Bei „Gazzo Pizza" wird nur mit Sauerteig gebacken, dazu kommen Biozutaten obenauf, und die Büffelmilch stammt von Maskottchen-Kuh Gustavina und ihren Kolleginnen aus Brandenburg. Kein Wunder, dass das von Mikael Andersen und Robert Szabo geführte Lokal brummt.
Lassen Sie uns über Eis sprechen. Über Softeis? In einer Pizzeria? Ja. Denn das cremige Büffelmilcheis mit Meersalz, Shortbread-Würfeln und einem kleinen Olivenölkranz im silbernen High-Heel-Schälchen ist einfach fantastisch. Es steht sinnbildhaft für die Nachhaltigkeit, mit der bei „Gazzo Pizza" in Neukölln eingekauft, gekocht und gebacken wird. Büffelkuh Gustavina und ihre Kolleginnen stehen auf einem Hof im brandenburgischen Mittenwalde und geben die Milch für Mozzarella, Ricotta, Burrata und Eis. Das Shortbread für die buttrig-mürben Würfel backt „Katie’s Blue Cat" gleich ums Eck in der Friedelstraße. Und ehe wir uns versehen, holt „Gazzo Pizza"-Inhaber Mikael Andersen sein Smartphone heraus: „Gustavina ist vier Jahre alt." Hallo Büffel-Lady! „Sie ist unser Maskottchen", ergänzt Mitbesitzer Robert Szabo. „Die Statue auf unserem Tresen heißt Gustav. Damit war klar, dass sie Gustavina heißen muss."
Man kennt eben seine Produzenten! Das gilt nicht nur für die Büffelmilch. Auch Nüsse, Wurst und Kuhmilch etwa stammen von lokalen und regionalen Herstellern. „Wir haben 30 Lieferanten und nicht nur zwei Großhändler", sagt Mikael Andersen, der die Idee zu „Gazzo Pizza" entwickelte und das Lokal gemeinsam mit „Frontmann" Robert Szabo vor gut einem Jahr an den Start brachte. „Ich wollte etwas mit hochwertigen biologischen Produkten und regionalen Produzenten machen, das aber nicht zu teuer werden sollte", erzählt Andersen. Der Norweger ist gelernter Koch und studierter Betriebswirt, den es in Berlin in die Gastronomie zurückzog. Das klappt. Bei Preisen von sechs bis 12,50 Euro sind die Pizzen in dieser Nachhaltigkeitsliga preiswert. Die „Bites" kosten zwischen vier und sechs Euro. Resultat: Das große Ecklokal an der Kreuzung von Hobrecht- und Pflügerstraße ist abends meist rappelvoll. Ein Popcorn-Automat und Benachrichtigungen per SMS sollen die Wartezeit drinnen und draußen angenehmer machen. Nur ein kleinerer Teil der Tische und der 75 Plätze ist für Gruppen ab sechs Personen reservierbar, damit die Gäste zumindest halbwegs spontan Pizza essen gehen können.
Abends ist das Ecklokal meist rappelvoll
Ob mit Portobello-Pilzen, als klassische Margarita vegan oder mit Salsiccia und karamellisierten Zwiebeln in Weiß – alle neun Pizzen von der regulären Karte sowie die drei wechselnden Specials sind immer mit Bio-Sauerteig zubereitet. Klingt ungewöhnlich und schmeckt. Der Rand hat nicht nur ein trendiges Leo-Muster, sondern ist auch eher fest-fluffig, so wie ein gutes Sauerteigbrot eben. Der Mittelteil ist dünn und bietet Raum für Schinken vom Schwäbisch-Hällischen Landschwein, Austernpilze, Büffelricotta, Tomaten und Mozzarella. Neun plus drei, dabei bleibt es. Es gibt keine Pasta oder andere Hauptgerichte. Die Pizza ist nicht neapolitanisch oder römisch, sondern bei 400 Grad blitzgebacken und „so wie sie uns schmeckt", sagt Andersen. Leichter und besser bekömmlich sei sie. Gemeinsam mit dem hawaiianisch-deutschen Bäckermeister Pablo tüftelte Andersen lange am idealen Teig herum. An den Backversuchen durften sich die Nachbarn mit erfreuen. „Pablo hat ungefähr 200 Rezepte ausprobiert, bis wir die ideale Mehlmischung, die richtigen Abläufe und die Temperaturen, mit denen es funktioniert, gefunden hatten."
Robert Szabo ist „Mother and Spiritual Dragon of Palazzo Gazzo". Er steht „draußen" und kümmert sich um alles, was auf der für den Gast sichtbaren Bildfläche passiert. Ob es ein eher mütterlicher oder drachenartiger Blick war, der zum zügigen Servieren der „Bites" führte, wissen wir nicht. In den Vorspeisen-Gläschen vor uns befinden sich nun etwa mit Honig und Harissa geröstete Mandeln oder die „scharfe Teewurst" Nduja aus Kalabrien, die vom lokalen „The Sausage Man Never Sleeps" hergestellt wird. Wir streichen sie gleich auf das papierknusprige sardische Pane carasau. Die dickfleischigen grünen Nocellara-Oliven aus Sizilien könnte ich samt und sonders aufessen. Sie haben fruchtiges Fleisch am Stein und werden von Zitrone, Orange und Knoblauch mediterran umgarnt. Ich bleibe höflich und lasse alle anderen dann doch lieber mitessen. Die Anchovis, denen wir später auf einer Pizza in Gesellschaft von Kapern, Mozzarella, Petersilie und Chili ebenfalls begegnen werden, dürfen sich auf dem Teller als Vorspeise noch pur lang machen. „Sie werden im Glas angeliefert", erzählt Robert Szabo, „und dann genau 35 Minuten gewässert, damit der Wumms nicht verloren geht." Die Küchen-Feldforscher haben auch an dieser Stelle mit Akribie, Präzision und Nachdruck ganze Arbeit geleistet. „Das Produkt-Scouting hat schon was Romantisches, ist aber auch wahnsinnig anstrengend", sagt Szabo. Zu seiner zwischenzeitlichen Entspannung trägt der Hund der Begleiterin seinen Teil bei. Der „Spiritual Dragon" hält eine Box mit Leckerlis bereit, dirigiert Corgi Juancho mit einem Blick und „Sitz" in Position, belohnt und krault den neuen Freund ausführlich.
Sizilianische Oliven mit fruchtigem Fleisch
Während wir auf das Holzboard mit mehreren Pizzen warten, das uns bereits am Nebentisch als praktischer Tafelaufsatz aufgefallen war, trinken wir uns durch die Aperitife, vier an der Zahl. Der „Venezianer", ein klassischer Spritz, wartet mit Olive und Fleur de Sel auf, ein „Bergamot Rosolio" führt ebendiesen Bergamotte-Likör mit sich. Das Modell Blutorange ist „ohne" – einen alkoholfreien Drink für sich selbst hatte sich Szabo auf der Karte gewünscht. Den „Belsazar Negroni" überlasse ich in seiner Bitterkeit lieber gleich dem Fotografen. Und ja, natürlich gibt’s auch, wie sich’s für so viel Produktverliebtheit gehört, ebenfalls eine wohlmundende hausgemachte Limonade mit Orange, Grapefruit, Zitrone und Basilikum. Bei den Weinen dominieren bei den Roten und beim Rosé die Italiener. Sie warten aber auch auf der Special-Karte in Gestalt von zwei – in der Flasche angebotenen – Naturweinen und einem Lambrusco auf. Da gerne größere Gruppen einkehren, klappt das mit dem Teilen von Wein und Pizzen gut. Allerdings schaukelt sich die Lautstärke durch den Mix aus Musik und Gesprächen dann sehr hoch. Das „Gazzo Pizza" ist eher nicht der Ort für lauschige, gemache Abende, sondern eher für Club-Esser gemacht. Die Pizza ist aber so klasse, dass ich sie mir zum Mitnehmen für zu Hause oder für einen sommerlichen Abend am Landwehrkanal vorstellen kann. Oder zum Draußenessen im Sommer. Dort gibt’s weitere 45 Plätze, von denen aus sich Schall und Stimmengewirr besser in der Berliner Luft verteilen dürften.
Spätestens nach der Hokkaidokürbis-Pizza werde ich nie wieder sagen, dass ich Kürbis nicht so gern mag. Ich finde die Kombination von mürben Hokkaido-spalten, Guanciale – einem Speck aus Schweinebäckchen –, Büffelricotta von Gustavina und Co, Mozzarella, Salbei und Honig extrem gelungen. Der Grünkohl steht an diesem späteren Oktobertag für die nächste saisonale Special-Pizza schon in den Startlöchern. Auf der rot-weißen neben der Kürbispizza liegt ein Büffelburrata-Ball als Hingucker auf Tomaten-Mozzarella-Chili-Grund. Salami und Pimientos de Padrón fügen Pikanterie hinzu. Die Büffelburrata veranlasste schon Gäste zum Malen. Beim Aufschneiden zerläuft der Sahnekern und animiert zu „Pizza Art" mit dekorativem Schlierenziehen, wie uns Mikael Andersen auf Fotos zeigt. Wir teilen uns übrigens zu fünft vier Pizzen – zum angenehmen Probieren sowie mit den „Bites" und zwei Desserts passt das prima, ohne dass wir anschließend durch den Boden schlagen.
Büffelburrata animiert Gäste zu „Pizza Art"
Auch der englischsprachigen Begleiterin wird im „Gazzo Pizza" das Wählen leicht gemacht. Die papierenen Tischsets sind die Speisekarten. „Obenauf liegt immer die deutsche Seite", sagt Robert Szabo. Einmal wenden bitte, und schon kommen die Englischsprechenden zum Zuge. Die Internationalität der Gäste spiegelt sich auch im 30-köpfigen Team wider: „Jeder funny accent ist willkommen", sagt Mikael Andersen. Mit einer Einschränkung. „Jeder, der draußen steht, muss auch Deutsch sprechen können." Kurzum: „Gazzo Pizza" ist wie Berlin. Lokal, regional und international. Und in einer der angesagtesten Gegenden der Stadt sowieso immer mittendrin.