In der französischen Komödie „Die schönste Zeit unseres Lebens" erlebt ein frustrierter Ehemann noch einmal den besonderen Moment, in dem er sich in seine Frau verliebt hat. Das ist ein Trugschluss, aber ein wunderbarer Film.
Wie es den Franzosen gelungen ist, die wohl besten europäischen Filme zu machen (und zuweilen auch Hollywood in die Schranken zu verweisen), bleibt wohl ihr Geheimnis. Sicher ist aber, dass Frankreichs Kinowelt einzigartig ist. Produzenten, Regisseure und Schauspieler machen aus offenbar jedem Thema ein Kunstwerk mit viel Charme und großem Unterhaltungswert. Selbst brisante Themen wie gesellschaftlicher Rassismus („Monsieur Claude und seine Töchter") oder Krankheit („Ziemlich beste Freunde") werden von Frankreichs Filmemachern zu Komödien und Welterfolgen geformt. Es werden auch Filme produziert, die zuweilen etwas absurde Geschichten erzählen – so wie nun „Die schönste Zeit unseres Lebens":
Das Ehepaar hat sich völlig auseinanderentwickelt
Comiczeichner Victor (Daniel Auteuil) ist mit den Jahren zynisch geworden. Durch seinen Frust verdirbt der Miesepeter auch jegliche gute Stimmung seiner Mitmenschen. Seine Ehefrau Marianne (Fanny Ardant) macht das nicht mehr mit und beginnt eine Affäre mit dem besten Freund ihres Gatten. Kein Zweifel: Die Ehe zwischen Victor und Marianne ist am Ende, die beiden haben sich auseinandergelebt. Er ist als Künstler an der modernen Medienwelt gescheitert und hat nichts übrig für das digitale Leben. Er sehnt sich nach den Zeiten zurück, als die Zeitung noch aus Papier war und gut für seine politischen Karikaturen gezahlt wurde. Marianne hingegen ist immer auf dem neusten Stand und hat eine Schwäche für jeglichen technischen Schnickschnack. Ihr Blick geht eher aufs Handy als ins Gesicht ihres Mannes. Und so hat Victor nur einen Wunsch: Er will wieder jung sein und noch einmal die Zeit erleben, als Facebook noch nicht wertvolle Stunden verschwendete. Da entdeckt er die Geschäftsidee von Antoine (Guillaume Canet): Mittels dessen Schauspielern und aufwendigen Kulissen kann sich Victor an den Tag zurückversetzen, an dem er in 1970er-Jahren seine Frau kennengelernt hat. Es ist die perfekte Illusion, in der Margot (Doria Tillier) die Rolle der jungen Marianne einnimmt – zu schön für Victor, der Schein und Realität nicht mehr trennen kann (oder nicht mehr möchte). Er sieht in Margot nicht mehr nur die Schauspielerin, sondern seine junge Ehefrau – und möchte sie nicht mehr loslassen.
Gesellschaftskritik ist geschickt mit der Handlung verknüpft
Das ist eine abstruse Geschichte, die hätte scheitern können – denn immerhin galt es, sie mit Feingefühl für die Liebe im Alter und die Sehnsucht an eine vergangene Epoche zu erzählen. Aber Regisseur Nicolas Bedos ist diese Zeitreise der etwas anderen Art richtig gut gelungen. Mit den verheirateten Kontrahenten zeichnet Bedos zwei ebenso scharf konstruierte wie lebensechte Figuren, die er im herrlich ausgelassenen Schlagabtausch aufeinander hetzt und auf ihre ganz persönlichen Entwicklungsreisen schickt. Dass dieses turbulente Verwirrspiel zu gut funktioniert, liegt an den fabelhaften Hauptdarstellern, deren große Spielfreude den Film zu einem Vergnügen macht. Der großartige Daniel Auteil („Caché" 2005; „Die brillante Mademoiselle Neïla" 2017) mit anfangs einem grauen Zottelbart hat als knuffiger Offliner viele Lacher auf seiner Seite, während die einstige Truffaut-Muse Fanny Ardant („Die Frau nebenan" 1981; „8 Frauen" 2002) als Online-Süchtige beweist, dass sie noch immer eine strahlend schöne Grande Dame des französischen Kinos ist. Die Dialoge der Schauspieler haben zuweilen den schnellen Rhythmus eines Woody-Allen-Films, dazu mischt Regisseur Bedos eine gute Portion Gefühlsverwirrungen à la Shakespeare – schon ist „Die schönste Zeit unseres Lebens" auch zu einem der schönsten Filme des Jahres geworden. Typisch für französische Filme ist, geschickt fast immer etwas Gesellschaftskritik mit der Handlung zu verknüpfen. Bei diesem Film ist es eben der Menschen Online-Sucht, die im Alltag zuweilen absurde Verhaltensweisen zeigt und all jene, die sich einer übertriebenen Nutzung des Internets verweigern, aussperrt. Victor jedenfalls kriegt noch die (analoge) Kurve. Denn seine Leidenschaft nach Schauspielerin Margot ist nichts anderes als eine verzweifelte Sehnsucht nach seiner Frau. Das Happy End ist nah. Und indem Victor sich später auch seines Bartes entledigt, zeigt er, dass auch er sich von der Vergangenheit verabschiedet hat und die schönste Zeit seines Lebens noch lange nicht zu Ende ist.