Francesco Friedrich ist schon jetzt einer der besten Bobfahrer aller Zeiten. Im vergangenen Winter holte sich der Deutsche erneut beide Weltmeistertitel im Zweier sowie im Vierer und gewann als erster Pilot im Zweier alle acht Weltcuprennen. Vieles spricht dafür, dass sich die Dominanz fortsetzt.
Es gibt Dinge, bei denen auch Francesco Friedrich etwas nachlässig ist. Wenn der Bobfahrer im Weltcup unterwegs ist, könne das Hotelzimmer schon einmal aussehen wie Sau, beichtete er im vergangenen Jahr im Interview mit der „Welt". „Aber im Endeffekt interessiert es keinen, ob die Klamotten über dem Stuhl liegen oder fein säuberlich zusammengelegt sind. Es zählt nur der Platz, den du im Wettkampf belegst." Und in dieser Hinsicht ist Friedrich wahrlich ein Perfektionist.
Im vergangenen Winter holte sich der 29-Jährige erneut beide Weltmeistertitel im Zweier- sowie im Viererbob und gewann als erster Pilot im Zweier alle acht Weltcuprennen der Saison. Ungeschlagen beendete er den Winter. „Es ist einfach sensationell, was er für ein Athlet ist. Wie er in dieser Saison bei den Weltcups vorneweg gefahren ist, davor kann man nur den Hut ziehen", sagte sein Konkurrent Johannes Lochner. Auch Bundestrainer René Spies meinte: „Ich denke, das war eine herausragende Saison, die wird es in den nächsten 20 Jahren nicht mehr geben." Was Friedrich geleistet habe, sei „unvorstellbar und wird in der Sparte Bob in die Geschichtsbücher eingehen", so Spies.
„Ohne meine Anschieber wäre ich ein Nichts"
Friedrich der Große: So hat ihn sein Heimtrainer Gerd Leupold getauft. Für ihn ist Friedrich ein Jahrhunderttalent. „Er hat alles, was ein guter Pilot braucht: Schnelligkeit, Kraft, technisches Verständnis, gelassene Ruhe an den Lenkseilen und ein großes Organisationstalent", sagte Leupold schon 2013. Damals hatte der Deutsche im Zweier als jüngster Weltmeister aller Zeiten gerade zum ersten Mal Geschichte geschrieben. Es war der Anfang einer beispiellosen Karriere. 2014, 2016, 2017 und 2019 gewann Friedrich erneut den Weltmeistertitel im kleinen Schlitten und zog damit in der ewigen Tabelle mit dem Italiener Eugenio Monti gleich, der von 1957 bis 1961 ebenfalls fünfmal in Folge erfolgreich war. Der jüngste Titel im März auf der Olympiabahn in Whistler (Kanada) zusammen mit Anschieber Thorsten Margis war dabei vielleicht der beeindruckendste. Die dortige Bahn gilt nicht nur als die schnellste und anspruchsvollste der Welt – es handelt sich auch um die Heimstrecke seines ärgsten Konkurrenten Justin Kripps (Kanada). Trotzdem hatte Friedrich nach vier Läufen fast sechs Zehntel Vorsprung auf seinen Rivalen – im Eiskanal eine Ewigkeit. „In dieser Deutlichkeit ist das in Whistler ein überragendes Ergebnis für uns", sagte Bundestrainer René Spies. Wenige Tage später sicherte sich Francesco Friedrich auch im Vierer die Goldmedaille. Selbst ein Muskelfaserriss konnte ihn nicht aufhalten. „Die Jungs haben für mich mitgeschoben, ich bin froh, dass ich es in der Bahn zurückzahlen konnte", dankte er anschließend seinen Anschiebern Thorsten Margis, Candy Bauer und Martin Grothkopp. Ganz nebenbei stellte das Quartett mit 157,06 Stundenkilometern auch noch einen neuen Geschwindigkeitsweltrekord im Bobfahren auf.
Schon 2017 hatte Friedrich beide Titel gewonnen, auch bei den Olympischen Spielen 2018 in Pyeongchang (Südkorea) war er doppelt erfolgreich. Indem er nun sein WM-Double wiederholte, zog er auch in dieser Hinsicht mit Eugenio Monti gleich, dem dieses Kunststück bislang als einzigem gelungen war. Im Unterschied zu Friedrich allerdings mit wechselnder Besatzung. „Meine Anschieber sind alle Weltklasse, ohne sie wäre ich ein Nichts. Wir sind als Mannschaft nur so stark, weil wir vieles zusammen entscheiden und vieles zusammen machen. Es gibt keine Geheimnisse, jeder weiß, wie der andere tickt, jeder kann sich blind auf den anderen verlassen. Man kann uns als Dreamteam bezeichnen", sagte Friedrich der „Welt". Der Regionalzeitung „Bautzener Bote" erzählte er: „Wenn der eine den anderen mal schräg anguckt, dann weiß bereits jeder, was nicht funktioniert hat oder was wir anders machen müssen, weil wir so eingespielt sind. Auch wenn ich mal nicht dabei bin, kann ich sicher sein, dass es funktioniert. Wir sind nicht nur Kumpels oder Sportkameraden, sondern auch richtig gute Freunde."
Der breiten Masse ist der beste Bobfahrer noch unbekannt
Auch in der neuen Saison, die am 7. Dezember mit dem Rennen in Lake Placid (USA) beginnt, vertraut Francesco Friedrich wieder weitgehend auf die gleiche Crew. Lediglich Anschieber Jannis Bäcker, mit dem er 2013 seinen ersten WM-Titel geholt hatte, hat sich verabschiedet und eine Stelle als Lehrer bei der Bundeswehr in Warendorf angetreten – ihn ersetzt Alexander Schüller. Damit hat der beste Bobfahrer der Welt wieder alle Zutaten beisammen, um seine Dominanz im Eiskanal fortzusetzen. Wohin die Reise gehen soll, wurde bereits bei den Deutschen Meisterschaften in Altenberg mehr als deutlich. Zwar ging Friedrich dort lediglich außer Konkurrenz an den Start – für den Weltcup war er ohnehin schon gesetzt. Zusammen mit Alexander Schüller erzielte er im Training mit 54,46 Sekunden jedoch die schnellste Zeit, die in Altenberg jemals für Zweierbobs gemessen wurde.
Nimmt man allein seine Erfolge als Maßstab, ist Francesco längst ein Superstar des deutschen Sports, ja sogar im internationalen Vergleich. Trotzdem ist er der breiten Masse immer noch weitgehend unbekannt. „Ein Star bin ich vielleicht in der Bobszene und in Pirna, wo ich geboren wurde und lebe", sagte er der „Welt". „Aber ansonsten? Durch meine Sportart ein weltweiter Star zu werden, ist eine Herkulesaufgabe. Dafür bräuchten wir mehr öffentliche Präsenz. Unsere Saison geht ja leider nur über vier Monate." Reich ist er durch seinen Sport ebenfalls nicht geworden. Pro Weltcupsieg gebe es pro Kopf 1.000 Euro, hinzu käme noch der Bonus vom Bob-Weltverband für die Gesamtsiege. Insgesamt summierten sich die Preisgelder aber selbst nach einer so erfolgreichen Saison wie der vergangenen auf „kaum mehr als 20.000 Euro Prämie pro Nase", verriet Friedrich im Frühjahr „Spiegel Online".
Es könnte ein Rekord für die Ewigkeit werden
Seine Leidenschaft für die Formel 1 des Wintersports ist dennoch ungebremst. Auf einem Stadtfest in Pirna nahm seine Karriere einst ihren Anfang. Auf einer aufgebauten Anschubstrecke stellten Francesco Friedrich und sein Bruder David damals ihr Talent unter Beweis und wurden beide anschließend zum Probetraining eingeladen. Lange Zeit saßen sie sogar gemeinsam in einem Schlitten – 2011 gewannen sie zusammen Silber bei der Junioren-WM, Friedrichs erste internationale Medaille. Auf die Frage, was ihn am Bobsport am meisten fasziniere, antwortete er dem „Bautzener Boten" kürzlich: „dieser Gewaltakt, mit dem wir unseren schweren Schlitten anschieben. Die Präzision, mit der wir jede Kurve exakt treffen. Aber in erster Linie fasziniert mich das, was hinter den Kulissen stattfindet. Die Dinge, die man normalerweise nicht zu sehen bekommt: Vor der Abfahrt müssen so viele Prozesse stimmen. Für mich ist das Bobfahren selbst eigentlich immer nur noch das letzte Puzzleteil zum Erfolg." Eines, das er allerdings wie kein Zweiter beherrscht.
In dieser Saison will sich Francesco Friedrich nun endgültig unsterblich machen. Das erklärte Ziel ist der sechste Weltmeistertitel in Folge, womit er sich zum alleinigen Rekordsieger aufschwingen würde. „Nachdem wir zuletzt gleichgezogen haben, hat das erheblich an Bedeutung gewonnen. Wenn ich diesen Rekord aufstelle, würde es in der Zukunft fast unmöglich, diese Marke zu brechen. Da müsste schon alles passen, es müsste einer im richtigen Land geboren sein, damit er übers nötige Material verfügt, er müsste schnell starten können, ein starkes Team haben und mit Anfang 20 Weltspitze sein. Deshalb denke ich, es wäre schon ein Rekord für die Ewigkeit", erklärte er dem „Sportbuzzer". Die Titelkämpfe werden vom 17. Februar bis zum 1. März 2020 in Altenberg und damit auf Friedrichs Heimbahn ausgetragen, nur eine halbe Stunde von Pirna entfernt. Besonderen Druck verspürt er deswegen nach eigenen Angaben aber nicht. „Wir sind ja seit sechs Jahren die Gejagten", meinte er im „Sportbuzzer"-Interview lapidar. Auch für Bundestrainer René Spies kann es eigentlich keinen anderen Sieger geben. Bereits bei der vergangenen WM sagte er über Friedrich: „Seine absolute Stärke ist, dass er zum Wettkampfhöhepunkt seine maximale Leistung abruft, wie kein anderer. Er ist ein Killer im richtigen Moment."