Unions-Bundestagsfraktionsvize Nadine Schön nimmt die CDU-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer gegen Kritik aus den eigenen Reihen in Schutz. Ein Neuanfang sei gemacht, die Kanzlerkandidatenfrage werde zur rechten Zeit beantwortet.
Frau Schön, wie erstaunt waren Sie über das CDU-interne Donnerwetter nach der Landtagswahl in Thüringen, die ja für Ihre Partei ziemlich enttäuschend ausgefallen ist?
Die drei Landtagswahlen im Osten und auch die Europawahl der CDU haben gezeigt, dass es Unzufriedenheit und ernsthafte Sorgen in der Bevölkerung gibt und leider auch eine Spaltung des Landes. Das gibt uns genügend Stoff zum Nachdenken und Handeln. Aber so was sollte man besser miteinander und nicht gegeneinander machen. Eines muss uns aber allen klar sein: Es führt nicht weiter, wenn wir jetzt alle mit dem Finger aufeinander zeigen und anfangen, alte Rechnungen zu begleichen. Klar ist, es gab und gibt inhaltliche Defizite, die müssen abgebaut werden. Deshalb ist unsere neue Parteivorsitzende jetzt seit beinahe einem Jahr dabei, genau diese inhaltlichen Fragen aufzuarbeiten. Ich denke da zum Beispiel an das neue Grundsatzprogramm der CDU, welches unter ihrer Führung entsteht. Mit diesem Prozess hatte sie bereits als Generalsekretärin begonnen.
Aber wie konnte es überhaupt zu solchen inhaltlichen Defiziten kommen? Wer trägt die Schuld an diesem Vakuum?
Von einem Vakuum würde ich nicht sprechen. Immerhin regieren wir im Bund und in einigen Ländern seit Jahren sehr erfolgreich. Richtig ist, dass wir uns in vielen Punkten klarer positionieren müssen. Unsere Partei hat ein Riesenpotenzial. Von der kommunalen Ebene über die Länder bis zum Bund gibt es viele kluge Köpfe und gute Ideen für die Zukunft unseres Landes. Das gilt es zu einem großen Ganzen, zu einer Vision für Deutschland zusammenzuführen, einer gemeinsamen Vorstellung, auf die wir politisch hinarbeiten. Deswegen hat Annegret Kramp-Karrenbauer noch als Generalsekretärin sofort ihre Zuhörtour gestartet, um so wieder die inhaltliche Verbindung – Bundespartei, Land und Kreis – zu schließen.
Das würde ja heißen, dass die Vorgängerin von AKK, also Angela Merkel, diesen Kontakt auf Landes- und Kreisebene verloren hatte?
Unsere Bundeskanzlerin hat in ihrer Amtszeit eine Krise nach der nächsten bewältigt und damit auch dafür gesorgt, dass wir weiterhin Wohlstand und Stabilität in Deutschland und Europa haben. Diese Schlechtrederei ist absolut unangemessen. Unsere Aufgabe heute ist, das nächste Kapitel aufzuschlagen und unsere Partei und unser Land in die Zukunft zu führen. Wir brauchen eine Neuorientierung, eine Vision für Deutschland und seinen Platz in Europa und der Welt 2030. Durch unsere neue Parteivorsitzende haben wir frischen Wind in die CDU gebracht, und jetzt müssen wir miteinander und nicht gegeneinander an unserem Profil arbeiten.
Haben Sie denn trotzdem Verständnis für den Unmut in ihrer Partei, gerade im Osten Deutschlands?
Die jüngsten vier Wahlergebnisse machen uns nicht zufrieden – im Gegenteil. Doch kann man jetzt nicht Annegret Kramp-Karrenbauer für Defizite verantwortlich machen, deren Ursprünge auf die Zeit vor ihrem Amtsantritt zurückgehen. Wir müssen wieder deutlicher machen, wofür wir stehen und wofür wir uns einsetzen. Wir müssen Wachstumsimpulse setzen, den Rechtsstaat stärken und den Zusammenhalt in der Gesellschaft fördern. Wir müssen unsere Rolle in der Welt neu definieren. Der Neuanfang ist gemacht, aber den sollten wir jetzt nicht mit endlosen Personaldebatten lähmen. Das macht die SPD, aber nicht wir.
Wäre es nicht besser, sich schon jetzt auf eine Kanzlerkandidatin oder einen Kandidaten festzulegen? Dann wüsste die Partei, wo es langgeht.
Wenn wir davon ausgehen, dass die nächste Bundestagswahl im September 2021 ist, dann müssen wir nicht im Dezember 2019 die Kanzlerkandidatin küren. Das können wir auch noch sehr gut in einem Jahr machen. Das ist das normale Verfahren. Warum sollten wir jetzt etwas daran ändern? Wir haben eine Kanzlerin, eine Parteivorsitzende und hier im Bundestag einen Fraktionsvorsitzenden, das ist unsere politische Führung. Damit sind wir gut aufgestellt.
Vizekanzler Olaf Scholz wüsste offenbar doch ganz gern, woran er ist. Er hat ja gerade zum Ausdruck gebracht, dass er als SPD-Vorsitzender nur Angela Merkel, aber nicht AKK als Kanzlerin akzeptieren würde.
Die SPD ist gut beraten, ihre eigenen Personalaufgaben zu lösen. An dieser Stelle ist es tatsächlich ganz gut, wenn wir erst mal abwarten, ob Olaf Scholz überhaupt Parteivorsitzender wird. Übrigens dann nicht alleine – es handelt sich schließlich um eine Doppelspitze. Solange das nicht geklärt ist, sollte er sich keine Gedanken über das Führungspersonal der CDU machen.
Wie reagiert denn die Bundestagsfraktion auf die Unruhe in der Partei? Sie sind ja immerhin Fraktionsvize.
Wir haben uns nicht nur in der Parteiführung erneuert, sondern auch in der Fraktionsspitze mit Ralph Brinkhaus. Auch hier herrscht seit einem Jahr frischer Wind. Natürlich kommt die parteiinterne Debatte auch bei uns in der Fraktion an. Aber bislang sind diese Diskussionen bei uns thematisch wie inhaltlich sehr strukturiert geführt worden. In der Analyse werden Fehler klar und deutlich benannt, und dabei geht es auch sehr kontrovers zur Sache. Aber wir ersparen uns hier im Bundestag persönliche Spitzen. Die bringen uns nicht weiter, weil wir hier ein Arbeitsgremium sind. Unser inhaltlicher Fokus liegt darauf, wie wir unsere Gesellschaft zusammenhalten und den Wohlstand in unserem Land sichern – dafür braucht es in einer dynamischen Welt neue Antworten.
Warum war man in der Unions-Bundestagsfraktion nicht bereit, bei der Debatte um die Grundrente auf die Bedürftigkeitsprüfung zu verzichten? Das war doch ein unnötiger Stress für die große Koalition – es hätte ja auch zum Bruch kommen können.
Es gibt für uns klare rote Linien, und die Bedürftigkeitsprüfung bei der Grundrente ist eine davon. Ganz abgesehen davon, dass eine Grundrente ohne Bedarfsprüfung juristisch erhebliche Auswirkungen auf die Leistungen der anderen Sozialkassen haben würde. Hier geht es darum, nicht unnötig Geld auszugeben, das uns dann nachher bei anderen wichtigen Projekten fehlt. Zum Beispiel bei der Altenpflege, bei Investitionen für Bildung und Forschung oder etwa beim Ausbau des 5G-Netzes. Jeder Euro, den wir in die Grundrente stecken, fehlt nachher an anderer Stelle. Darum gibt es in der Union rote Linien, von denen wir nicht abrücken.
Trotzdem ist immer wieder von der fortschreitenden „Sozialdemokratisierung" der CDU die Rede. Wie erklären Sie sich das?
Ja das lese und höre ich auch immer wieder. Aber wenn ich mir da meinen Bereich anschaue, dann kann ich diese Kritik nicht nachvollziehen. Die jüngsten Beschlüsse zur Familienpolitik tragen ganz deutlich die Handschrift der Union. Natürlich ist es eine SPD-Ministerin, die diese Regierungsbeschlüsse umsetzt. Aber nur, weil eine SPD-Ministerin neue Gesetze oder Gesetzesänderungen einbringt, sind es noch lange keine SPD-Gesetze. Wir haben das alles haarfein im Koalitionsvertrag festgeschrieben, und dieser Vertrag trägt unsere Handschrift. Und nun wird dieser Koalitionsvertrag umgesetzt.
Aber selbst die Bertelsmann-Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass die vergangenen 18 Monate Regierungsverantwortung klar die Handschrift der SPD tragen. Wie kann das sein?
Am Ende geht es doch darum, dass wir das umsetzen, was wir uns gemeinsam vorgenommen haben. Und die Halbzeitbilanz hat gezeigt, dass das eine ganze Menge ist. Wir haben den Digitalpakt Schule auf den Weg gebracht, das Gute-Kita-Gesetz, und unser Gesundheitsminister Jens Spahn schiebt sehr viele Gesetze und Reformen in den Krankenhäusern und in der Pflege an.
Also ist Spahn doch der Superminister – mit Ambitionen aufs Kanzleramt?
Jens Spahn ist ein sehr fleißiger Minister mit viel Fachkompetenz. Und ihm geht es um die Sache. Und darüber sollten wir stärker reden und weniger über Ambitionen. Peter Altmaier setzt gerade mit Gaja-x ganz neue Akzente in der Digitalpolitik. Annegret Kramp-Karrenbauer war Ende Oktober 100 Tage im Amt und hat in dieser kurzen Zeit ganz konkrete Verbesserungen für die Truppe bewirkt. Das kostenlose Bahnfahren für Soldatinnen und Soldaten hat sie innerhalb von vier Wochen nach ihrem Amtsantritt realisiert. Auch wird es künftig wieder öffentliche Gelöbnisse geben, um die Sichtbarkeit der Bundeswehr in der Bevölkerung zu erhöhen. Und neben solchen kleineren Maßnahmen, die aber wichtig für die Anerkennung der Truppe in unserer Gesellschaft sind, hat AKK auch heiße Eisen angepackt. Mit ihrem Friedensplan für Nord-Syrien hat sie einen wichtigen und richtigen außen- und sicherheitspolitischen Impuls gesetzt. Den hätte ich mir eigentlich von unserem Außenminister erwartet. Mit ihrer Entscheidung, die Privatisierung der Heeresinstandsetzungslogistik zu stoppen, hat sie einen langen und quälenden Prozess beendet. Sachpolitik statt Personaldebatten, das ist doch genau das, was wir brauchen.
Alles klar, Frau Schön, Jens Spahn ist ein toller Minister, aber zumindest für Sie kein Kanzlerkandidat. Sie sind Saarländerin und haben eine Kanzlerkandidatin …
(lacht) Ja!
Was ist Ihr sehnlichster Wunsch für den anstehenden CDU-Parteitag?
Ich wünsche mir, dass wir uns in Leipzig vor allem mit Sachfragen beschäftigen. Dass wir inhaltliche Antworten geben und aufzeigen, wie wir in zehn oder 15 Jahren leben wollen. Darum haben wir die Digital-Charta und den Antrag zur sozialen Marktwirtschaft erarbeitet, die nun zur Abstimmung stehen. Damit wollen wir Deutschland zukunftsfest machen. Damit wollen wir aufzeigen, wie wir die Herausforderungen von Globalisierung und Digitalisierung in Angriff nehmen wollen.