Er gilt als der beste Fußballer überhaupt: Edson Arantes do Nascimento, genannt Pelé. Dreimal wurde er mit Brasilien Weltmeister, auch im Verein holte er mehr als zwei Dutzend Titel. Pelé war technisch brillant, seine Ballbehandlung unnachahmlich. Sein 1.000. Tor erzielte er am 19. November 1969 jedoch nur per Strafstoß.
Eine solche Situation hatte Edgardo Andrada auch noch nicht erlebt. Normalerweise war der Torhüter das große Idol der Anhänger des brasilianischen Fußballclubs Vasco da Gama. Doch als der Schiedsrichter am 19. November 1969 beim Spiel Vasco da Gamas gegen den FC Santos in der 78. Minute Elfmeter gegen seine Mannschaft pfiff, stellten sich auf einmal sogar die eigenen Fans gegen ihn. Hätte Andrada den Strafstoß gehalten, hätte niemand gejubelt – stattdessen hätte ihn wohl das ganze Stadion ausgebuht. Immerhin stand er in dieser Situation nicht irgendjemandem gegenüber, sondern dem Idol eines ganzen Landes: Edson Arantes do Nascimento, genannt Pelé. Und dessen Tor vom Elfmeterpunkt war eben nicht irgendeines, sondern ein historisches.
Der verwandelte Elfmeter bedeutete den 1.000. Treffer in der Karriere des womöglich besten Fußballers der Geschichte dieses Sports. Nachdem der Ball im Netz lag, stürmten die Zuschauer den Platz, die Partie musste für 25 Minuten unterbrochen werden. „Pelé, Pelé"-Sprechchöre hallten durchs weite Rund, und die Fans trugen ihr Idol auf Schultern durchs Stadion. Im allgemeinen Getümmel gelang es einigen Fans von Vasco da Gama sogar, dem Santos-Stürmer sein Hemd zu entreißen und ihm dafür ein Trikot ihres Clubs mit der Rückennummer 1.000 überzuziehen. Ein weiterer Beleg dafür, wie sehr die Vereinsgrenzen an diesem besonderen Abend verschwammen.
Jubiläumstor wurde zur echten Belastung
Kurz darauf wurde Pelé ausgewechselt. In der Umkleidekabine ließ er das gerade Erlebte erst einmal auf sich wirken. Seinen 1.000. Treffer hatte er sich eigentlich anders vorgestellt – grandioser, spielerischer. Schließlich war ein Elfmeter für ihn „die feigste Art, ein Tor zu erzielen". Doch nun war er froh, dass es endlich vorbei war. In den vergangenen Wochen, in denen die historische Marke immer näher rückte, war der Druck auf ihn immer größer geworden, der Medienrummel war enorm. „Ich war nervös wie ein Jüngling", erzählte er später. „Ich wünschte mir so sehr, dass ich endlich dieses verflixte Tor schießen würde, damit ich endlich wieder meine Ruhe hätte. Ich sah die schreckliche Vision vor mir, dass ich jahrelang kein Tor mehr schießen würde und immer noch hinter dieser Zahl 1.000 herliefe. Wenn ich nur in die Nähe des Torraums kam, gab es ein Blitzlichtgewitter der Fotografen von allen Seiten des Netzes, das mich irritierte. Ich konnte mir vorstellen, dass Zeitungen und Radiostationen in der ganzen Welt ärgerlich wurden – sie hatten Korrespondenten hergeschickt, die täglich viel Geld kosteten, aber nie die erwartete Geschichte ablieferten. Die aufgebauten Kameras wirkten auf mich wie die gläsernen Augen irgendeines gefühllosen Monsters."
Als es dann endlich vollbracht war, läuteten in ganz Brasilien die Kirchenglocken. Für den nächsten Tag bekamen die Kinder schulfrei. Staatspräsident Emílio Médici gratulierte öffentlich und überreichte Pelé einen goldenen Ball; die Post gab eine Sonderbriefmarke heraus. Als „O Rei do Futebol", der König des Fußballs, sein Land ein Jahr später dann auch noch zum dritten Weltmeistertitel führte, erklärte ihn die Regierung sogar offiziell zum unverkäuflichen Nationalheiligtum.
„Wenn er einen Freistoß ausführte, wollten sich die Spieler, die die Mauer bildeten, am liebsten umdrehen, um sich das Tor nicht entgehen zu lassen", so hat der uruguayische Dichter Eduardo Galeano seine Bewunderung für Pelé in Worte gefasst. Er selbst sagte über sich: „Michelangelo hat gemalt, Beethoven Klavier gespielt und ich Fußball." Dreimal – 1958, 1962 und 1970 – wurde Pelé mit Brasilien Weltmeister, das hat bis heute kein anderer Spieler geschafft. Mit dem FC Santos holte er insgesamt 26 nationale und internationale Titel, darunter zweimal (1962 und 1963) den Weltpokal.
Insgesamt 1.281 Tore in seiner Karriere
Insgesamt erzielte Pelé in seiner Karriere 1.281 Tore in 1.363 Spielen. Allein in der Saison 1959 gelangen ihm 127 Treffer, 1964 waren es einmal acht Buden in einem Spiel. Außer ihm haben nur vier weitere Spieler mehr als 1.000 Tore zu Buche stehen: seine Landsleute Romario (1.002) und Artur Friedenreich (1.329), der Österreicher Franz Binder (1.006) sowie Gerd Müller mit 1.461 Treffern.
„Dieser Junge wird der beste Fußballspieler der Welt", hatte sein Entdecker und Förderer Waldemar de Brito, selbst ehemaliger Nationalspieler, schon 1956 prophezeit, als er seinen Schützling zum Probetraining zum FC Santos brachte. Drei Jahre zuvor war er bei einem Straßenturnier auf das Talent aufmerksam geworden. „Er hatte Würmer, schlechte Zähne, war unterernährt", berichtete de Brito später. Tatsächlich wuchs Pelé in bescheidenen Verhältnissen auf. Als Kind verkaufte er Nüsse oder putzte Schuhe, um Geld für die Familie zu verdienen, doch am liebsten stand er auf dem Fußballplatz. Sein Vater war ebenfalls Kicker gewesen, bis eine Knieverletzung seiner Karriere ein jähes Ende setzte. Seine Hoffnung war deshalb, dass sein Sohn einmal das erreichen könnte, was ihm selbst nicht vergönnt war.
Mit 17 Jahren bereits Weltmeister
Mit 15 Jahren unterschrieb Pelé beim FC Santos seinen ersten Profivertrag und wurde umgehend zum Stammspieler. Nur ein Jahr später debütierte er in der Nationalmannschaft, als 17-Jähriger fuhr er 1958 zur Weltmeisterschaft nach Schweden. Mit 17 Jahren und 238 Tagen erzielte er im Viertelfinale gegen Wales sein erstes WM-Tor – bis heute ist er damit der jüngste WM-Torschütze überhaupt. Es folgte ein Hattrick innerhalb von nur 22 Minuten im Halbfinale gegen Frankreich sowie zwei weitere Treffer beim 5:2-Erfolg im Endspiel gegen Gastgeber Schweden. Pelés Stern war endgültig aufgegangen.
Vier Jahre später holte er bereits seinen zweiten WM-Titel, auch wenn das Turnier in Chile für ihn aufgrund einer Oberschenkelverletzung schon nach zwei Spielen beendet war. Längst war Pelé vom Gegner oft nur noch durch Fouls zu stoppen. 1966 wurden die Brasilianer von einer überhart auftretenden portugiesischen Mannschaft aus dem Turnier getreten und scheiterten bereits in der Vorrunde. Doch die Südamerikaner schlugen zurück und gewannen 1970 in Mexiko durch ein 4:1 im Finale gegen Italien zum dritten Mal den WM-Pokal, womit der „Coupe Jules Rimet" für immer in ihren Besitz überging.
Ursprünglich sollte Pelé gar nicht nominiert werden – Nationaltrainer João Saldanha bemängelte, er sei zu dick, nicht fit und außerdem kurzsichtig. Das grenzte in Brasilien schon an Majestätsbeleidigung, weshalb Saldanha kurz vor dem Turnierstart seinen Posten räumen musste. Pelé spielte in Mexiko und zeigte sich in überragender Verfassung. Italiens Abwehrspieler Tarcision Burgnich meinte nach dem klar verlorenen Endspiel: „Vor dem Endspiel sagte ich zu mir: Pelé ist aus Fleisch und Knochen, so wie ich. Danach erkannte ich, dass ich Unrecht hatte."
Gelebter Traum vom sozialen Aufstieg
Bis heute gilt Pelé als der vollkommene Fußballspieler. Er war ein Instinktfußballer, schnell und technisch brillant, mit einem harten Schuss und unnachahmlicher Ballbehandlung ausgestattet. Sein Spiel kannte keine Schwächen. Gleichzeitig blieb er stets bescheiden, ehrlich und großzügig. Nach seinem 1.000. Treffer rief er den Reportern entgegen: „Nun, da mir alle zuhören: Helft den Kindern, helft den Hilfsbedürftigen! Das ist mein einziger Wunsch an diesem für mich besonderen Abend!"
Der heute 79-Jährige verkörperte den Traum vom sozialen Aufstieg – er war der erste dunkelhäutige Superstar des Sports. Als Pelé am 18. Juli 1971 sein letztes Länderspiel bestritt, riefen die 180.000 Besucher im Maracana-Stadion in Rio de Janeiro „Fica, fica!", „Bleib doch, bleib!" Am 2. Oktober 1974 bestritt er sein letztes Spiel für den FC Santos, danach trug er von 1975 bis 1977 noch einmal für drei Jahre das Trikot von Cosmos New York, wo er unter anderem zusammen mit Franz Beckenbauer auflief. Nach dem Ende seiner aktiven Karriere war Pelé unter anderem als UN-Sonderbotschafter für zahlreiche Entwicklungsprojekte tätig, 1994 wurde er Sportminister seines Landes. Bis heute ist er nicht nur für viele Brasilianer ein Vorbild, sondern weit über die Landesgrenzen hinaus. Oder wie es ein brasilianischer Journalist einmal ausdrückte: „Sogar der Spielball bat Pelé um ein Autogramm."