Der Kelly Family gelang vor 25 Jahren der große Durchbruch. Das neue Album „25 Years Later" soll an den damaligen Erfolg anknüpfen. Der wiedervereinte Clan zieht damit durch die Lande. Angelo Kelly spricht im Interview über Familienbande und die Schattenseiten des Erfolgs.
Angelo, das Album „25 Years Later" erscheint genau 25 Jahre nach „Over The Hump" (deutsch: Über den Berg). Wollten Sie mit der neuen Platte an den Sound von damals anknüpfen?
Es ist eine musikalische Hommage. Viele der neuen Lieder wie „Over The Hump" und „We Had A Dream" reflektieren die damalige Zeit. Es ist ein Rückblick auf das Jahr 1994 und das, was bei uns seitdem passiert ist. Was sind heute unsere Gefühle? Wie klingen wir? Und was bewegt uns 25 Jahre danach?
„Over The Hump" hat für Sie alles verändert. Was bedeutet diese Platte Ihnen heute?
Es ging uns vorher schon ziemlich gut. Wir haben zu der Zeit nicht mehr klassische Straßenmusik gemacht, sondern auch schon viele Platten verkauft. Wir hatten jahrelang an die Türen der Hallen geklopft, um dort zu spielen. Mit „Over The Hump" kam endlich ein Album von uns in die Läden. Nach drei Wochen war es bereits in den Top Ten und kletterte bis an die Spitze. Allein in Deutschland hat es sich drei Millionen Mal verkauft.
Vor „Over The Hump" hatte die Kelly Family bereits zehn Alben veröffentlicht, diese jedoch nur auf der Straße verkauft. War es für Sie selbst überraschend, dass sie zur meistverkauften Platte in Deutschland wurde und sich bis heute europaweit rund fünf Millionen Mal verkaufte?
Wir merkten schon, dass sich da etwas aufbaute. Noch während wir das Album aufgenommen haben, haben wir in Eigenregie die Westfalenhalle in Dortmund gebucht und sie von der Straße aus gefüllt. Das waren 17.000 Menschen. In dem Moment wussten wir: Das wird unsere neue Realität sein.
Das, was junge Bands heute mithilfe des Internets schaffen, ist Ihnen auf der Straße gelungen: der ganz große Erfolg.
Total. Der klassische Weg ist, in Clubs zu spielen und darauf zu hoffen, gesignt zu werden. Bands hat man zwei oder drei Alben Zeit gegeben. Wir haben aber die Straße gesucht und uns dort eine Fanbase aufgebaut. Auf diese Weise konnten wir bereits von dem Album vor „Over The Hump" 300.000 Stück verkaufen. Das wäre heute eine Platinauszeichnung wert. Dadurch, dass die Verkäufe nicht registriert wurden, gingen wir aber in der Branche und in den Medien unter. Wir waren Subkultur. Aber auf einmal konnte man überall unsere neue CD kaufen. Das hat es dann gebracht.
Die aktuelle Single „Over The Hump" zeichnet den Weg der Kelly Family in den vergangenen zweieinhalb Dekaden nach. War es rückblickend schwer, über den Berg zu gehen?
Es war ein harter und langer Weg. Unsere Unabhängigkeit hat sich am Ende ausgezahlt. Mitte der 1970er-Jahre haben die Ältesten von uns angefangen, Musik zu machen. Nach erstem Ruhm hatten wir einen Knebelvertrag, den mein Vater nicht verlängern lassen wollte, weshalb wir wieder auf die Straße gegangen sind. Kurz danach ist meine Mutter verstorben, was ein großer Umbruch war. Wir mussten alles wieder aufbauen, bis es 1994 endlich geklappt hat.
War Unabhängigkeit für Ihren Vater das wichtigste im Leben?
Total. Er wollte sie für sich, aber auch für uns. Er hat natürlich auch Fehler gemacht, man versteht ja nicht immer jeden Bereich. So hat es ein bisschen gedauert, bis wir das Geschäft gelernt hatten.
Wie unabhängig ist die Kelly Family heute?
Jeder in der Branche hat einen gewissen Respekt vor uns, aber es ist nicht leicht, mit uns zu arbeiten. Wir haben einen eigenen Kopf. Man kann uns nicht steuern. Aber die Resultate sind erfolgreich.
In „We Had A Dream" singen Sie von Ihrem Traum: „One big family living in harmony". Wie fühlt es sich an, mit Ihren Geschwistern wieder Musik zu machen?
Was Jimmy da singt, bezieht sich darauf, was wir nach dem Tod unserer Mutter und den Auftritten in der Pariser Metro dachten: Was soll das alles? Das bringt doch nichts! Es war nicht alles schön, unser Leben hatte auch seine Schattenseiten. Wir haben teilweise unter der Situation gelitten. Aber das ist in jeder Familie der Fall. Heute hilft uns die Musik sicherlich. Wir sind sehr stolz auf das, was wir zusammen erreicht haben. Wir haben eigene Projekte ruhen lassen und sind zusammen viele Kompromisse eingegangen. Von unserem Vater haben wir alle den eigenen Kopf und den Freiheitswillen geerbt. Wir sind in den letzten 15 Jahren zu unseren eigenen Chefs geworden. Wenn dann sieben Leute zusammenkommen und sich unterordnen sollen, ist das echt nicht leicht. (lacht)
Gibt es Alphatiere und übergroße Egos in der Kelly Family von 2019?
Alle! Wir haben uns deshalb ein Konzept überlegt, hinter dem alle stehen können. Die Frage war, womit wir nach unserem Comeback als Familienband weitermachen. Da kam die Idee auf, 25 Jahre „Over The Hump" in Form eines Albums und einer Tour zu feiern. Wenn man ein klares Ziel vor Augen hat, wird alles leichter.
Sie spielten in der Band ursprünglich Schlagzeug und waren ab Ihrem 14. Lebensjahr Meisterschüler bei Weltstar Billy Cobham. Er gilt als einer der besten Schlagzeuger aller Zeiten. Haben Sie daran gedacht, ihn zu den Albumsessions einzuladen?
So unfassbar gut Billy auch ist – das ist eher ein Folk-Rock-Pop-Album. Das ist die Musik, die ich gut kann, auch wenn ich Jazz liebe. Ich sehe Billy hin und wieder und wir telefonieren von Zeit zu Zeit. Ich habe meinen jüngsten Sohn nach ihm benannt. Er heißt William Emanuel Kelly.
Wie kam es dazu, dass der große Billy Cobham Sie als 14-jährigen Teenager als Meisterschüler unterrichtete?
Ich hatte seine Nummer von einem anderen Musiker bekommen. Ich habe ihn dann angerufen und gefragt, ob er mich unterrichten würde. Er meinte, er würde das selten machen, aber als ich ihm unsere Story erzählte, war er interessiert und vielleicht auch ein bisschen fasziniert. Und er wollte es einmal probieren. Es hat ihm dann so gut gefallen, dass wir uns drei- bis viermal im Jahr für zwei bis drei Tage getroffen haben. Es war eine ganz intensive Zusammenarbeit. Später haben wir sogar eine gemeinsame DVD veröffentlicht. Nie vergessen werde ich, wie Billy Cobham zu meiner Schwester Patricia sagte: „Ich hatte in meinem Leben zwei Schüler, die mich wirklich stolz gemacht haben: Sheila E. und Angelo Kelly". Das habe ich mir gemerkt.
Mit 13 Jahren komponierten Sie den Song „I Can’t Help Myself". Er wurde für die Kelly Family zu ihrem ersten Nummer-Eins-Hit in Deutschland und ist bis heute der erfolgreichste Titel Ihrer Karriere.
„An Angel" war ganz klar unser größter Hit in Deutschland, ist aber nie Nummer eins geworden. Als ich „I Can’t Help Myself" schrieb, habe ich nicht bewusst an einen Hit gedacht, sondern ich wollte meiner heutigen Frau Kira einen Song widmen. Ich war schon damals in sie verliebt. Die Kassette habe ich noch.
Sie und Ihr damals 16-jähriger Bruder Paddy stiegen zu Teeniestars auf und rückten als Leadsänger zugleich in den Fokus von Kritikern und Gegnern. Wie war das für Sie als Zwölfjähriger?
Mein Bruder Paddy und ich standen bei unseren Konzerten immer vorne, um unsere Songs zu singen. Mit der Zeit habe ich aber meine Liebe zum Schlagzeug entdeckt. Ab 1994 bin ich mehr und mehr nach hinten gegangen, um zu trommeln. Mein Vater wird ja gerne mit vielen Klischees belegt. Er sei wie der Vater der Jacksons gewesen und so ein Scheiß. Als Paddy und ich das Gesicht der Band und wahre Teenie-Magneten waren, hat er es zugelassen, dass ich immer mehr zum Schlagzeuger werde. Er sagte zu mir: „Angelo, Schlagzeug ist toll, aber vergiss niemals deine Stimme!" Heute verstehe ich das, weil ich wieder sehr gerne singe.
Ihr Bruder Joey bezeichnete das Ausmaß des kommerziellen Erfolges der Kelly Family Mitte der 1990er-Jahre als ungesund. Ohne seinen Sport hätte er die Kelly Family nicht überlebt. Wie ist es Ihnen damals ergangen?
Ich habe schon gespürt, dass das alles zu viel war. Man kann Erfolg aber schwer kontrollieren, er ist wie eine Bestie. Zu der Zeit habe ich viel von meiner Energie ins Schlagzeugspielen gesteckt. Täglich fünf Stunden zu üben hat mir Halt gegeben und mich am Ende gerettet.
Stimmt es, dass Sie sich in Ihrer Kindheit jahrelang nicht ohne Sicherheitskräfte in der Öffentlichkeit bewegen konnten?
Ja, außer in Irland. Nach zwei Jahren des Wahnsinns sind wir nach Irland gezogen. Da konnte ich ganz normal in die Stadt gehen und Sachen machen, die man in meinem Alter gerne machte.
Sie wohnen heute mit Ihrer Frau und Ihren fünf Kindern in Irland. Wie leben Sie dort die Freiheit?
In Irland konnte ich aufatmen. Ich habe mich dort immer schon zu Hause gefühlt. Ich mag die Kultur, die Menschen, die Mentalität und selbst das Klima. Hier fühle ich mich angekommen.
Gewöhnt man sich mit der Zeit daran, berühmt zu sein?
Man lernt, damit umzugehen. Für mich ist wichtig, das Berühmtsein nicht überzubewerten. Ich weiß, dass Erfolg harte Arbeit und nicht selbstverständlich ist. Er kommt und geht. Andererseits bin ich Angelo, wenn ich mit Leuten ein Bier trinken gehe. Alles andere spielt dann keine Rolle. Ich möchte keine elitäre Haltung ausstrahlen.
Ihr Vater Daniel Kelly hat das staatliche Schulsystem abgelehnt. Haben Sie als Vater seine Vorstellungen von Erziehung und Bildung übernommen?
Ich bin ja der Jüngste unter zwölf Geschwistern. Ich glaube, mein Vater hat bei den Älteren von uns mehr Fehler gemacht, aber mit der Zeit gelernt, was funktioniert und was nicht. Wenn ich manchmal Geschichten über ihn höre, denke ich: Das ist nicht derselbe Vater!
Was ist das Wichtigste, was Sie von ihm gelernt haben?
Dass es nichts gibt, was man nicht machen kann. Das ist keine Floskel. Ich habe das von ihm vorgelebt bekommen. Als Beispiel: 1989 haben wir auf einem Hausboot in Amsterdam gelebt und an den Wochenenden Straßenmusik gemacht. Zu der Zeit interessierte mein Vater sich für biologisches Essen. Er hat Geräte gekauft, mit denen man Vollkornbrot backen konnte. Wir fingen dann an, den ganzen Tag zu backen. Brot, Kuchen, Brötchen aus Dinkel- oder Vollkornmehl. Aus unserem Hausboot war eine Biobäckerei geworden. Ich habe wochenlang Mehlsäcke hin- und hergeschleppt. An den Wochenenden haben wir Backwaren verkauft und keine Musik gemacht. Nach einer Weile hätten wir davon existieren können, und ich dachte: Das ist jetzt unser Leben.
Und? Wie lange blieb es dabei?
Eines Tages sagte mein Vater zu uns: „Okay Kids, ihr habt jetzt gesehen, dass es funktioniert. Und jetzt wieder zurück zur Musik!" Das hat mir gezeigt: Wenn man in eine bestimmte Sache wirklich sein Herz und seine Energie reinsteckt, dann kann man daraus etwas machen. Solche Sachen habe ich immer wieder vorgelebt bekommen, weshalb ich nie Angst hatte, Neues auszuprobieren.
Auf Außenstehende wirkt Ihr Leben wie ein einziges Abenteuer. Wie fühlt es sich für Sie selbst an?
Ich kenne ja nur mein Leben. Mir ist bewusst, dass es ein Geschenk ist. Ich habe aktiv viel getan, um mein Leben und das meiner Familie anders zu gestalten. Anfang der Nullerjahre habe ich mit meiner Frau und meinen Kindern in einer Wohnung gelebt, während ich Musik gemacht habe. Irgendwann wollte ich daraus ausbrechen und meiner Familie ein anderes Leben geben. 2010 kauften wir uns ein fast 30 Jahre altes Wohnmobil und reisten damit drei Jahre lang ohne festen Wohnsitz im Ausland herum. Währenddessen haben wir Straßenmusik gemacht. Danach sind wir nach Irland gezogen. Wir unterrichten unsere Kinder schon seit vielen Jahren zu Hause und machen als Familie Musik. Bei uns ist einiges anders.
Sie haben einen Tag vor Heiligabend Geburtstag. Wie werden bei Ihnen Feste gefeiert?
Natürlich feiern wir mit der Familie Weihnachten, aber meine Geburtstage habe ich meist auf einer Bühne verbracht. Letztes Jahr war ich mit meiner Frau, den Kids und ein paar Gästen in der Westfalenhalle. Ein unglaublich schöner Geburtstag. Dieses Jahr werde ich Weihnachten tatsächlich zu Hause verbringen, aber danach stehen schon wieder Konzerte mit den Kellys an. Erst ab Silvester kehrt bei mir ein wenig Ruhe ein.