„Ein Spiegel unserer Gesundheit“

Dr. Dominik Nischwitz aus Tübingen hat sich der Biologischen Zahnmedizin verschrieben und landete mit „In aller Munde" einen Bestseller. Im Interview spricht er über sein Fachgebiet, den Zusammenhang zwischen Zahnproblemen und ernsthaften Erkrankungen und die Gefahr wurzelbehandelter „toter" Zähne.

Herr Dr. Nischwitz, Sie sind Zahnarzt sowie Heilpraktiker und arbeiten als biologischer Zahnmediziner. Was machen Sie bezüglich Vorgehensweise und Behandlung anders als ein üblicher Zahnarzt?

Ich betrachte die Biologische Zahnmedizin als Weiterentwicklung der klassischen Schulzahnmedizin. Sie geht insofern weiter, als dass sie Zähne und Mundhöhle nie isoliert betrachtet, sondern immer in Beziehung zum gesamten Organismus. Dementsprechend geht es bei der Behandlung nicht einfach darum, einen Zahn zu reparieren. Es geht darum, einem Patienten zur größtmöglichen Gesundheit zu verhelfen. Es ist bisher noch nicht so bekannt, aber als Zahnarzt ist man dafür an genau der richtigen Stelle, denn der Mund ist ein Spiegel unserer Gesundheit.

Warum können sich gerade Probleme mit den Zähnen auf den gesamten Körper auswirken und an der Entstehung ernsthafter Erkrankungen beteiligt sein?

Zähne und Mundhöhle sind sehr eng mit unserem Nerven- und Immunsystem verknüpft. Wenn hier Probleme wie chronische Entzündungen oder Materialunverträglichkeiten auftreten, dann werden diese beiden Supersysteme ununterbrochen erregt und der Mensch kann krank werden. Die Symptome können von Nackenschmerzen über ständige Infektanfälligkeit, dauernde Erschöpfung bis hin zu chronischen Krankheiten wie Autoimunerkrankungen, Allergien oder Unfruchtbarkeit reichen. Kaum jemand kommt aber auf die Idee, bei solchen Beschwerden im Mund nachzusehen. Dabei steckt hier sogar sehr oft die Ursache. Am häufigsten etwa als chronische Entzündungen an wurzelbehandelten Zähnen, in alten Extraktionswunden oder entzündetem Zahnfleisch.

Wie genau können durch Probleme mit den Zähnen Depression und chronische Müdigkeit oder Autoimmunerkrankungen entstehen?

Jede Unverträglichkeit und jede chronische Entzündung löst in unserem Körper eine Stressreaktion aus. Wenn etwa Füllmaterial aus Metall oder entzündete Wurzelspitzen die Ursache sind, ebbt die Stressquelle nie ab, sondern wirkt permanent auf den Organismus ein. Dieser Dauerstress kann eine ganze Fülle von Symptomen und Erkrankungen hervorrufen: Verdauungsprobleme, ständige Kopfschmerzen, Niedergeschlagenheit, erschöpfte Nebennieren oder Hormonstörungen. Verantwortlich ist dafür vor allem die anhaltende Wirkung der Stresshormone Cortisol und Noradrenalin. Aber auch von Entzündungsbotenstoffen, mit denen der Körper reagiert, weiß man heute, dass sie zum Beispiel eine Depression befeuern können. Im Grunde haben alle chronischen Erkrankungen, die uns Menschen heutzutage so zahlreich plagen, einen gemeinsamen Ursprung: chronische Entzündungen. Die Ursache kann unsere Ernährung sein, auf die unser Immunsystem ebenfalls entzündlich reagiert, Umweltbelastungen, aber eben auch Entzündungsherde in unserem Mund.

Wie ist der Zusammenhang von Problemen mit der Mundhöhle und Herzerkrankungen zu erklären?

Viele der Erkrankungen, die im Zusammenhang mit der Mundhöhle stehen, entstehen durch die beschriebene Wirkung auf das Immun- und Nervensystem. Also dann, wenn sich diese beiden Supersysteme mit andauernden Entzündungsherden oder Fremdmaterialien auseinandersetzen müssen. Bei Herzerkrankungen können Bakterienherde allerdings auch sehr viel unmittelbarer wirken. Es ist gut belegt, dass Mikroorganismen durch so alltägliche Handlungen wie Kauen oder Zähneputzen in die Blutbahn gelangen und sich dann an bestimmten Orten im Körper festsetzen. Es gibt bestimmte Stämme von Mundbakterien, die sich bevorzugt am Herzen ansiedeln und dort so schwerwiegende Erkrankungen wie die Herzinnenhautentzündung, die sogenannte Endokarditis, auslösen können.

Kürzlich wurde auch darüber diskutiert, ob der Auslöser für Alzheimer im Mund liegt. Können Sie das bestätigen?

Die genaue Ursache für Alzheimer ist bis heute nicht genau geklärt. Aber tatsächlich wurden in neueren Studien Bakterien in Rückenmark und Gehirn von Alzheimer-Patienten identifiziert, die auch bei der Parodontitis, der chronischen Zahnfleischentzündung, vorkommen. Aus Tierversuchen weiß man, dass diese Bakterien neurodegenerative Prozesse anstoßen können. In der Funktionellen Medizin wird Alzheimer bereits als Typ-3-Diabetes bezeichnet, sprich auch unsere Ernährung und Lebensweise spielen eine wichtige Rolle in der Entstehung. Ebenfalls wird ein Zusammenhang mit Schwermetallen und individuellen Entgiftungsproblematiken diskutiert.

Können schon kleine Löcher oder Zahnfleischentzündungen für den restlichen Körper gefährlich werden oder nur gravierende Zahnprobleme?

Im Grunde ist jedes Loch oder jede Entzündung ein Zeichen dafür, dass im Körper etwas nicht stimmt, dass der Körper irgendeine Form von Mangel nicht mehr kompensieren kann. Die oberste Zahnschicht, der Zahnschmelz, verliert im Laufe des Tages immer wieder ein wenig Substanz. Wenn diese Verluste – zum Beispiel durch säureproduzierende Speisen wie Zucker oder Weißmehlprodukte – nicht zu häufig sind und wir außerdem gut mit Nährstoffen versorgt sind, dann kann unser Körper die verlorene Substanz auch schnell wieder ersetzen. Haben wir aber einen Nährstoffmangel, dann ist dieser Vorgang gestört. Ohne ausreichend Substanz funktioniert dieser natürliche Reparaturprozess einfach nicht mehr. Bei der Zahnfleischentzündung neigt man außerdem dazu, sie zu unterschätzen. Uns kommt es vielleicht so vor, als sei der rote, blutende Zahnsaum gar nicht so groß und dramatisch. Aber zusammengenommen kann die betroffene Fläche schnell mal handtellergroß sein. Und eine ständig entzündete Fläche dieser Größe hat natürlich eine enorme Auswirkung auf den Organismus.

Sie sagen, dass das größte Problem nicht bemerkte chronische Entzündungen sind. Wie findet man heraus, ob man eine solche hat?

Das ist in der Tat ein Problem. Klassische Zahnärzte sind sehr darauf geschult, erst bei eindeutigen Schmerzen zu reagieren. Aber man sagt auch nicht ohne Grund „Tote Zähne schreien nicht" und chronische Entzündungen bezeichnet man nicht ohne Grund auch als stille Entzündungen. Man spürt sie lange eben nicht. Über ihre Gefährlichkeit sagt das allerdings nichts aus. Schilddrüsenprobleme tun nicht weh, genauso wenig wie Diabetes oder Bluthochdruck. Ich würde deshalb jedem raten, der unter Symptomen leidet, für die es scheinbar keine Erklärung gibt, hartnäckig nach der Ursache fahnden zu lassen – auch beim Zahnarzt. Durch eine Röntgen-Panoramaaufnahme kann ein biologisch geschulter Zahnarzt schon einen sehr guten Eindruck bekommen, ob sich etwa an den Wurzelspitzen Entzündungen abspielen. Noch besser versteckt sind Entzündungsherde in den Kieferknochen, so genannte NICOs, die sich erst in einer 3D-Aufnahme zeigen.

Welche Probleme kann es durch wurzelbehandelte Zähne geben?

Aus Sicht der Biologischen Zahnmedizin sind tote und wurzelbehandelte Zähne problematisch. Eine Wurzelbehandlung stillt den oft extremen Schmerz einer Zahnwurzelentzündung, und wenn sie glückt, kann der Patient ganz normal weiterkauen. Darüber ist jeder Betroffene sicher erst mal froh. Kaum thematisiert wird aber, dass die vermeintliche Rettung zahlreiche Probleme bereiten kann. Bei manchen so behandelten Zähnen passiert das früher, bei anderen später. Bei einer Zahnwurzelbehandlung entfernt der Arzt das einst vitale Gewebe eines Zahns, die Pulpa. Im besten Falle geschieht das sehr gründlich, es geschieht aber niemals, nicht einmal mit den modernsten Apparaten, völlig vollständig. Denn Zahnwurzeln haben sehr individuelle Krümmungen und kaum erreichbare Abzweigungen. Zudem beschränkt sich die Pulpa nicht nur auf die Zahnwurzeln, sondern reicht über feinste Kanälchen weit in das Zahnbein hinein. Diese mikrokleinen Dentinkanälchen ergeben zusammengelegt eine Länge von etwa einem Kilometer – pro Zahnwurzel. Für jede Reinigung bleiben sie unerreichbar, stellen so ein perfektes Reservoir für die Besiedlung durch Mikroorganismen dar – und sind dann sehr oft die oben erläuterte Quelle einer chronischen Entzündung.

Was raten Sie bezüglich der Behandlung dieser toten Zähne?

Das kommt immer etwas darauf an, welches Ziel man verfolgt. Man kann mit einem wurzelbehandelten Zahn sicher eine Zeit lang leben. Einem Menschen, der entweder chronisch krank ist, oder dessen Ziel maximale Gesundheit ist, würde ich aber raten, so einen Zahn entfernen und durch ein Keramikimplantat ersetzen zu lassen. Implantate aus Zirkon­dioxid sind derzeit die biokompatibelsten Materialien, die verfügbar sind. Sie haben so gut wie kein Allergiepotenzial, wachsen gut ein und weil sie weiß sind, sind sie außerdem hochästhetisch.

Gibt es Studien, die den Zusammenhang mit schwerwiegenden Erkrankungen belegen?

Da gibt es sogar sehr viele: Der Zusammenhang zwischen Zähnen und Herzerkrankungen oder Diabetes und Parodontitis ist heute gut belegt. Und dann gibt es noch sehr viele Studien zu einzelnen Bereichen, die aber leider nicht den richtigen Zusammenhang herstellen. Die toxische Wirkung von Metallen zum Beispiel ist gut erforscht, aber eben im Zusammenhang mit der Biochemie und nicht der Zahnmedizin. Die Wirkung von chronischem Stress ist sehr gut belegt, aber wir richten dabei den Fokus stets auf die äußeren Stressquellen, die inneren werden übersehen. Das ist auch der Grund, warum manche konventionellen Ärzte der Biologischen Zahnmedizin gegenüber skeptisch sind und die Studienlage monieren. Dabei würde es schon helfen, als Arzt auch mal rechts und links seiner Profession zu gucken und in größeren Zusammenhängen zu denken.

Sie sagen, Metalle in der Mundhöhle seien eine schlechte Lösung. Sollte man dann auch von gängigen Implantaten Abstand nehmen?

Meiner Meinung nach haben Metalle in der Mundhöhle nichts zu suchen, weil sie auf vielen Ebenen problematisch werden können. Sie können einerseits wie eine ständige niedrig dosierte Vergiftung auf den Körper wirken – das ist der toxikologische Aspekt. Die Symptome können zum Beispiel sein, dass jemand sich ständig schlapp fühlt und einfach nicht mehr so leistungsfähig ist wie einst. Auch ständige Schwellungen des umliegenden Gewebes sind möglich, weil das Immunsystem häufig mit einer Entzündung auf Metalle reagiert, vor allem wenn man gleichzeitig auch noch allergisch auf das verwendete Material ist. Denn ­Metalle haben im Körper ein hohes Allergiepotenzial – das ist die immunologische Wirkung. Das bedeutet aber nicht, dass die Betroffenen dann klassische Allergieanzeichen wie Hautausschlag oder Dauerniesen zeigen. Allergien können sich auch in ständiger Leistungsminderung äußern oder in der Unverträglichkeit völlig anderer Stoffe, weil unser Immunsystem aufgrund der Dauerreizung regelrecht entgleist und überreagiert. Wenn wir bei unseren Patienten Metalle entfernen, berichten sie später oft, dass sie plötzlich wieder Dinge vertragen, die vorher nicht mehr möglich waren, weil das Immunsystem wieder toleranter werden kann, wenn man ihm eine Dauerbelastung abnimmt. Gar nicht selten und problematisch sind außerdem verschiedene Metalle untereinander. Sie können einen sogenannten Batterieeffekt auslösen: Das heißt, zwischen ihnen fließt regelrecht Strom, der Speichel dient als Leiter. Dazu reicht es schon, wenn man etwa eine Amalgamfüllung und ein ­Titanimplantat im Mund hat. Es kann aber auch bei edelmetallhaltigen Kronen der Fall sein, die unterschiedlichen Datums sind, da die Legierungen oft einen unterschiedlichen Anteil an Metallbestandteilen enthalten. Heute stehen der Zahnmedizin ausreichend metallfreie Alternativen zur Verfügung. Hat ein Patient Metalle im Mund und leidet unter chronischen Krankheiten, dann würde ich zur Entfernung aller Metalle unter bestimmten Schutzmaßnahmen raten. Handelt es sich um Quecksilber, muss mindestens ein Kofferdamm benutzt werden, der das Verschlucken herausgebohrter Amalgamspäne verhindert. Frischluftzufuhr und eine Absaugvorrichtung schützen vor dem Einatmen giftiger Dämpfe. Zudem sollte das Bohren bei niedriger Drehzahl erfolgen, um Quecksilberdämpfe zu verhindern. Es ist auch immens wichtig, dass sich der Zahnarzt und die Assistenz vor den frei werdenden Dämpfen schützen.

Warum werden die Leistungen der Biologischen Zahnmedizin nicht von der Kasse bezahlt?

Von den Krankenkassen werden nur wirtschaftliche und notwendige Dinge bezahlt. Es geht also darum, den Kauapparat in seiner Funktion des Kauens wiederherzustellen. Welche Art von Material dabei verwendet wird, spielt aus Kassensicht zunächst keine Rolle. Eine Wurzelbehandlung wird von den Kassen ebenfalls nur bezahlt, wenn sie wirtschaftlich ist, weshalb die gut gemachten Wurzelbehandlungen bei einem Spezialist für Endodontologie auch immer privat bezahlt werden müssen. Implantate, ob Titan oder Keramik, sind nicht im Krankenkassensystem enthalten, da man ja auch mit einer Prothese leben und beißen kann.

Ist die professionelle Zahnreinigung beim Zahnarzt, die von vielen Zahnmedizinern intensiv beworben wird, wirklich so zu empfehlen?

Absolut. Man selbst bekommt seine Zähne einfach nicht so gründlich sauber wie während so einer professionellen Reinigung. Neben der richtigen Ernährung ist das die wichtigste Grundlage für Langlebigkeit und Gesundheit unserer ­Zähne. Ich selbst betrachte sie eher wie eine Schönheitsbehandlung – denn hinterher sind die Zähne außerdem schön weiß und poliert.

Wie sieht die optimale Zahnpflege aus?

Fokus weg von der antibakteriellen Devise, die auf Eliminierung von Bakterien setzt, hin zu Stärkung der guten Bakterien. Das funktioniert vor allem mit einer guten Ernährung: So wenig Zucker und Weißmehl wie möglich, so viele naturbelassene Lebensmittel wie möglich. Das hält nicht nur die Mundflora im Gleichgewicht, das stärkt und nährt den gesamten Körper. Ansonsten einmal am Tag gründlich Putzen, wer die Ernährung nicht gut im Griff hat, lieber zweimal. Und lieber elektronisch statt manuell, noch besser mittels Ultraschallbürste.

Welche Fehler kann man beim Zähneputzen machen?

Zu fest schrubben – das kann so weit führen, dass sich das Zahnfleisch zurückzieht und die Zahnhälse empfindlich werden.

In den letzten Jahren betrachten viele Fluorid in Zahncremes kritisch. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Ich stehe dem Thema ebenfalls kritisch gegenüber. In der Biologischen Zahnmedizin wird kein Fluorid verwendet. Aus meiner Sicht ist das Chemie, auf die man gut verzichten kann, wenn die Ernährung, Nährstoffversorgung sowie die Mundhygiene stimmen.

Manche Menschen naschen viel, ohne dass ihre Zähne Schäden davontragen, manche ernähren sich gesund und haben des Öfteren Karies. Woran liegt das? Spielt hier die Veranlagung eine Rolle?

Ein Mensch, der sich gesund ernährt und sich an die genannten Hygieneempfehlungen hält, wird kaum Probleme mit Karies bekommen. Statt Veranlagung verantwortlich zu machen, sollte man eher kritisch betrachten, was wir als gesund bezeichnen. Ein Müsli am Morgen oder ein Vollkornbrötchen ist es sicher nicht, auch wenn viele das vielleicht denken. Vieles was uns heutzutage als gesunde Ernährung verkauft wird, enthält in Wahrheit dann leider doch viel zu viel Zucker oder raffiniertes Mehl und schlechte Fette. Wirklich gesund sind vor allem die Lebensmittel, die wir auch als Jäger und Sammler als solche erkannt hätten. Also im Grunde alles, was wir entweder jagen oder ernten können.