Zum ersten Mal in der Bundesliga-Geschichte hat der FC Bayern für die früheste Trainerentlassung der Saison gesorgt. Aber Niko Kovac hatte es in den knapp anderthalb Jahren in München auch nie leicht.
Am Tag, nach dem Trainer Niko Kovac gehen musste, zog Uli Hoeneß ein zufriedenes Fazit. „Ich finde, wir haben das gut gemacht", sagte der da noch amtierende Präsident des FC Bayern und begründete das wie folgt: „Wir haben mit Niko Kovac ein prima Auskommen gehabt, wir haben ein gegenseitiges Einvernehmen erzielt. Es gibt keine schmutzige Wäsche mit Niko." Das mag mit Bezug auf den Abschied stimmen, wie Kovacs Abschiedsbrief an das Team zeigte. Doch nahezu alle Beobachter sind sich einig: In der Amtszeit von Niko Kovac haben sie es beim FC Bayern sehr oft gar nicht gut gemacht. Sie haben ihn als recht jungen und unerfahrenen Coach aus Frankfurt geholt, ihm im ersten Jahr kaum Neuzugänge zur Verfügung gestellt und ihn danach öffentlich immer wieder geschwächt oder zumindest nicht gestärkt. Und zwar in einem solchen Ausmaß, dass viele Kollegen, aber auch viele Experten und Fans unterschiedlichster Vereine sowohl Mitleid als auch Bewunderung für den tapferen Kovac empfanden. Weil er sich nie über die Umstände beklagte, weil er immer Gentleman blieb, immer die Contenance bewahrte und als gefühlter Einzelkämpfer große Beharrlichkeit zeigte.
Chronische Unzufriedenheit trotz vieler Erfolge
„Das, was im Moment da passiert, ist sehr, sehr unglücklich", hatte Fortuna Düsseldorfs Trainer Friedhelm Funkel schon im Mai gesagt: „Aber wie Niko mit dieser Sache umgeht, ist fantastisch. Und wie er die anfängliche Krise unter diesem Erfolgsdruck in den Griff bekommen hat, da kann ich als erfahrener Trainer nur den Hut vor ziehen." Am Ende ging Kovac wohl mehr oder weniger freiwillig, kam damit aber nur einer baldigen Entlassung zuvor. Und das 33 Tage nach einer 7:2-Sternstunde in der Champions League bei Vorjahresfinalist Tottenham Hotspur. Man kann ja eigentlich nicht sagen, dass es beim FC Bayern nicht läuft. Auch wenn die Münchner seit dem Triumph 2013 nicht mehr das Endspiel der Champions League erreichten, legten sie mit sieben Deutschen Meistertiteln in Folge eine unglaubliche Serie hin. Dennoch hat man das Gefühl einer ständigen Unzufriedenheit, die nicht nur an den zweifellos hohen Ansprüchen des Vereins liegt.
Das Ur-Problem lag wohl meist in der Konstellation mit Hoeneß und Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge begründet. Die beiden haben als Spieler wie Funktionäre höchste Verdienste um den FC Bayern, und oft waren ihre unterschiedlichen Meinungen auch befruchtend.
Das Problem der jüngeren Vergangenheit: Beide sind gnadenlose Alphatiere. Beide lagen in ihren Vorstellungen oft meilenweit auseinander. Beide spielten gerne Machtspiele gegeneinander. Und beide ließen das hier und da auch durchblicken. Das war das Grundübel, warum beim FC Bayern zuletzt kaum ein Trainer in Ruhe arbeiten konnte und auch viele Spieler und Funktionäre ihre Probleme hatten. Denn quasi jeder war entweder ein Rummenigge-Mann oder ein Hoeneß-Mann – und hatte den jeweils anderen in entscheidender Funktion als Skeptiker im Rücken. Und an der Spitze herrschte fast immer eine nicht immer gesunde Reibung.
„Wir haben den Satz von Winston Churchill gelebt: ‚Wenn zwei Menschen die gleiche Meinung haben, ist einer überflüssig.‘ Und von uns wollte keiner überflüssig sein", sagte Rummenigge. Hoeneß erklärte: „Es ist richtig, dass es in der einen oder anderen Sachfrage zwischen uns immer wieder unterschiedliche Auffassungen gab. Das war aber nicht nur im letzten Jahr so, sondern die letzten zehn Jahre. Wir hatten Auseinandersetzungen, bei denen es im Raum auch mal lauter wurde." Aufsichtsratsmitglied Edmund Stoiber hatte sogar erklärt, Hoeneß trete wegen dieser „Zwistigkeiten" zurück, wie „unterschiedliche Auffassungen in der Trainerfrage" – also um Kovac. Hoeneß entgegnete: „Sie glauben doch wohl nicht, dass ich wegen eines Streits das Amt aufgebe."
Eine Freundschaft wurde irgendwann geschieden
Als er nach seiner Haftstrafe als Präsident zurückkehrte, gab Hoeneß aber zum Verhältnis zu Rummenigge zu: „Ich habe immer gesagt, wir waren und sind Freunde. Aber in dieser Zeit – das ist, wie wenn so eine Scheidung war. Dann musst du wieder zusammenkommen." Und Rummenigge erklärte kurz darauf: „Wir haben noch nicht wieder geheiratet."
Es gab in der jüngeren Vergangenheit quasi keine wichtige Personalentscheidung, bei der sich die beiden einig waren. Hoeneß wollte Max Eberl als Sportchef, Karl-Heinz Rummenigge wollte Philipp Lahm. Man einigte sich mehr oder weniger auf Hasan Salihamidzic. Dem gab man aber nie die Möglichkeit, sich zu entfalten, und wenn, versemmelte „Brazzo" sie oft beeindruckend konsequent. In der Trainerfrage setzte Rummenigge Carlo Ancelotti durch, kam dafür aber nicht mit dem Vorschlag Thomas Tuchel an, weil Hoeneß Kovac durchsetzte. In der Folge war es demnach vor allem Rummenigge, der dauernd seine Skepsis gegenüber dem früheren Frankfurter durchblicken ließ. Ganz nach dem Motto: Mein Mann war das ja eh nie.
Und auch wenn die Bayern regelmäßig Meister wurden, wurde quasi kein Trainer glücklich. „In so einem Spannungsfeld, wie unser Trainer in den letzten Wochen gelebt hat, kann man auf Dauer nicht arbeiten", sagte selbst Hoeneß irgendwann während der Kovac-Amtszeit.
Über Louis van Gaal sagte Hoeneß einst, er habe Spieler „permanent falsch eingeschätzt". Zudem sei es schwer, mit van Gaal zu reden, „weil er die Meinung anderer Leute nicht akzeptiert". Rummenigge mahnte: „Wichtig ist, dass wir miteinander und nicht übereinander sprechen." Woraufhin Hoeneß sagte, er habe weder mit Rummenigge noch dem damaligen Sportdirektor Christian Nerlinger vorher gesprochen: „Das ist mir auch wurscht, ich habe eine Position im Verein, wo ich mir das erlauben kann." Carlo Ancelotti klagte später mal: „Wenn der Verein dich nicht schützt, bist du tot." Für einen jungen Trainer mit begrenzter Lobby war das auf Dauer ein zu heißes Umfeld. Zumal Kovac dann irgendwann auch Teile der Mannschaft verlor sowie einige unglückliche Entscheidungen und unglückliche Aussagen traf. Doch am Ende geht er als moralischer Gewinner. Und die hochkarätigen Kandidaten der Münchner auf die Nachfolge werden sich genau überlegen, ob sie sich den aktuellen FC Bayern antun.
Wobei spannend ist, wie sich das alles verändern wird. Hoeneß ist zumindest als Präsident weg, wird aber omnipräsent sein.
Sein Nachfolger Herbert Hainer ist quasi von Hoeneß persönlich ausgewählt. Zum 1. Januar beginnt dann Oliver Kahn beim FC Bayern, 2021 soll er Nachfolger von Rummenigge werden. Vielleicht herrscht dann endlich mal wieder eine solche Einigkeit beim FC Bayern, die auch einen Trainer in Ruhe arbeiten lässt. Doch wer sind die aktuellen Kandidaten?
Erik ten Hag (Ajax Amsterdam): Einst trainierte er die Zweite Mannschaft der Bayern, weil er unbedingt mit Trainer Pep Guardiola und vor allem Sportvorstand Matthias Sammer zusammenarbeiten wollte. Ajax führte er in der vergangenen Saison sensationell ins Champions-League-Halbfinale. Die Bayern sind interessiert, doch ten Hag hat bereits erklärt, dass er die Saison in Amsterdam beenden wird. Ob die Bayern auf einen Trainer warten und extra eine Zwischenlösung schaffen, für einen, den sie einst gehen ließen, ist dann doch fraglich. Allerdings: Der Fußball-Stil des Holländers begeistert.
Arsène Wenger (zuletzt FC Arsenal): Der Elsässer trainierte bis zum Vorjahr 22 Jahre den FC Arsenal. Ihm wurden aber immer enge Kontakte zum FC Bayern nachgesagt. Angeblich hätte er Lust auf den Verein. Fraglich ist, ob die Münchner den 70-Jährigen als Dauerlösung erachten oder er sich als Zwischenlösung nutzen lässt.
Max Allegri (zuletzt Juventus Turin): Angeblich sind die Bayern am Italiener interessiert, der bei Juve trotz fünf Meistertiteln in Serie gehen musste. Doch der spricht kein Deutsch und kaum Englisch. Das müsste nach Ansicht der Bayern ein Ausschlusskriterium sein. Außerdem soll es Allegri in die Premier League ziehen.
Rangnick-Berater sieht nur wenige Chancen für ein Engagement
Ralf Rangnick (Fußballchef International bei Red Bull): Rangnick gilt als einer der größten Fachmänner im deutschen Fußball, aber auch als sehr streitbarer Querdenker. Deshalb soll es im Bayern-Universum starke Befürworter und starke Gegner geben. Spannend wäre das Experiment allemal. Doch sein Berater Marc Kosicke deutete schon mal an: „Wir glauben nicht, dass das, was Ralf Rangnick mitbringt, derzeit bei Bayern gesucht wird. Und darum macht es keinen Sinn, konkrete Gespräche zu führen." Aber auch da scheint nicht das letzte Wort gesprochen.