Nepal ist ein Mekka für Hochgebirgsbergsteiger. Nirgends auf der Welt gibt es so viele Achttausender wie hier. Trotzdem ist das Land nicht nur ein Reiseziel für Extremwanderer.
Der junge Holländer hält es für die beste Idee seines Lebens. Vor zwölf Tagen habe er seine Heimat für immer Richtung Nepal verlassen, erzählt er. Zurückkehren, das weiß er schon jetzt, will er nicht mehr. Er spricht von Erbauung und einem neuen Lebensentwurf. Von einem entspannteren Leben und neuen Werten.
Unsere Wandergruppe hat weniger ambitionierte Ziele. Wie der Mann aus Amsterdam sind wir am Fuße des Annapurna unterwegs. Mit 8.091 Metern ist das der zehnthöchste Berg der Welt und einer, der am schwersten zu besteigen ist. Jeder Dritte, der sich auf den Weg Richtung Gipfel macht, kommt nicht mehr zurück. Doch auch der Blick von unten ist imposant genug. Unser Track stellt keine besonderen bergsteigerischen Anforderungen. Trotzdem: Die langen Anstiege bringen mich gehörig ins Schwitzen und da ist es gut, dass wir Nurbu und Suku dabei haben, zwei junge Träger, die unser Gepäck die Berge hinaufschleppen. Erst binden sie je zwei Rucksäcke mit Bändern zusammen, um sie dann mit einer Art Stirnband am Kopf anzulegen. „Wir Nepalesen tragen die Lasten immer mit dem Kopf", sagt Sonam Sherpa, unser Guide und der Einzige von uns, der Hochgebirgserfahrung hat. Auf einfachen Touren wie der unseren lernt der erfahrene Bergsteiger, der schon des Öfteren 6.000 und 7.000 Meter hohe Bergriesen bezwungen hat, Novizen wie Nurbu und Suku an. Die beiden studieren in der Hauptstadt Kathmandu und für sie ist das Tragen von Touristengepäck ein Ferienjob, wie für deutsche Jugendliche das Kellnern in einem Szenecafé.
Lasten werden mit dem Kopf getragen
Wir beginnen unseren Aufstieg in Phedi, einer kleinen Gemeinde, die eine Fahrstunde vom Touristenort Phokara entfernt liegt. Drei Stunden geht es erst einmal den Berg hinauf. Sonam steigt wie eine Bergziege voran, wir anderen schnauben hinterher. Zu Hause kann ich mit den Zahlen vermutlich keinen Eindruck machen, aber unsere Tour führt nur auf gut 2.000 Meter hinauf. In einem Land, in dem manche Hirten im Sommer ihr Vieh auf über 4.000 Meter weiden lassen, eine lächerliche Höhe. Am Abend erzählt uns Sonam, dass er Touren wie die unsere nur in der Vorsaison im Februar mache, dann, wenn die Pfade in höheren Regionen noch unter einer dicken Schneedecke liegen. Sonam lacht, und sagt, dass unsere Wanderung sehr einfach sei. In unserem Team stört das niemand. Keiner ist auf Rekordjagd. Allenfalls jagen wir persönlichen Eindrücken hinterher.
Vor uns breitet sich die Himalayakette aus. Jeder der Berge ist höher als 6.000 Meter und übertrumpft damit den Mont Blanc und den Elbrus, die Könige der europäischen Berge, bei Weitem. An unseren Heimatkontinent erinnert uns auch der Machapuchare, denn der fast 7.000 Meter zählende Gigant sieht aus wie eine XL-Ausgabe des Matterhorns. Die Einheimischen nennen ihn wegen seiner Silhouette „Fischschwanz" und verehren ihn als Sitz des „Buddhas des grenzenlosen Lichts". Noch niemand hat den Machapuchare bestiegen, seit 1964 ist das aus religiösen Gründen auch offiziell verboten. Das Gerücht, dass der Neuseeländer Bill Denz zu Beginn der 80er-Jahre illegal zum Gipfelsturm aufgebrochen sein soll, lässt sich nicht mehr nachprüfen. Denz verunglückte auf einer anderen Bergexpedition in Nepal 1983 tödlich. Die Einheimischen glauben, Denz habe am Machapuchare einen Fluch auf sich geladen.
Touri-Tour führt auf 2.000 Meter
Vier Tage wandern wir an der Bergkette entlang. Immer wieder schieben sich Wolken vor die Gipfel. Doch so als öffne jemand einen riesigen Bühnenvorhang, hebt sich die Wolkendecke so schnell wie sie gekommen war. Sonam Sherpa betont immer wieder unser Wetterglück, schon manche Wanderung habe er erlebt, auf der seine Gäste von den Gipfeln kaum etwas gesehen hätten. Der schnelle Wetterwechsel ist für uns nichts als ein beeindruckendes Schauspiel. Für einen Bergsteiger beim Aufstieg kann ein solcher Umschwung dagegen nicht nur über den Gipfelerfolg, sondern auch über Leben und Tod entscheiden.
Am Morgen kriecht die Sonne langsam über die Berge. Beleuchtet erst die Gipfel und klettert dann Meter für Meter die schneebedeckten Hänge hinunter ins Tal. Von dort wiederum steigen monotone religiöse Gesänge hinauf in die Höhen. Laut zwitschernde Vögel scheinen die Gläubigen unterstützen zu wollen, ein einzelner Hund beginnt den Tag mit verschlafenem Gebell. Nepal erwacht, und auch die Wanderer steigen aus ihren Betten. Meist verbringt man die Nacht in einfachen Herbergen. Die kargen Zimmer sind ungeheizt – ein warmer Schlafsack gehört also ins Gepäck. Außer man ist mit einem fürsorglichen Guide wie Sonam unterwegs, denn der packt seinen Gästen am Abend noch eine Wärmflasche unter die Decke. Die Temperaturunterschiede am Fuße der Himalaya-Riesen sind enorm, tagsüber sind wir im T-Shirt unterwegs, sobald die Sonne aber hinter den Bergen verschwindet, wird es schlagartig kalt. In vielem mögen sich die einfachen Behausungen der Nepalesen von unseren unterscheiden. In einem hat das Himalayaland mit uns schon gleichgezogen, die Versorgung mit Internet ist ebenso gut wie hierzulande. Im Gegenteil – mancher Bewohner Brandenburgs mag einen Bergbauern im Hochland Nepals um seine stabile Internetverbindung beneiden. Ein Guest House, das etwas auf sich hält, wirbt deswegen mit zwei Trümpfen: „Wi-Fi" und „Hot shower". Beides wissen Wanderer am Ende eines langen Tages zu schätzen. Ein Problem ist allerdings die Stromversorgung – die funktioniert alles andere als stabil. Fällt der Strom aus, wird eben doch kalt geduscht und dann muss auch der Wi-Fi-Kontakt mit den Liebsten zu Hause ausfallen.
Ein warmer Schlafsack gehört ins Gepäck
Auf unserer Wanderung passieren wir immer wieder kleine Dörfer – Dhampus, Deurali, Landruk oder Ghandruk heißen sie. Die Namen habe ich vorher noch nie gehört, entnehme sie der Wanderkarte oder lese sie von Hinweisschildern am Rande des Weges ab. Viel unterscheiden sich die Gemeinden nicht voneinander: Überall, wo wir hinkommen begrüßen uns Gebetsfahnen – in bunten Farben flattern sie im Wind. Dadurch werden, so der Glaube der Nepalesen, die Gebete, die auf ihnen abgedruckt sind, in den Himmel getragen. Die Erwachsenen begrüßen uns freundlich und mit breitem Lachen. „Namaste" ruft man uns entgegen. Die Kinder sind offenbar besser mit Fremdsprachen vertraut. „Chocolate", lautet ihr Ruf. Und weil darauf ebenfalls ein breites Lächeln folgt, sind viele Wanderer freigiebig. Doch davor warnt Christian Hlade, der Besitzer des österreichischen Reiseunternehmens Weltweitwandern und erfahrener Weltreisender. Mehrmals jährlich ist er selbst in Asien unterwegs. Er empfiehlt, bettelnden Kindern oder aufdringlichen Händlern eine freundliche, aber bestimmte Abfuhr zu erteilen. „Die Kinder profitieren nicht von unseren Almosen. Kinder gehen in stark von Touristen besuchten Gegenden oft deshalb nicht mehr zur Schule, weil sie mit dem Betteln mehr verdienen als ihre hart arbeitenden Eltern. Das Einkommen endet aber, wenn sie keine süßen Kinder mehr sind und dann ganz ohne Schulbildung dastehen." Hlade rät deswegen, lieber Bildungsprojekte im Land finanziell zu unterstützen oder Kinderpatenschaften zu übernehmen.
Die Menschen grüßen freundlich mit „Namaste"
Nach knapp einer Woche kehren wir nach Kathmandu zurück. Wie der junge Holländer, den ich zu Beginn meiner Wanderung getroffen habe, habe auch ich am Fuße des Annapurna Ruhe und Entspannung gefunden. Diese Gelassenheit hilft beim Spaziergang durch die nepalesische Hauptstadt, denn dort löst der Lärm der Autos das Zwitschern der Vögel ab und der Gestank der Abgase ist an die Stelle der klaren Bergluft getreten. Geblieben ist aber das Lachen auf den Gesichtern der Menschen, wenn sie uns mit einem freundlichen „Namaste" begrüßen.