Sänger Myles Kennedy bildet gemeinsam mit Gitarrist und Grammy-Preisträger Mark Tremonti (Creed) den Kern von Alter Bridge. Die Alternative-Metaller aus den USA haben erst kürzlich ihr neues Album „Walk The Sky" veröffentlicht. FORUM hat die beiden in Berlin zum Interview getroffen.
Myles, Mark, in welcher Stimmung waren Sie, als Sie das neue Album erarbeiteten?
Myles Kennedy: Ich für meinen Teil war in geistig guter Verfassung, das war in meiner Karriere nicht immer der Fall. Aber diesmal stimmte alles. Ich benutze das Wort „Erleuchtung" nicht so gerne, aber es beschreibt meinen Zustand vielleicht am besten. Ich glaube, das manifestiert sich erstmals auch in der Musik. Viele Hardrocksongs drehen sich um dunkle Themen wie Angst und Frustration. Wir sind aber im Kopf schon einen Schritt weiter. Es wäre nicht ehrlich gewesen, Songs über die Angst zu schreiben, weil ich sie ja gar nicht mehr fühle. Die Hörer hätten das gemerkt.
Wollten Sie ein Gefühl wiederbeleben, das Sie in Ihrer Jugend hatten?
Kennedy: Möglicherweise. Ich hatte an der Highschool eine Band, mit der ich eine Kassette aufgenommen habe. Wir haben sie an einem einzigen Wochenende eingespielt. Die habe ich sogar noch. Wir nannten uns Bitter Sweet, und einer unserer Songs hieß „We Stand Together".
Mark Tremonti: Meine erste Single hieß „Pull my Trigger". Ein richtiger 80er-Song.
Wie waren Sie damals?
Tremonti: Sehr schüchtern. Meine Eltern sind häufig umgezogen, weshalb ich immer der Neue war. Ich war einsam und habe viel Zeit mit meiner Gitarre und meinem Aufnahmegerät verbracht. Weil ich keine Freunde hatte, wurde ich zu einem Songschreiber, was rückblickend eine gute Therapie war. Auf dem ersten Alter-Bridge-Album gibt es den Song „Shed My Skin", der diese dunkle Zeit meines Lebens beschreibt. Ich bin sogar einmal von zu Hause weggelaufen.
Wie kam es zu dem Song „Indoctrination"?
Kennedy: Das ist der einzige dunkle, beängstigende Song auf dem Album. Eine Netflix-Dokumentation hat mich dazu inspiriert. Sie drehte sich um den Anführer eines Kultes, der ganz viel Macht über seine Anhänger hat.
Wie hat Religion Ihr Leben beeinflusst?
Kennedy: In meinen 20ern war die christliche Doktrin mein Ding. Ich bin oft in Kirchen aufgetreten. Aber in meinen 30ern fing ich an, vieles zu hinterfragen, und ich kehrte der organisierten Religion den Rücken. Heute zweifele ich vieles an, an das ich damals geglaubt habe. Ich gehe auch nicht mehr in die Kirche.
Wer ist heute Ihr Rock-Gott?
Kennedy: Freddie Mercury war einzigartig. Ich bin ein glücklicher Fan, der in Rockbands mitspielt. Ich lebe meinen Traum.
Sie singen nicht nur bei Alter Bridge, sondern auch bei Slashs Band The Conspirators. Welches ist Ihre Philosophie als Performer?
Kennedy: Mit der Zeit habe ich festgestellt, dass ich ein „Vibe-Merchant" bin. (lacht) Ich möchte für positive Schwingungen sorgen und Kontakt mit dem Publikum aufnehmen. Ich bin kein Prediger, der seine Botschaften an den Mann bringen will. Mir geht es um Liebe und gute Gefühle. Rockmusik ist eine unglaublich tolle Kunstform und wird hoffentlich jeden in Stimmung bringen. So einfach ist das bei mir.
Haben Sie sich von legendären Performern etwas abgeschaut?
Tremonti: Mein erstes Konzert war von Iron Maiden. Ich war sofort vom Rock’n’Roll-Virus infiziert.
Inzwischen blicken wir auf über 50 Jahre Rockmusik zurück. Versuchen Sie, sich davon freizumachen und Ihr eigenes Ding durchzuziehen?
Tremonti: Ich versuche immer, in meiner eigenen Blase zu bleiben. Ich höre mir kaum andere Musik an, ich verharre lieber in meiner eigenen kleinen Welt. Auf dem neuen Album hört man ein paar Anklänge an den alten New Wave, aber das war es auch schon mit den Einflüssen. Ich habe auch gar keine Zeit, mich mit der Musik anderer Leute zu beschäftigen. Ich schraube lieber an meinen eigenen Sachen herum.
Läuft bei Ihnen zu Hause überhaupt keine Musik?
Tremonti: Bei mir zu Hause ist es nie ruhig. Ich habe zwei Jungs, und meine Frau hört gerne fröhliche Party-Mucke. Sie liebt Bob Marley, Christopher Cross und Steve Miller.
Kennedy: Lustigerweise denken viele, dass wir Rockmusiker auch privat immer nur Hardrock hören. Das macht vielleicht zehn Prozent von dem aus, was ich höre. Ich stehe auf Steely Dan, Supertramp, Earth, Wind & Fire und Stevie Wonder. Mark und ich mögen alle möglichen Genres. In den späten 90er-Jahren hat Jerry Harrison von den Talking Heads eine meiner Platten produziert, damals war gerade „OK Computer" von Radiohead erschienen. Ich habe sie mir aber erst angehört, nachdem ich meine eigene Platte fertig hatte. Ich wollte mich nicht beeinflussen lassen.
Myles, Sie waren ja sogar mal als Nachfolger von Robert Plant bei Led Zeppelin im Gespräch. Können Sie eigentlich alles singen?
Kennedy: Nein, Death Metal kann ich nicht singen. (lacht) Ich habe mir diese Typen angehört und mich gefragt, wie sie dieses gutturale Growling hinkriegen. Es ist das einzige, was ich nicht kann. Ich benutze dieselbe Technik wie Opernsänger. Vielleicht versuche ich eines Tages sogar mal, eine Oper zu singen. Das fände ich lustig.
Sind Sie wie die meisten Rocksänger Autodidakt?
Kennedy: Nein, ich habe bei Ron Anderson Gesang studiert. Er hat unter anderem mit Chris Cornell, David Coverdale, Axl Rose und Alicia Keys gearbeitet. Ronnie hat mir beigebracht: Als Sänger lebst und stirbst du mit der Atmung. Es braucht eine Ewigkeit, um die entsprechende Technik zu lernen. Ron Anderson hat 20 Jahre mit mir gearbeitet, aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich schon fertig bin.
Hat Ihr Job auch eine negative Seite?
Tremonti: Jedes Yin hat auch ein Yang. Wir reisen die ganze Zeit um die Welt und sind von unseren Familien getrennt. Manchmal sitzt man in schmutzigen Garderoben herum, manchmal ist es dort schön. Man lebt in einem Bus, und das Essen kommt auch nicht so einfach vorbei. Das ist nicht unbedingt ein gesundes Leben, zumal man in einem Bus nicht besonders gut schläft.
Warum tun Sie sich das an?
Tremonti: Weil ich es liebe, abends auf einer Bühne zu stehen. Dafür zahle ich gern einen Preis. Aus dem Nichts etwas zu kreieren, bedeutet nicht nur mir selbst, sondern auch den Zuhörern unheimlich viel. Das Schönste, das mir je gesagt wurde, war: „Deine Musik hat mir das Leben gerettet! Ich war kurz davor, etwas Drastisches zu tun, aber Deine Musik hat mich davon abgehalten." Musik ist magisch. Größer als das Leben. Für mich kaum zu begreifen, dass meine Musik solche Fähigkeiten besitzt. Uns ist sehr bewusst, dass wir gesegnet sind.
Woher kommen die Ideen?
Tremonti: Von überall her. Manchmal aus meinen Träumen, manchmal aus einem Film oder Buch. Viele Ideen fliegen mir zu, wenn ich herumsitze und einfach nur auf der Gitarre herumklimpere. Plötzlich stolpere ich über etwas, und zwei, drei Noten wachsen in meinem Gehirn zu einem tollen Song aus. Es ist ganz wichtig, seine Imagination zu benutzen. Man lernt mit der Zeit, sie wie ein wildes Pferd zu reiten. Als Musiker brauchst du das Urvertrauen, etwas erschaffen zu können.
Suchen Sie immer nach dem perfekten Song?
Kennedy: Nein, das Beste, was einem Musiker passieren kann, sind glückliche Fehler. Natürlich sucht man immer nach dem perfekten Song, aber wird man ihn jemals schreiben? Mir ist das bisher jedenfalls noch nicht gelungen. Man probiert immer vieles aus und manchmal fängt man die Magie ein, die im Universum herumschwirrt. Solche Momente sind sehr speziell.
Und wie verhält es sich mit Fehlern auf der Bühne?
Kennedy: Mir ist es schon passiert, dass ich bei einer Show einen Fehler gemacht habe. Aber es klang so cool, dass ich ihn beibehalten habe.
Wie viel Schlaf kriegen Sie eigentlich auf einer Tour?
Kennedy: Definitiv zu wenig. Als Sänger bräuchte ich eigentlich acht Stunden Schlaf, aber das klappt nie.
Tremonti: Wenn du als Sänger nicht genug Schlaf bekommst, bist du aufgeschmissen. Du fängst an zu hyperventilieren, was physisch ziemlich hart ist.
Können Sie immer und überall schlafen?
Kennedy: Nein. Ich versuche es zumindest, und manchmal klappt es sogar. Ich habe mir angewöhnt, den Lärm und die Geräusche um mich herum zu ignorieren. Wenn ich im Tourbus schlafen möchte, konzentriere ich mich einfach auf meinen Atem. Für einen Sänger ist das richtige Atmen das A und O.
Und wenn Sie einmal partout nicht schlafen können?
Kennedy: Vor zwei Jahren war ich so viel auf Tour, dass ich nachts kaum schlafen konnte. Das war echt hart, und ich musste einen Arzt aufsuchen, der sich mit Schlafmangel auskennt. Er verschrieb mir Melatonin. Dieses Hormon steuert den Tag-Nacht-Rhythmus. Als Medikament kann man es gegen Schlafstörungen einsetzen. Ich nehme es manchmal noch, aber lieber konzentriere ich mich auf meinen Atem.
Was tun Sie, wenn Sie im Bus einen Schnarcher haben?
Kennedy: Jesus, es gibt immer einen in unserer Crew, der schnarcht!
Tremonti: Ich stecke mir immer Kopfhörer in die Ohren und stelle mein Handy auf weißes Rauschen. Das hilft. Bei Totenstille kann ich gar nicht schlafen, weil ich bei dem leisesten Geräusch wieder aufwache.
Was tun Sie, um Ihr Gehör zu schützen?
Kennedy: Ich hatte lange Zeit Hörprobleme. Zum Glück gibt es heute In-Ear-Monitore, die wir auf der Bühne tragen. Wenn man diese Stöpsel bei moderater Lautstärke benutzt, performt man viel konzentrierter. Aber Vorsicht: Wenn man sie zu laut macht, zerschießt es einem das Trommelfell. Ich war vor zwei Jahren beim Ohrenarzt. Er hat mir bestätigt, dass ich für meine Verhältnisse noch ziemlich gut höre.
Tremonti: Ich war vor zwei Jahren beim Augenarzt. Sie haben dort auch gleich mein Gehör getestet. Ihnen ist nichts aufgefallen, obwohl ich auf der Bühne wirklich großer Lautstärke ausgesetzt bin. Eine echte Wall of Sound! Aber ich habe mir angewöhnt, mich nicht mehr direkt vor die Verstärker zu stellen.
Kennedy: Es sind die Schlagzeuger, die sich die Ohren kaputtgetrommelt haben. Aber auch Jeff Beck, Pete Townshend und Eric Clapton sollen nicht gut hören.
Würden Sie auch noch Musik machen, wenn Sie eines Tages stocktaub sein sollten?
Tremonti: Klar, Mozart und Beethoven haben es auch getan. Aber es wäre sicher nicht der Idealzustand.
Kennedy: Alles ist möglich!