Im Zuge des Wellness-Hypes ist im Abendland eine Reinigungszeremonie auf dem Vormarsch, die das Wohlbefinden fördert und einst schon orientalische Sultane und Kalifen begeisterte. Die trendige Hammam-Badekultur macht sogar der finnischen Sauna gehörig Konkurrenz.
Wer heute ein traditionelles orientalisches Dampfbad betritt, das im Türkischen als Hamam und im Arabischen als Hammam bekannt ist, kann tief in die Welt der Märchen aus 1001 Nacht eintauchen und sich fast wie ein edler Sultan oder eine vornehme Haremsdame fühlen. Das allein morgenländische Ambiente der Räumlichkeiten, die in der Regel im typisch arabisch-orientalischen oder auch maurischen Stil mit Kuppeln, Säulen, Marmor, Mosaiken, bunten Fliesen oder aufwendigen Ornamenten gehalten sind, befördert dies. Früher war ein Hammam-Besuch eines der Highlights von Reisen in den Orient oder in muslimische nordafrikanische Länder, doch inzwischen kann man die klassische orientalische Badekultur auch in der Heimat genießen. Im Zuge des Wellness-Hypes wurden in vielen deutschen Metropolen entsprechende Etablissements eröffnet oder Hammams zu den Hauptattraktionen von Thermen, Spas oder Beauty-Palästen erklärt
Allerdings reicht es für Gesundheit und Wohlbefinden nicht aus, wenn in manchen Lokalitäten nur ein als Halvet oder Hararet bezeichneter Schwitzraum zur Verfügung steht. Im orientalischen Dampfbad geht es nämlich, ganz im Unterschied zur finnischen Sauna, nicht nur um das Absondern von Schweiß. Beim traditionellen Hammam-Besuch sollen Körper und Geist nach strikten Zeremonien oder Ritualen mithilfe von Peelings, Massagen, Waschungen und animierenden Düften oder ätherischen Ölen möglichst ganzheitlich gereinigt werden. Kein Wunder, dass ein altes marokkanisches Sprichwort sagt: „Man verlässt den Hammam anders, als man ihn betritt." Das setzt allerdings voraus, dass man die Hektik des Alltags komplett hinter sich lässt und sich für die perfekte Grundreinigung von innen und außen etwa drei Stunden Zeit und Muße gönnt. Das Vergnügen ist durchaus erschwinglich, der konkrete Preis hängt von der Zahl der Anwendungen und der Behandlungsdauer ab. Am besten das volle Programm buchen, das dann ab etwa 50 Euro aufwärts zu haben ist.
Die orientalische Hammam-Kultur hat sich aus der spätrömischen Badetradition entwickelt. Das Dampfbad war allerdings auch schon bei den alten Griechen im 6. Jahrhundert v. Chr. bekannt. Bei den Römern tauchten erste Schwitzbäder im 2. Jahrhundert v. Chr. auf. Sie erfreuten sich als Thermen schnell großer Beliebtheit in sämtlichen Bevölkerungsschichten und waren aus mehreren Räumlichkeiten zusammengesetzt, in denen die Temperaturen behutsam nach oben gingen. Mit dem Niedergang des Römischen Reiches endete die Blütezeit der antiken Badekultur, wobei die Region Syrien eine Ausnahme machte: Hier wurde das klassische Dampfbad weiterhin sehr gepflegt. In der syrischen Wüste wurden denn auch mit dem Siegeszug des Islams die ersten muslimischen Badehäuser oder Hammams um das Jahr 700 in den Palästen der umayyadischen Kalifen errichtet.
Hierzulande gelten die Hammams als Ort der Stille
Die Hygiene in den Hammams war fortschrittlicher als bei den Römern, da der Koran zur Reinigung kein „stehendes Wasser" erlaubte und daher nur fließendes Nass benutzt werden durfte. Im byzantischen Imperium wurde die Dampfbad-Kultur weiter verfeinert, die klassische antike Körperertüchtigung wurde hier zugunsten von Entspannung und körperlichem Wohlbefinden zurückgedrängt. Die Hammams wurden in der Regel direkt neben den Moscheen errichtet. Sie spielten allerdings nicht nur nicht nur im Zusammenhang mit religiösen Reinigungsritualen eine zentrale Rolle, sondern entwickelten sich auch zu einem eminent wichtigen gesellschaftlichen Treffpunkt. Natürlich wurde im Sinne der Sittlichkeit auf strikte Geschlechtertrennung geachtet, aber dennoch boten die Hammams den muslimischen Frauen eine der wenigen Möglichkeiten, sich außerhalb des eigenen Hauses zusammenzufinden.
Die Kreuzritter lernten die islamische Badekultur zu schätzen, ihre Versuche, nach der Rückkehr ins Abendland die Hammams auch dort gesellschaftsfähig zu machen, sollten jedoch auf strikten Widerstand seitens der katholischen Kirchenoberen treffen, weil diese die Dampfbäder sogleich als vermeintliche Lasterhöhle diffamierten und später die Reinigungstempel nach Ausbruch der Pestepidemien als möglicher Ausgangsherd für den tödlichen Krankheitserreger angesehen wurden. So sollte es bis zum Ende des 19. Jahrhunderts dauern, bis endlich im Zuge der aufflammenden Orientbegeisterung erste Hammams auch im westlichen Europa gebaut wurden.
Im Unterschied zu den orientalischen Vorbildern gelten Hammams hierzulande heute als Ruheoasen, als Orte der stillen Entspannung. Obwohl manche Betreiber von Dampfbädern inzwischen gemischte Anwendungen mit Männern und Frauen erlauben, so ist die Geschlechtertrennung doch noch immer die Regel. Während beim Saunabesuch nackte Haut gezeigt werden kann, wird in Hammams Wert auf die Verhüllung exponierter Körperpartien mittels eines traditionellen Tuchs aus rot-weiß-karierter Baumwolle oder Leinen gelegt. Das sogenannte Pestemal, das über Bikini, Badeanzug oder Badehose getragen werden kann, ist leichter als ein herkömmliches Handtuch und auch besser für die hohe Luftfeuchtigkeit geeignet. In der Regel wird das Tuch wie auch die klassischen hölzernen Badeschuhe oder die Olivenseife vom Hammam-Betreiber gestellt. Natürlich kann man aber auch sein eigenes Handtuch oder seine Badeschuhe mitbringen. Ratsam für den Aufenthalt nach Abschluss der Anwendungen im kühleren Ruheraum kann auch das Einpacken eines Bademantels sein.
Ein Besuch im Hammam kann durchaus das Immunsystem stärken und hat auch jede Menge positive Effekte beispielsweise für die Durchblutung, den Kreislauf, gegen Muskelverspannungen oder für die Regeneration der Hautzellen. Aber er kann keine medizinische Therapie ersetzen, sondern ist vielmehr eine reine Wellness-Anwendung. Die Haut benötigt nach dem Peeling eine gewisse Zeit zur Regeneration. Daher ist ein Hammam-Aufenthalt nicht öfter als zweimal pro Monat anzuraten. Theoretisch ist das orientalische Dampfbad für jeden geeignet. Wer allerdings mit Herz-Kreislauf-Problemen oder Thrombosen belastet ist oder an rheumatologischen und anderen entzündlichen Krankheiten leidet, sollte sicherheitshalber vor dem Besuch einen Arzt befragen. Durch die vergleichsweise niedrigen Temperaturen zwischen 30 und 60 Grad und die hohe Luftfeuchtigkeit zwischen 65 und 90 Prozent ist der Aufenthalt im Hammam für viele Menschen schonender als ein Saunabesuch, bei dem Temperaturen zwischen 80 und 105 Grad schon mal schnell auf den Kreislauf schlagen können. Zudem kann der Hammam-Wasserdampf im Vergleich zur trockenen Saunahitze für die Atemwege als angenehmer empfunden werden. Und auch der mit dem Wechseln in verschiedene Räume, vom wohltemperierten Umkleidebereich über das eigentliche Schwitzzentrum bis hin zur kühleren Ruhezone, verbundene stufenweise Temperaturanstieg führt zu einem Wohlgefühl.
Das Dampfbad ist theoretisch für jeden geeignet
Traditionell beginnt der Hammam-Besuch mit dem Eintreten in den als Umkleide genutzten Eingangsbereich namens Camekan. Nach dem Duschen, nur mit Wasser, ohne Seifenverwendung, betritt man den Dampfraum, in dem der Körper bei Temperaturen zwischen 35 und 45 Grad langsam ins Schwitzen gerät. Das eigentliche Herzstück des Hammams ist dann der Heißraum, Halvet oder Hararet, wo Temperaturen jenseits der 45 Grad herrschen. Hier öffnen sich im feuchten Dampf die Hautporen, der Körper beginnt auf natürliche Weise zu entschlacken. Zwischendurch kann mit bereitstehenden Kupferschalen (Tas) aus Marmorbecken (Kurna) oder aus an den Wänden angebrachten Hähnen erfrischendes und reinigendes Wasser, wahlweise warm oder etwas kühler, geschöpft und anschließend kontinuierlich über den Körper gegossen werden. Wer will, kann anschließend nochmals in den Dampfraum zurückkehren.
Nach einer Akklimatisierungsphase kann man sich auf den heißen Stein (Göbektasi, Nabelstein), einem aufgeheizten Marmorblock, in der Halvet-Raummitte setzen oder legen. Sobald der Körper gut erwärmt ist und die Muskeln entspannt sind, steht mit dem Ganzkörperpeeling der erste Höhepunkt der Wellness-Behandlung an. Diese wird von dem fachkundigen Bademeister Tellak vorgenommen. Die Natir führt die Anwendung bei den Damen durch. Dabei kommt ein spezieller Handschuh (Kese) aus Wildseide, Kokosfasern oder Ziegenhaar zum Einsatz, mit dessen Hilfe abgestorbene Hautzellen, epidermaler Ballast oder Hornhaut entfernt werden können und die Durchblutung angeregt wird. Wer stolz seine Urlaubsbräune zur Schau stellen möchte, sollte dabei im Hinterkopf haben, dass die schöne Farbe nach dem gründlichen Peeling womöglich deutlich verblasst sein könnte. Dafür gibt es als kleinen Ersatz dann aber einen rosig-frischen Teint und eine Haut wie Samt und Seide.
Nach dem Abspülen wird der Körper vom Bademeister mit einem voluminösen Kern- oder Olivenseifenschaumberg überzogen, der in klassischer Manier mittels eines speziellen Leinensacks durch Eintauchen in eine Seifenlauge handgemacht produziert wird. Das Einschäumen dient als Vorbereitung des zweiten Wellness-Highlights, nämlich der Ganzkörpermassage, deren Ziel es ist, das Muskelgewebe weiter zu lockern und eventuelle Verspannungen wegzukneten. Nach dem Abspülen kann nochmals der Dampfraum aufgesucht werden, oder man begibt sich nach einer kleinen Pause gleich in den Ruheraum, um dort ganz traditionell als Abschluss der Wohlfühlzeremonie den Flüssigkeitsverlust mit einem Kännchen Tee auszugleichen.