Prof. Dr. med. Musa Citak gilt als Experte für Arthrose. Im Interview spricht er über ihre Entstehung, die Rolle von Ernährung und Sport, Schmerzursachen, wirkungsvolle alternative Heilverfahren und neueste Forschungserkenntnisse.
Herr Prof. Dr. Citak, was genau ist Arthrose und wie entsteht sie?
Wenn sich ein Gelenk abnutzt, spricht man von Arthrose. Eine Arthrose entsteht nur, wenn Risikofaktoren vorliegen. Man kann diese generell in zwei Gruppen aufteilen: Einmal die Risikofaktoren, die genetisch bestimmt sind und jene, die nachgeburtlich hinzukommen. Wenn zum Beispiel die Eltern oder Großeltern Arthrose haben, kann dieses weitervererbt werden und man kann diesen Risikofaktor nicht beeinflussen. Nachgeburtliche Risikofaktoren sind zum Beispiel Extremsport im Kindesalter, Fehlstellungen der Knochen wie zum Beispiel X- oder O-Beine. Auch Knochenbrüche können Risikofaktoren darstellen. Je mehr Risikofaktoren man hat, desto schneller nutzt sich der Knorpel ab und die Funktion des Gelenks wird beeinträchtigt. Man spricht dann von Arthrose des Gelenks.
Welche Gefahren birgt Arthrose?
Die Arthrose ist keine lebensbedrohliche Krankheit. Solange sie auch keine Schmerzen verursacht, ist es dem Betroffenen häufig egal, ob er Arthrose hat oder nicht. Die Gefahr besteht darin, dass die Entstehung der Arthrose sehr lange unbemerkt bleibt. Diese Phase nennen wir Prä-Arthrose. Erst wenn die Arthrose aktiviert wird, kommt es zu Schmerzen. Dies kann auch zum Beispiel nach einer vermehrten Belastung über Nacht kommen. Wenn nun die Diagnose Arthrose gestellt wird, ist der Betroffene häufig irritiert. „Ich – Arthrose? Ist das nicht eine Krankheit von alten Menschen?", heißt es dann häufig. Da dieser Aktivierungsschub meist abklingt und der Betroffene meist überhaupt keine Schmerzen hat, fällt es ihm noch schwerer, dies ernst zu nehmen.
Also sind durchaus auch jüngere Menschen betroffen?
Da die Risikofaktoren bei der Entstehung eine große Rolle spielen, kann man auch schon mit unter 18 Jahren an Arthrose leiden. Wenn ein Mensch keine Risikofaktoren hat, kann er auch bis ins hohe Alter gesunde Gelenke haben.
Welche Medikamente können helfen und welche verschlechtern eher den Krankheitsverlauf?
Derzeit gibt es keine Medikamente oder Behandlung, die zu 100 Prozent die Arthrose heilen können. Man kann die Schmerzen lindern und die Aktivierung der Arthrose reduzieren. Hier werden häufig Rheuma-Medikamente wie Ibuprofen, Diclofenac oder Kortison verordnet. Weiterhin gibt es Medikamente, die man direkt ins Gelenk injizieren kann. Hier sind Hyaluronsäure oder Eigenblutplasma zu nennen. Beide haben in Studien regenerative Effekte gezeigt. Seit letztem Jahr ist auch die Fettstammzellentherapie unter bestimmten Umständen in Deutschland für die Behandlung der Arthrose zugelassen.
Sie schreiben, dass die Ernährung eine große Rolle spielt. Wie sollte man sich bei Arthrose ernähren?
Die Ernährung spielt sicherlich bei der Aktivierung der Arthrose eine Rolle. Wichtig ist es hier, entzündungsfördernde Lebensmittel zu vermeiden. Viele sprechen auch von basischer Ernährung. Ich empfehle meinen Patienten eine einfache Ernährung. Einfach keine tierischen Fette von Säugetieren und keine Lebensmittel mit raffiniertem Zucker. Milchprodukte, Fisch und Geflügel sind erlaubt. Es gibt auch eine Reihe von Nahrungsergänzungen, denen eine entzündungshemmende Wirkung zugeschrieben wird. Hierzu gehören zum Beispiel Glucosamin, Chondroitin oder Grünlippmuschelpulver.
Wie kann man mit Bewegung und Sport Arthrose vorbeugen?
Wer rastet, der rostet. Diese Weisheit sagt schon alles aus. Gelenke leben von Bewegung. Wenn Sie nicht bewegt werden, werden sie nicht mit Gelenkschmiere und Nährstoffen versorgt. Bei der Bewegung kommt es jedoch auf die Dosis an. Ich empfehle regelmäßige Bewegung und Übungen, mit denen wir den vollen Bewegungsraum der Gelenke nutzen, ohne sie zu überlasten. Für die Gelenke ist Leistungssport selten gut.
Welche Schmerzursachen gibt es?
Für eine effektive Schmerztherapie ist es sehr wichtig, die Ursache des Schmerzes herauszufinden.
Ich teile die Schmerzen bei der Arthrose in drei Gruppen ein: Erstens die Schmerzen von Muskeln und Faszien. Muskeln und Faszien können sehr unangenehme Schmerzen verursachen. Da diese auch in eine andere Region übertragen werden können, ist es häufig für den Betroffenen nicht einfach, den richtigen Muskel zu identifizieren. Wenn man den Muskel identifiziert hat, kann man dann mit einfachen Mitteln wie zum Beispiel Faszienrollen oder Schröpfen die Schmerzen lindern. Auch eine Dehnübung für den betroffenen Muskel wird die Schmerzen reduzieren. Zweitens schmerzende Sehnen und Schleimbeutel. Meine Erfahrung zeigt, dass, wenn Schmerzen länger als drei Monate anhalten, es sich häufig um diese Gruppe handelt. Häufig sind die Betroffenen irritiert, da es Phasen gibt, wo man das Gefühl hat, dass die Schmerzen besser werden. Ich habe schon Patienten in der Praxis gesehen, die zehn Jahre Sehnenentzündungen hatten. Die Eigenbehandlung dieser Gruppe ist schwierig. Man kann durch exzentrisches Training und entzündungshemmende Medikamente oder Naturkräuter die Entzündung und Schmerzen lindern, jedoch ist häufig eine professionelle Sehnentherapie bei einem Sportorthopäden notwendig. Die dritte Gruppe ist die der Schmerzen aus dem Gelenk und aus den Knochen. Bei der Aktivierung der Arthrose oder Umbauprozessen im Knochen kann es zu heftigen Schmerzen kommen, welche sogar die Mobilität enorm einschränken können. Diese Schmerzen sollten schnell reduziert werden, da bei zu langen Schmerzphasen das Gelenk schnell versteift beziehungsweise seine komplette Bewegungsfreiheit verliert.
Wenn jemand so starke Schmerzen hat, dass er nicht mehr gehen kann, sollte dies immer ärztlich abgeklärt werden. Es gibt noch eine Reihe anderer Schmerzursachen, die auch zum Teil lebensbedrohlich enden können.
Ab wann muss operiert werden?
Da die Arthrose keine lebensbedrohliche Erkrankung ist, hängt der Zeitpunkt der Operation von den subjektiven Beschwerden ab. Die Definition von Lebensqualität ist ebenfalls ein wichtiger Faktor für den Zeitpunkt der Operation. Den richtigen Zeitpunkt zu finden ist jedoch gar nicht so einfach. Es sollte nicht zu früh, auch nicht zu spät operiert werden, da die Bewegungseinschränkungen, die im Verlauf der Arthrose entstehen können, das Operationsergebnis negativ beeinflussen. In meinem Buch gibt es einen Selbsttest, bei dem jeder herausfinden kann, ob er schon operiert werden muss.
Sie setzen vermehrt alternative Heilverfahren ein. Wie sind Sie dazu gekommen?
Alles fing an, als ich plötzlich Rückenschmerzen hatte. Diese wurden immer schlimmer. Ich musste immer mehr Tabletten nehmen. Das MRT zeigte zwei Bandscheibenvorfälle. Da ich nach langer Physiotherapie nicht schmerzfrei war, wollte ich mich operieren lassen. Durch Zufall kam ich zur Akupunktur. Obwohl ich zunächst skeptisch war, ließ ich mich darauf ein. Und tatsächlich ging es mir schnell viel besser. Somit war mein schulmedizinisches Vorurteil gebrochen und ich habe mich weitergebildet. Inzwischen sehe ich meine Lebensaufgabe darin, die erlernten Methoden immer weiter zu verbessern und Operationen möglichst zu verhindern oder zu verzögern. Man kann leider nicht pauschal eine Methode empfehlen. Was bei dem einem hilft, kann bei einem anderen sogar die Beschwerden verschlimmern. Deswegen führe ich immer individuelle Kombinationsbehandlungen durch, um die Effektivität zu steigern.
Wie häufig sollte man sich für ein solches Erfolgsergebnis, wie Sie es hatten, akupunktieren lassen?
Im Nachhinein kann ich nur sagen, dass in meinem Fall sicherlich nicht der Bandscheibenvorfall Ursache meiner Schmerzen war. Dieser war nur zufällig im MRT da, jedoch nicht die Ursache meiner Schmerzen. Wenn man lange genug Schmerzen hat und im MRT eine schulmedizinische Diagnose gestellt wird, hat man nicht selten nur zwei Optionen: die Diagnose akzeptieren oder auf die Psychoschiene abgestellt werden. In meinem Fall begannen die Experten schon von Schmerzgedächtnis zu sprechen. Es gibt natürlich sehr viele Schmerzzustände, die nur mithilfe einer professionellen psychosomatischen Therapie behoben werden können. Jede Methode hat seine Existenzberechtigung, aber es gibt keine Methode, die 100 Prozent jedem hilft. Verstehen Sie mich jedoch nicht falsch: Wenn ein echter Bandscheibenvorfall vorliegt und dieser Nervenschmerzen verursacht, hilft häufig nur die Operation, da es sich um ein mechanisches Problem handelt. Die Bandscheibe drückt auf den Nerv. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Die Anzahl der Therapien ist von der gewählten Akupunkturmethode abhängig. Bei der chinesischen Akupunktur sind zehn bis 15 Sitzungen notwendig. Es gibt natürlich andere Methoden, bei denen durchaus weniger Sitzungen benötigt werden. Die Wahl der Akupunkturmethode hängt bei mir von der Schmerzursache ab.
Wirken verschiedene Akupunkturverfahren – zum Beispiel Laser- und Nadelakupunktur – gleich gut?
Laserakupunkturen haben sich sicherlich in den letzten Jahren weiterentwickelt. Ich persönlich verwende derzeit keine Laserakupunktur, sondern entweder die konventionelle Nadelakupunktur oder die Stoßwellenakupunktur. Mit einem fokussierten Stoßwellengerät kann ich ohne Nadeln den Akupunkturpunkt sehr präzise reizen.
Welche Heilkräuter können helfen, und wie sollte man diese anwenden?
Die Naturapotheke bietet uns enorm viele Heilkräuter, die sehr gut die Schmerzen reduzieren können. Arnika, Beinwell, Ingwer oder Pfeffer haben sich in den letzten 1.000 Jahren für die Behandlung von Schmerzen bewährt. Diese kann man auch häufig bereits zubereitet in Apotheken bekommen. Was ich auch gern empfehle sind Kombinationen aus mehreren Heilkräutern. Diese sind in Apotheken erhältlich. In Deutschland ist zum Beispiel Retterspitz sehr bekannt. Jedoch sind auch die Wickel nicht zu vernachlässigen. Magerquark oder Kohlenwickel können Wunder bewirken und die Schmerzen deutlich reduzieren.
Was sind die neuesten Erkenntnisse der Medizin bezüglich Arthrose?
Aktuell sind regenerative Methoden in der Entwicklung. Wie schon erwähnt, gibt es zum Beispiel die Fettstammzellentherapie. Hier wird von dem Patienten Bauchfett abgesaugt und mittels speziellen Verfahren die Stammzellen gewonnen. Diese werden bei Kniegelenksarthrose dann in spezielle Gebiete injiziert, um dort die Regeneration aktivieren zu können. Auch Hybrid-Behandlungen, wo Eigenplasma des Patienten mit Hyaluronsäure gemischt ins Gelenk injiziert wird, zeigen vielversprechende Ergebnisse.
Wie beugt man Arthrose am besten vor?
Um Arthrose vorzubeugen, muss man seine persönlichen Risikofaktoren kennen. Nur wer seine Risikofaktoren kennt, kann die richtigen Wege einleiten, dies zu vermeiden.