Unzählige deutsche Frauen leiden unter einem schmerzhaften Lipödem. Oft ist eine Fettreduktion ihre einzige Hoffnung. Die Krankenkassen weigern sich aber häufig diese zu bezahlen. Anke Dörr, Fachärztin für Plastische und Ästhetische Chirurgie, erklärt im Interview, was genau ein Lipödem ist und wie man es behandeln kann.
Frau Dr. Dörr, was ist ein Lipödem?
Ein Lipödem ist eine schmerzhafte Fettgewebsvermehrung vorwiegend an den Beinen und Armen. Es geht mit einer ausgeprägten Hämatomneigung einher und führt zu einer Disproportion des Körpers. Im Normalfall sind Füße und Hände nicht betroffen, das unterscheidet das Lipödem auch unter anderem vom Lymphödem.
Welche Unterschiede gibt es noch?
Die Umfangsvermehrung findet bei beiden Erkrankungen statt. Beim Lipödem ist es die Fettgewebsvermehrung, während beim Lymphödem der Lymphstau ursächlich ist. Das Fettgewebe vermehrt sich bei Letzterem nicht. Auch zum Druckschmerz wie beim Lipödem kommt es beim Lymphödem nicht. Außerdem gibt es keine Hämatomneigung. Beim Lipödem lässt die Mikroangiopathie die Gefäße durchlässiger werden, wodurch es schon bei kleinen Verletzungen zu Blutergüssen kommt. Beim Lymphödem sind, wie zuvor schon genannt, auch – die Füße oder Hände betroffen. Das ist beim Lipödem erst im Spätstadium der Fall.
Welche Ursachen gibt es für das Lipödem?
Die Hauptursache ist nicht bekannt, die genaue Ursache noch nicht erforscht. Man geht davon aus, dass es eine genetische Komponente gibt und dann häufig einen hormonellen Auslöser. Das Lipödem wird meist in der Pubertät, Schwangerschaft oder in den Wechseljahren ausgelöst.
Es sind also hauptsächlich Frauen betroffen?
Es sind ausschließlich Frauen betroffen. Männer sind nur betroffen, wenn sie unter einem hormonproduzierenden Tumor leiden.
Gibt es noch weitere Symptome wie die bereits von Ihnen genannten?
Die Patientinnen leiden unter einer Überempfindlichkeit des Gewebes. Viele beschreiben auch eine Schwere in den Beinen. Das macht es den Patientinnen schwer, in Bewegung zu kommen, Treppen zu steigen, Sport zu machen.
Können diese Beschwerden auch von Wassereinlagerungen herrühren?
Ja, durch die Vermehrung des Fettgewebes kann der Lymphabfluss gestört sein.
Oft geht das Lipödem auch Hand in Hand mit einer Adipositas, richtig?
Ja, das Lipödem ist oft mit einer Adipositas vergesellschaftet. Bei diesen Frauen gibt es auch keine so große Disproportion, weil Frauen durch die Adipositas auch an Bauchumfang zunehmen.
Warum schmerzt das Gewebe beim Lipödem so?
Man hat das Gewebe untersucht und es gab auch schon einige Studien dazu. Aber was die Schmerzhaftigkeit im Gewebe ausmacht, ist noch nicht ganz klar. Entzündungsprozesse werden beschrieben. Man kann sich vorstellen, dass es ein Spannungsgefühl ist, aufgrund der Vermehrung des Gewebes und durch den Lymphstau.
Warum wuchert das Fettgewebe so? Was passiert genau im Körper?
Die Fettzellzahl steigt an und die Fettzellen an sich werden größer. Es handelt sich also um eine Hyperplasie und eine Hypertrophie. Außerdem schrumpfen die Bindegewebsfasern, die zwischen den Zellen sind. Dadurch kommt es zu diesen typischen Läppchenbildungen und einer Orangenhaut.
Insgesamt gibt es drei Stadien. Wie unterscheidet man diese?
Bei Stadium 1 eines Lipödems ist die Hautstruktur noch relativ glatt, aber bereits eine gewisse Schmerzhaftigkeit des Gewebes zu spüren. Bei Stadium 2 kommt es zu einer wellenartigen Hautoberfläche, einer Orangenhaut sowie knotigem Gewebe unter der Haut. Im Stadium 3 haben Patientinnen mit Fettwammen, das sind Fettüberhänge auch zum Beispiel über den Gelenken, zu kämpfen.
Wie kann man das Lipödem in den einzelnen Stadien behandeln?
Es gibt zwei Behandlungsmöglichkeiten. Man unterscheidet die konservative von der operativen Therapie. Bei der konservativen macht man eine Entstauungstherapie mit Kompressionswäsche, eventuell unterstützend mit Lymphdrainagen. Die apparative intermittierende Kompression kann man mittels Lymph-Hosen auch zu Hause anwenden. Aber hauptsächlich kommt die Kompressionswäsche zum Einsatz. Dabei ist es sehr wichtig, dass es gut sitzende Wäsche ist, die man jeden Tag anziehen kann. Ich empfehle zusätzlich viel Bewegung, vorzugsweise Sport im Wasser. Diese Aktivität hat auch einen Lymphdrainage-Effekt, aufgrund des Gegendrucks durch das Wasser. Auch eine Ernährungsumstellung ist wichtig. Patientinnen sollten versuchen ihr Gewicht konstant zu halten. Crash-Diäten sollten vermieden werden, aufgrund des Jojo-Effekts. Die Ernährung sollte möglichst antientzündlich sein. Bei der konservativen Therapie versucht man also die Wassereinlagerungen zu beseitigen, am kranken Gewebe ändert das aber nichts.
Die operative Therapie ist dann vermutlich eine Fettabsaugung?
Genau. Das ist eine Fettreduktion unter der Haut. Das größtenteils kranke Gewebe wird entfernt, reduziert. Dadurch kommt es zu einer Druckminderung. Es gibt weniger Zellen, die sich sekundär verändern können. Dadurch wird auch die Schmerzhaftigkeit deutlich besser.
Kann man mit einer Fettreduktion dauerhaft das kranke Gewebe loswerden oder bildet es sich neu?
Ich sage es mal so: Auch wenn sich die Zellen noch einmal neu bilden sollten, sind ja die, die man entfernt hat, weg. Die Zellzahl ist deutlich geringer. Selbst wenn sich noch etwas nachbildet oder vergrößert, ist es auf jeden Fall weniger als vor der Operation. Also einen Effekt hat man mit der Operation immer. Ich habe bisher auch noch keine Patientin operiert, die danach nicht weniger Schmerzen hatte.
Wird die Fettabsaugung von der Kasse bezahlt?
Die Krankenkassen treffen Einzelfallentscheidungen. Wenn die konservative Therapie komplett versagt und zu keiner Verbesserung führt, dann werden Patientinnen im Stadium 2 oder 3 auf Kasse operiert. Aber im Regelfall ist es momentan schwierig die Reduktion durch die Krankenkassen bezahlen zu lassen.
Dabei ist die konservative Therapie meist teurer für die Kassen als eine Liposuktion.
Das ist korrekt, auf lange Sicht betrachtet. Allein die Kompressionswäsche kostet mehrere hundert Euro, die Patientinnen brauchen zwei bis vier davon im Jahr. Deshalb ist es nicht nachvollziehbar, warum die Operationen oft nicht bezahlt werden.
Gibt es eine dauerhafte Heilung?
Das ist auch immer einzelfallabhängig. Ebenso auch die Progredienz, also die Entwicklung der Erkrankung. Die Krankheit muss nicht unbedingt immer weiter fortschreiten und schlimmer werden. Es gibt auch Fälle, da wird das Lipödem durch die konservativen Maßnahmen nicht schlechter. Aber wenn das Fettgewebe gut entfernt wird oder man frühzeitig eine Operation vornimmt, besteht die Chance, dass die Patienten keine Kompressionswäsche mehr tragen müssen und sogar schmerzfrei sind. Wie lange das anhält, kann man natürlich nie prognostizieren. Schwierig wird es, wenn die Frauen bis zum dritten Stadium warten. Dann kann man mit einer Operation zwar eine Beschwerdebesserung erreichen, aber keine Gesundung des Patienten.