Der norwegische Stürmer Erling Haaland sorgt in Fußball-Europa mächtig für Furore. In der Champions League hat er einen neuen Rekord aufgestellt – und jeder Topclub hat ein Auge auf ihn geworfen.
Auf den ersten Blick wirkt Erling Haaland wie ein Baby in einem viel zu großen Körper. Dass er erst 19 Jahre alt ist, wird an seinem Babyface deutlich. Mit knapp 1,90 Metern Gardemaß bei 87 Kilogramm ist sein Gesicht aber auch das einzige, was seinem Alter entspricht. Zwischendurch legte er dann noch mit 17 Toren in zehn Spielen einen Startrekord hin, den er mittlerweile nach oben ausgebaut hat.
In das Blickfeld der Großen ist Haaland durch sein erstes Champions-League-Spiel geraten, bei dem er gleich einen Dreierpack erzielte. „Natürlich steht er nun im Mittelpunkt", sagt Lars Sivertsen, ein norwegischer Journalist aus Bryne, der quasi neben der Haustür von Haaland aufgewachsen ist: „Natürlich wird über ihn viel geschrieben", erklärt er. Dabei lief der Start, damals unter dem jetzigen Gladbach-Trainer Marco Rose, gar nicht so berauschend. Im Januar war Haaland vom Molde FK zu Rose nach Salzburg gewechselt, hatte dafür unter anderem Juventus abgesagt. „Er war von Anfang an sehr fokussiert", erklärt der Trainer, „hat aber auch ein paar Wochen gebraucht, um die Spielweise zu adaptieren." Nachdem der da noch 18-Jährige in Norwegen reihenweise getroffen hatte, war „das erste halbe Jahr" in Österreich „nicht so einfach für ihn". Ein paar Monate später sieht die Sache in Österreich ganz anders aus. Der Hüne trifft wie am Fließband und zieht mit seinem natürlichen kindlichen Torjubel und der Freude teilweise ganze Stadien in seinen Bann. Die Spielweise von RB, auch unter Rose-Nachfolger Jesse Marsch, „passt zu ihm", meint Rose, „weil er extrem dynamisch und torgefährlich ist, und im Moment geht einfach auch viel auf. Er ist ein richtig guter Junge, der eine große Zukunft vor sich hat." Und für einen 19-Jährigen hat er eine erstaunliche Vergangenheit.
Haalands Vater Alf-Inge spielte von 1997 bis 2000 bei Leeds United in England, in dieser Zeit kommt sein Sohn Erling in Yorkshire zur Welt. Diese kurze Zeit hat beim Junior Spuren hinterlassen, denn er möchte, so sagt er es zumindest selbst in Interviews, irgendwann mit Leeds englischer Meister werden. Nachdem sein Vater dann nach Norwegen zurückkehrt, debütiert Erling als 15-Jähriger für den heutigen Drittligisten Bryne FK.
Als 17-Jähriger im Körper eines 26-jährigen
Damals gab es noch keinen Grund zur Annahme, dass er einmal von europäischen Topclubs gejagt wird. Oder warum ehemalige Teamkollegen behaupten, er habe als 17-Jähriger den Körper eines 26-Jährigen gehabt. Haaland war eigentlich die meiste Zeit „ein kleiner, dünner Junge", wie Lars Sivertsen erklärt. Die Physis, die neben seinem Babyface herausragt, entwickelte sich erst nach und nach.
Förderlich dafür war es, dass Haaland in der Jugend stets gegen ältere und größere Gegenspieler spielen musste. Deshalb legten seine Trainer immer großen Wert auf die Technik, seinen ersten Kontakt und die richtigen Laufwege. Und erst danach kam der Wachstumsschub. 2017 erzählte der 17-jährige Haaland in Norwegen stolz, er sei „nur fünf Zentimeter" gewachsen. Der sichtlich verwunderte Reporter entgegnete: „Nur?" Haaland antwortete darauf trocken: „Naja, im Jahr zuvor waren es zwölf." Im selben Jahr dieses Interviews wechselt der Stürmer von Bryne nach Molde zu Trainer Ole Gunnar Solksjaer. Nach einer gewissen Eingewöhnungszeit platzt der Knoten am 1. Juli 2018 dann aber so richtig. Molde gastiert beim bis dato ungeschlagenen Tabellenführer Brann Bergen, der in den ersten 14 Saisonspielen nur fünf Tore kassiert hatte. Haaland trifft binnen 17 Minuten viermal, Molde gewinnt 4:0. Der ehemalige Stürmer Solksjaer attestiert Haaland „die nötigen Fähigkeiten vor dem Tor". Nach insgesamt 50 Spielen und 20 Toren für Molde zieht Haaland weiter nach Salzburg, obwohl er von den Großclubs aus Italien und England umworben wurde. „Ich war geschmeichelt, dass Juventus interessiert war", erklärt Haaland in der Vereinsmitteilung von RB, „aber ich dachte, es sei zu früh, um dorthin zu gehen." Haaland wollte lieber spielen, doch in der Anfangszeit unter Rose dauert auch das etwas. Während auf Vereinsfußballebene somit die Schlagzeilen ausblieben, sorgte er bei der U20-Weltmeisterschaft in Polen für die nötigen Höhepunkte. Nach zwei Niederlagen gewinnt Norwegens Nachwuchs das letzte Gruppenspiel gegen Honduras mit 12:0. Haaland trifft dabei neun Mal. Und danach gibt es auch kein Ende mehr, weder in der österreichischen Liga, im Pokal noch in der Champions League. Vor dem ersten Spiel von RB in der Königsklasse geht Kapitän Andreas Ullmer mit seiner kleinen Tochter spazieren, als neben ihm ein Auto hält. Haaland grinste ihn an, ließ die Fensterscheibe nach unten und spielte die Champions-League-Hymne. Offenbar eine erfolgreiche Motivation.
„Es ist eine gute Erfahrung für Erling, im Mittelpunkt zu stehen", urteilt Solskjaer aus dem fernen Manchester, „den Druck und die Erwartungshaltung zu spüren. Er verarbeitet das gut und behält einen kühlen Kopf. Er ist sehr gut darin, sich darauf zu fokussieren, was er auf dem Platz machen soll, anstatt darüber nachzudenken, wer auf der Tribüne sitzt und ihm zuschaut." Denn dort sitzen mittlerweile genügend interessierte Beobachter. „Er ist phänomenal", sagt sein Teamkollege Maximilian Wöber. „Mit seiner Größe so wendig zu sein und den Ball zu beherrschen. Es ist wirklich schwer, im Training gegen ihn zu spielen – du kannst ihn nur foulen." Haaland ist zudem der drittjüngste Dreierpacker der CL-Geschichte, gleich nach Raul und Wayne Rooney. Doch sein eigentliches Vorbild ist Zlatan Ibrahimovic, dessen Rolle er „irgendwann mal übernehmen will." Dadurch, dass er in seinen ersten drei Spielen in der Champions League gleich sechs Treffer erzielt hat, hat er einige große Stürmer jetzt schon deutlich überboten. Zum einen hat er die Bestmarke von Didier Drogba eingestellt. Zum anderen brauchte Cristiano Ronaldo für sechs Treffer satte vier Jahre und 32 Einsätze. Bei Lionel Messi waren es drei Jahre und 17 Spiele. Erling Haaland genügten 37 Tage.
Die Bilanz ist besser als die der Superstars
Neben seinem gigantischen Wachstumsschub und seiner Rekordzeit in der Champions League setzt Haaland auch auf ungewöhnliche Methoden bei der Regeneration. Beim Schlafen vertraut er etwa auf eine Spezialbrille, „die das Blaulicht vom TV beziehungsweise Handy filtert. Das wirkt sich positiv auf das Schlafhormon Melatonin aus. Ich habe somit einen besseren Schlaf und mein Körper regeneriert besser", verriet er den „Salzburger Nachrichten".
Das wohl größte Plus von Haaland ist neben seiner enormen Physis und seiner Technik wohl seine Unbekümmertheit. Selten freut sich ein Spieler so ausgelassen nach seinen Toren, hält die Hand an seine Ohren, um die Menschen zu mehr Lautstärke aufzufordern und springt wie wild herum. Kein durchchoreografierter Jubel, sondern pure Freude. Gleiches Bild bei der Hymne vor den Spielen in der Königsklasse. Während alle anderen ehrfürchtig und ernsthaft nach vorne starrten, stand der 19-Jährige brav mit den Händen hinter seinem Rücken und schmunzelnd auf dem Rasen. Wahrscheinlich auch, weil die Hymne mittlerweile fest in seinen Alltag integriert ist. Auf die Frage, ob er vor großen Spielen etwas anders mache, entgegnete er nur: „Ich mache die Champions-League-Hymne an und fahre nach Hause." Um das, was um ihn herum passiert, scheint er sich nur wenige Gedanken zu machen. „Juve-Haaland 100 Millionen!", prangte es kürzlich auf der Titelseite der italienischen „Tuttosport". Soviel fordert RB Salzburg für sein norwegisches Sturmjuwel. Demnach sind neben der „Alten Dame" Juventus Turin auch Real Madrid und Manchester United interessiert. Es wird wohl nicht die letzte Transfermeldung zu Erlang Haaland bis zum Beginn der Winter-Wechselperiode bleiben.