In Indonesien gibt es neben Traumstränden auch wundersame Wildnis zu bestaunen. Im Komodo-Nationalpark sind die prähistorischen Warane zu Hause.
Baron Rudolf von Reding ging als Reisender in die Welt – und kehrte nicht aus ihr zurück. Die Art seines Verschwindens übt bis heute eine gewisse Faszination aus. Hoch auf einer entlegenen Erhebung der indonesischen Insel Komodo erinnert ein schlichtes weißes Holzkreuz an den Adligen aus der Schweiz und die nie restlos aufgeklärten Umstände seines Todes. Nur selten verirren sich Touristen hierhin. Zu weit, zu heiß, zu unwirtlich. Zu viel Wildnis wohl auch. Genau diesem Ruf der Wildnis wollen wir folgen. Solange es noch möglich ist. Denn der zuständige Gouverneur der Region will Komodo, Hauptinsel des gleichnamigen Nationalparks und Heimat der Warane, schließen. Zum Schutz der Drachen, wie die Warane von den Einheimischen auch genannt werden. Vielleicht aber auch nur, behaupten Kritiker, weil es ums bloße Geschäft geht. In jedem Fall sorgte die Ankündigung über Monate für reichlich Zündstoff, vor allem in der Tourismusbranche.
In Labuan Bajo begrüßt uns die vierköpfige Mannschaft einer Pinisi. Von den Traditionsbooten mit den charakteristischen Masten gibt es in der Hafenstadt von Flores etliche. Die meisten sind Nachbauten und dienen nicht wie ehedem dem Fischfang, sondern einem modernen Zweck: Sie bringen Touristen in den Nationalpark. Zu dem gehören die Inseln Rinca, Padar, Komodo und ein paar kleinere.
Die Touren sind nicht billig
Unsere Pinisi wird uns drei Tage beherbergen. Die Touren sind nicht ganz billig. Oft lassen sogar Komfort und Hygiene zu wünschen übrig. Nichts für empfindliche Seelen. Dafür wird einem hier, rund tausend Kilometer südlich des Äquators, Einmaliges geboten. Ein großes Schauspiel der Natur. Rosafarbene Sandstrände. Mangroven. Eine atemberaubende Unterwasserwelt. Und eben jene bizarren prähistorischen Riesenechsen.
Mit lautem Bootsmotor geht es Richtung Rinca. Theo, der Guide unserer Crew, klärt uns auf: „Auf Rinca leben circa 1.500 Warane. Auf Komodo sind es nur etwa 1.300. Früher gab es auch auf Flores und auf Padar welche." Die Zahlen sind rückläufig, sagen Forscher. Der Klimawandel macht auch vor Indonesien mit seinen insgesamt 17.000 Inseln nicht halt. Und dann gibt es da noch das Problem mit den Wilderern. Hirsche werden gejagt, Wasserbüffel. Aber eben auch die Nachkommen der Saurier, die so mächtigen und eindrucksvollen Warane. Die örtliche Polizei und die Küstenwache sind nicht hinreichend ausgestattet, um permanenten Schutz zu gewährleisten. Es fehlt an Speedbooten, Waffen, Radaranlagen für das zu bewachende große Areal.
Was für eine fantastische Welt! Überall Inseln. Kleine, große, bewohnte, unbewohnte. Und was für Formen! Verschlungen. Dazu das Meer. Ein Leuchten! Und so klar. Das abgenutzte Attribut „paradiesisch" ersparen wir uns. Außerdem darf man bei aller Schönheit seinen kritischen Blick fürs Ganze nicht verlieren. Indonesien hat ein verdammtes Müllproblem. Nicht nur an den vermeintlichen Traumstränden Balis. Auch hier in der Abgeschiedenheit. Immer wieder entdecken wir von unserem Kutter aus Treibgut: Tüten, Wasserflaschen und Plastikkanister. Theo, der in einem Bergdorf neben dem Haus einer Lehrerin lebt, meint: „Es gibt keine gute Pädagogik hier mit Natur. Es ist schlimm." Die wenigsten denken so. Warum die Indonesier ihren Plastikmüll so achtlos in die Natur werfen, fragen wir einmal einen Mitarbeiter einer Reiseagentur auf Flores und erhalten eine verblüffende Antwort: „Die Affen sind das. Die nehmen den Müll aus den Mülltonen, spielen damit und werfen ihn weg." Klare Kiste, denken wir und lachen: Die Affen sind schuld …
Nach gut drei Stunden Fahrt mit unserer Knatterbüchse erreichen wir Rinca. Ein Ranger erwartet uns am Eingang des Parks. Und auch eine erquickliche Anzahl Menschen, Reisegruppen aus aller Herren Länder. Viele von ihnen ausgestattet mit Smartphone und Selfiestick. Einige schlendern mit Clogs oder Badelatschen und einer immensen Portion Selbstverliebtheit über die Insel. Haare werden gerichtet, das Gesicht mit Kussmund ins Halbprofil gedreht, der Auslöser betätigt. Dass man sich durch die Wildnis bewegt, scheint nicht bei allen angekommen zu sein. Auf den Inseln gibt es auch Schlangen, Speikobras zum Beispiel.
Die ersten Warane lassen nicht lange auf sich warten, liegen schlaff neben den Ranger-Häusern und rufen unterschiedliche Reaktionen hervor. „Was für putzige Tierchen!", meinen die einen. „Wie hässlich!", sagen andere. Und eine dritte Gruppe zollt den Tieren jenen Respekt, den sie verdienen. Was auch Sinn macht, denn um zu den Komodo-Waranen zu gelangen, muss man weit reisen. Die bis zu drei Meter langen und bis zu 150 Kilogramm schweren Warane Zeugen einer längst vergangenen Zeit. Auch intelligent sind sie. Warane können zählen. Wer die Tiere, die einen Großteil des Tages träge im Schatten dösen, unterschätzt, macht einen Fehler. Warane sind behender, als sie glauben lassen. Selbst Treppensteigen ist für die Riesenechsen kein Problem.
Komodo abseits der Touri-Trails erkunden
Nach den Waranen von Rinca und einem famosen Sonnenuntergang, der wegen ihrer Tektonik beliebten Insel Padar, steuern wir am zweiten Tag Komodo an. Diesmal wollen wir nicht den üblichen Touri-Trails folgen, von denen der längste, es gibt sie in je drei Niveaustufen, einer Wanderung von einer Stunde entspricht. Tasrif, unser Ranger, soll uns nach Poreng bringen, gegen eine kleine Sonderzahlung. Nach Poreng marschierte auch Rudolf von Reding. Tasrif, der im Komodo-Dorf geboren wurde, kennt die Geschichte, von der einige behaupten, sie sei frei erfunden, gut. Ebenso den verwilderten Weg zum Gipfel. „Baron von Reding war mit einer Gruppe von 25 Leuten unterwegs", erzählt Tasrif. „Zwei Männer im Sarong aus meinem Dorf führten die Gruppe an. Ranger gab es damals noch nicht. Ziegen als Opfergaben für die Warane waren auch dabei."
Ein Waran mit heraushängender Zunge kreuzt am Anfang unseren Weg. Im Laufen zeigt sich die gewaltige Kraft der Tiere, die Arbeit der Muskeln mit jedem Schritt, die abgespreizten scharfen Krallen, der prüfende Blick und diese unverschämt lange Zunge, die Beutetiere und Blut über Kilometer ausmachen kann. Bald stoßen wir auf ein Schild: Poreng fünf Kilometer, Bukit Rudolf vier Kilometer. Ab jetzt geht es bergauf. Die reinste Tortur. Wegen der extremen Trockenheit. Wegen der sengenden Hitze. Alle paar Meter passiert Unerwartetes. Firebirds und Kakadus fliegen erregt auf, Wildschweine streifen durchs Unterholz, Makaken schwingen von Ast zu Ast. Und dann ist da noch der schrille Gesang der Zikaden. Je schriller ihr Gesang, desto unbarmherziger ist die Sonne, bilden wir uns ein. Unsere Rücken sind längst klitschnass, das Gesicht glüht, und dieses so kräfteraubende Glühen wird man nicht mehr los. Einmal an einem ausgetrockneten Flusslauf verliert Tasrif die Spur, wir müssen wieder ein Stück zurück, bis wir den Pfad, der offensichtlich schon lange nicht mehr betreten wurde, wiederfinden.
Immer häufiger sind Pausen nötig. Aber Schatten ist hier oben Mangelware. Auch das Wasser geht zur Neige. Einmal finden wir eine Palmengruppe, setzen uns in den Sand. Eine schlechte Idee. Der Boden ist voller Ameisen. Nach über zwei Stunden erreichen wir den Gipfel und das Kreuz, völlig erschöpft. Auf dem Grab – besser Gedenkkreuz lesen wir: „In memory of Baron Rudolf von Reding, disappeared on this island", am 18. Juli 1974.
Immer wieder werden Menschen Opfer von Waranen – aus Unachtsamkeit. Besonders spielende Kinder aus dem Komodo-Dorf sind gefährdet. Lange Zeit glaubte man, Bakterien im Speichel der Warane würden zu Lähmungen führen. Inzwischen weiß man, dass die Urzeitechsen auch Gift absondern. Beutetiere, die gebissen werden, haben keine Chance. Die Warane warten, dann fallen sie über ihr Opfer her. Rudolf von Reding, der sich von der Gruppe entfernte, um Fotos von der Landschaft zu machen, muss Ähnliches widerfahren sein. Was man von ihm fand, war nicht viel. Seine zerbrochene Kamera. Die Brille mit Blutspuren. Und ein paar Meter weiter im Warankot Haare von ihm als einzige sterbliche Überreste.
Schnorcheln am „Manta Point"
Dass es diese so schweren Tiere auch auf und über die Berge schaffen und dass der Mensch auch dort auf der Hut sein muss, verblüfft. Aber es ist tatsächlich so. Warane können extreme Entfernungen zurücklegen, vor allem wenn sie Aas riechen. Man glaubt es kaum, aber auch auf Bäume können selbst noch ausgewachsene Exemplare klettern. Zwar kommen sie nicht mehr ganz so hoch wie die Jungtiere, die permanent Gefahr laufen, von ihren kannibalischen Artverwandten verspeist zu werden, aber zwei, drei Meter am Baumstamm empor packen sie locker. Menschen auf der Flucht vor den Raubtieren tun also gut daran, höher zu klettern.
Es ist an der Zeit, langsam Abschied zu nehmen und in Reichweite der Drachensinsel bei einem anderen Ereignis wieder Kräfte aufzutanken. Und genau da dringt die Botschaft durch. Während wir am dritten Tag am „Manta Point", einem Komodo vorgelagerten Riff, zwischen Mantarochen, Meeresschildkröten und einem Schwarzspitzenriffhai umherschnorcheln, um danach die Rückreise nach Flores anzutreten, verkündet die Zentralregierung in Jakarta das, worauf viele gewartet haben: Komodo wird 2020 nicht geschlossen und die für Rinca geplanten Luxuseintrittsgelder in Höhe von 500 US-Dollar werden nicht erhoben. Ein Glück für die Hoteliers von Flores, die mit Buchungsrückgängen zu kämpfen hatten. Und ein Glück für all jene, die die Wildnis unserer Erde zu schätzen wissen und die die weite Anreise zu den Echsen des Nationalparks, seit 1991 Unesco-Weltnaturerbe, nicht scheuen.