
Unter Schusters Führung zur Weltklasse gereift
Doch im März endete die Ära Schuster. Der Österreicher betreut mittlerweile Rekord-Weltcupsieger Gregor Schlierenzauer und soll seinen Landsmann nach zuletzt schwachen Auftritten zurück in die Erfolgsspur führen. Er hinterlässt große Fußstapfen. Sein Nachfolger ist Stefan Horngacher, ebenfalls ein Österreicher. Horngacher wohnt allerdings seit vielen Jahren mit seiner deutschen Frau Nicole Hoffmeyer, der ehemaligen Physiotherapeutin von Sven Hannawald und Martin Schmitt, in Titisee-Neustadt im Schwarzwald.
Das allein war aber nicht der Grund, weshalb man sich beim Deutschen Skiverband letztlich für ihn entschied. Vielmehr hat man beim DSV in der Vergangenheit schon gute Erfahrungen mit Horngacher gemacht. Der 50-Jährige, früher selbst ein Weltklasseskispringer, der mit den Österreichern zweimal Mannschaftsweltmeister wurde und bei Olympia zweimal Bronze im Teamwettbewerb holte, war seit Anfang 2006 Stützpunktleiter in Hinterzarten und trainiert dort im Auftrag des Skiverbandes die Nachwuchsmannschaft. Zudem betreute er zwischenzeitlich auch Ex-Weltmeister Martin Schmitt als persönlicher Coach. Von 2008 bis 2011 arbeitete Horngacher dann als Trainer des deutschen B-Kaders, ehe er befördert wurde und von 2011 bis 2016 als Schusters Co-Trainer fungierte.
Zuletzt war Horngacher als Cheftrainer in Polen tätig und formte die deutschen Nachbarn zu einer Top-Mannschaft. Unter seine Ägide wurden die Polen Teamweltmeister 2017 und gewannen Olympiabronze 2018, Kamil Stoch wurde zudem Olympiasieger im Einzel. Im Frühjahr 2019 feierten Dawid Kubacki und Kamil Stoch bei der Nordischen Ski-WM einen Doppelsieg von der Normalschanze. „Mein Wunsch war es aber immer, nach Deutschland zum DSV zurückzukehren, weil ich mich da sehr wohlfühle. Ich wurde beim DSV zum Trainer ausgebildet und bin in diesem System groß geworden", begründete Horngacher, weshalb er nun trotzdem das Jobangebot aus Deutschland vorzog. Der „Freien Presse" sagte er: „Es ist eine Ehre und große Wertschätzung, zum Bundestrainer berufen worden zu sein. Es gibt definitiv einen sehr gut organisierten Skiverband hier im Vergleich auch zu anderen Nationen. Das ist schon noch mal deutlich eine Nummer größer."
Wellingers Verletzung bereitet Sorgen
Für Werner Schuster war er von Anfang an „der logische Kandidat" für seine Nachfolge: „Er und ich haben acht Jahre zusammengearbeitet. Er ist ein fantastischer Trainer, das hat er in Polen und Deutschland bewiesen", sagte Schuster. Auch Ex-Springer Dieter Thoma, jetzt Skisprung-Experte bei den Übertragungen der ARD, ist überzeugt, dass Horngacher die richtige Wahl ist: „Der Stefan hat vor allem bei den Polen bewiesen, dass er einen Plan hat, wie Skispringen funktioniert", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Horngacher mag manchmal verschlossen wirken. „Aber er ist ein sehr, sehr guter Trainer, der nah am Sportler dran ist", sagte Thoma.
Der Einstand war durchaus vielversprechend. Beim Sommer-Grandprix in Hinterzarten gab es Erfolge durch Karl Geiger im Einzel sowie durch das Mixed-Team mit je zwei Männern und Frauen. Allerdings gab es mit der Verletzung von Olympiasieger Andreas Wellinger, der nach einer komplexen Knieverletzung mit Abriss des vorderen Kreuzbandes die gesamte Saison ausfallen wird, auch schon den ersten Rückschlag. „Der verletzungsbedingte Ausfall ist sowohl für Andreas persönlich als auch für das gesamte Team sehr bitter. Sein Fehlen im kommenden Winter zu kompensieren wird eine große Herausforderung für uns alle. Wir wünschen Andreas eine rasche Genesung und sind uns sicher, dass er uns im WM-Winter wieder verstärken wird", sagte Stefan Horngacher. 2021 finden im heimischen Oberstdorf die Nordischen Skiweltmeisterschaften statt. Bis dahin sollen auch der frühere Weltmeister Severin Freund und David Siegel wieder in Bestform sein, die beide vorerst nach Verletzungen ebenfalls ausfallen.
Die Hoffnungen beim Weltcup-Auftakt am 23. November ruhen deshalb vor allem auf dem aktuellen Weltmeister Markus Eisenbichler, auf Karl Geiger und auf Stefan Leyhe. Das erste Springen der Saison findet in Wisla (Polen) statt und damit ausgerechnet an Stefan Horngachers früherer Wirkungsstätte. Insgesamt hat der Weltcup in dieser Saison 21 Stationen. Allein fünfmal gastieren die weltbesten Springer in Deutschland: am 14. und 15. Dezember in Klingenthal, im Rahmen der Vierschanzentournee am 30. Dezember in Oberstdorf sowie am 1. Januar zum Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen, am 18. und 19. Januar in Titisee-Neustadt sowie am 8. und 9. Februar in Willingen. Nach dem Weltcupfinale Mitte März folgt vom 20. bis 22. März noch die Skiflug-Weltmeisterschaft in Planica (Slowenien).
Horngacher setzt neue Schwerpunkte
Auch nach dem Weggang von Werner Schuster wird der Verband nicht alles Bisherige über den Haufen werfen. „Wir wollen natürlich die Errungenschaften des Systems beibehalten – all das, was wir in den letzten Jahren aufgebaut haben", stellte Horst Hüttel, der Sportliche Leiter des DSV, im Interview mit „Skispringen.com" klar. „Das betrifft vor allem die Durchlässigkeit zwischen A-, B- und C-Kader sowie eine kollegiale Atmosphäre des Zusammenarbeitens in der Trainerschaft. Das war eines der Kernprobleme, als wir 2008 übernommen haben. Stefan hat das alles miterlebt und steht hinter dieser generellen Ausrichtung. Werner Schuster hat hier maßgebliche Arbeit geleistet, die wir so fortsetzen möchten", sagte Hüttel. Gleichwohl versucht der neue Cheftrainer einen etwas anderen Ansatz zu finden, damit die Athleten neue Reize bekommen für die Zukunft. Bis auf einen Coach gibt es einen komplett neuen Trainerstab – so fungiert etwa Mannschafts-Olympiasieger Martin Schmitt neuerdings als Talentscout. „Auch in der Herangehensweise Lehrgänge und Heimtraining haben wir Veränderungen eingeführt, inhaltlich dadurch auch wieder neue Schwerpunkte gewichtet", erklärte Stefan Horngacher. „Das sind unterm Strich genug Reize in der ersten Saison. Ich hoffe, dass die gut ausgebildeten Athleten noch einen Schritt vorankommen."
Beim Deutschen Skiverband ist man jedenfalls optimistisch. „Wir sind daher überzeugt, dass Stefan Horngacher mit neuen Impulsen die Erfolgsgeschichte im deutschen Skisprung fortführen wird", sagte die DSV-Sportdirektorin Nordisch/Biathlon Karin Orgeldinger. Die Adler sollen auch künftig so zustechen wie die Wespen, die kurzzeitig ihre Schanze besetzt hielten.