Die Region zwischen Leipzig und Weimar ist Goethe-Land. Fast überall trifft man auf des Meisterdichters Spuren. Seit der Jahrtausendwende hat sich die Wein- und Kulturlandschaft in Sachsen-Anhalt und Thüringen gewandelt und herausgeputzt.
Wo war er nicht überall gewesen, unser Johann Wolfgang von Goethe? In Dornburg in Thüringen verbrachte er sogar mehrere Wochen am Stück. 1828 zog sich der Dichter in das Dornburger Renaissanceschloss zurück, um den Tod seines Freundes und Gönners Großherzog Carl August zu verarbeiten.
Tatsächlich, da steht Goethes originaler Schreibsekretär. An einem Fensterstock hinterließ er ein Graffiti. Und so glaubt man, einen Hauch von Goethe-Aura im Arbeitszimmer des Poeten zu spüren. Und blickte er nicht genauso wie man selbst vom Fenster auf das Saaletal in die weite Landschaft Thüringens?
Trat Goethe vor die Schlosstür, so genoss er sogleich die „wohl unterhaltenen Gärten" in Dornburg. Sie verbinden die drei aufgereihten Schlösser, die auf der Höhe eines Steilhangs thronen. Da sind der aufwendig gepflegte Rokokogarten mit den Heckenräumen, der kleine Landschaftspark nach englischem Vorbild, der Versorgungsgarten mit Kräutern und Obst sowie der Weingarten. Allesamt sind sie inzwischen restauriert.
Gärten, Bäume, Botanik – damit setzte Goethe sich intensiv auseinander. Pflanzenforschungen betrieb er auch in seinem Gartenhaus an der Ilm in Weimar. Im 30 Kilometer entfernten Bad Sulza steht seit 2002 eine exakte Kopie des ursprünglichen Weinberghauses: das „Goethe Gartenhaus zwei".
Rosen wachsen an der Fassade dieses nachgebauten Sommerhauses. „Die Räume sind mit typischen Goethe-Möbeln ausgestattet", erläutert die Gästeführerin Ingrid Müller, „wie etwa sein eigenes Reisebett, das ihn vor Flöhen und Wanzen schützen sollte".
Seit mehr als 1.000 Jahren wird hier Wein angebaut
Dank Goethe wird in Bad Sulza seit dem 19. Jahrhundert bis heute die Sole für therapeutische Zwecke genutzt. „Denn von Goethe stammt die Idee, hier einen Kurbetrieb aufzumachen", erklärt Melanie Kornhaas, die hiesige Kurdirektorin. „Immer tief einatmen!", heißt es für die Besucher des Gradierwerks „Louise", damit die Salzpartikel tief in die Bronchien gelangen. In der 142 Meter langen Anlage zur Salzkonzentration fließt beständig Sole über ein Dornengestrüpp. So verdunstet Wasser und der Salzgehalt reichert sich an. Als Nebeneffekt gelangen die feinen Salzteilchen beim Gradieren in die Luft. Schade, dass der Kurfan Goethe das Wandeln in der historischen Zerstäuberhalle selbst nicht mehr genießen konnte. In weißen Schutzmänteln mit Kapuze gekleidet, tappt man da als Besucher durch den salzigen, fast undurchsichtigen Nebel. Mancher singt dabei, das soll besonders gesund sein. Hätte Goethe dieses Schauspiel in der feinzerstäubten Sole als Inspiration für ein nebliges Bühnenbild gedient?
Großes Theater hat Goethe in Bad Lauchstädt gemacht. Die Stadt trägt seit 2008 den offiziellen Namenszusatz „Goethestadt". Der Kurort war im 18. Jahrhundert ein beliebtes Modebad. 1802 ließ Goethe dort ein Theater bauen, das heute noch steht und bespielt wird. Schließt man die Augen in diesem authentischen Bauwerk, sieht man ihn als Theaterchef auf der Bühne stehen und seine Anweisungen geben.
Und wo der Theatermann einst wirkte, testen die Besucher heute im Bühnenraum die hervorragende Akustik. Im Theateruntergeschoss bestaunen sie die hölzerne Bühnenmaschinerie mit ihren Seilen und Zügen. „Die Bühne war damals hochmodern", versichert Renée Schmidt, der Geschäftsführer, „und sie ist heute noch voll funktionstüchtig."
Auch Naumburg an der Saale hatte Goethe besucht. Der Küster führte ihn durch den hochmittelalterlichen Dom. Seit 2018 gehört er zum Unesco-Weltkulturerbe. Mit Sicherheit hat der Meisterdichter ihr in die Augen gesehen: Uta von Naumburg. Die Frau, die Modell für die steinerne Stifterfigur stand, wird als „schönste Frau des Mittelalters" bezeichnet. Dieses sanfte Gesicht mit den markanten Augen bleibt in Erinnerung.
Und war es für den vielreisenden Goethe ebenso ein Vergnügen, die Saalestadt zu entdecken, wie es sich für die heutigen Gäste erweist? Der Stadtspaziergang durch die fast völlig erhaltene und renovierte Altstadt mutet wie eine Zeitreise an. Kein hässlicher Neubau schmerzt das Auge.
„Die meisten Bürgerhäuser stammen aus der Epoche der Renaissance", sagt Matthias Ludwig, Domarchivar und Gästeführer, auf dem großen Platz vor dem prächtigen Rathaus. „Für mich ist es einer der schönsten Marktplätze Mitteldeutschlands."
Seit mehr als 1.000 Jahren wird an der Saale und der Unstrut Wein angebaut. Doch der Weinkenner Goethe schätzte die Weine des nördlichsten Anbaugebietes Europas nicht. Lange hatten Weine aus dieser Gegend einen schlechten Ruf. Doch nach der Wende hat sich dies geändert. Die Winzer der jungen Initiative „Breitengrad 51" setzen strikt auf Qualität. Auch das Weingut Zahn im thüringischen Großheringen. Dekorativ hängen Trauben von der überdachten Terrasse des Restaurants des Weingutes herab. Es liegt malerisch direkt an der Saale. „Im Sommer 2019 haben wir zusätzlich in der Weinstadt Freylich unser ‚Weinhotel Freylich Zahn‘ eröffnet", erzählt Torsten General vom Familienweingut. Jedes Gästezimmer verfügt da über einen gefüllten Weinkühlschrank. Dazu gibt es in dem historischen Speichergebäude aus Backstein eine 24-Stunden-Weinbar zum Selbstzapfen. Der Weintrinker Goethe hätte einen Gasthof mit solch einem Angebot mutmaßlich präferiert.
Saale und Unstrut fließen bei Freyburg zusammen. Die Kleinstadt ist das Zentrum des Weingebietes. „400 Weinbauern, die insgesamt 400 Hektar Rebfläche bewirtschaften, zählt unsere Winzervereinigung Freyburg-Unstrut", berichtet Sommelier Robert Sander. „Wir sind zwar klein, haben aber eine große Auswahl an Rebsorten."
Ein herzoglicher Weinberg
Bei einer Weinverkostung schenkt der Experte seinen Gästen ein Glas Weißburgunder ein, einen typischen Saale-Unstrut-Weißwein. Die Lage ist ebenso charakteristisch – mitten im „herzoglichen Weinberg". Rebstöcke umrahmen ein Rokokoweinberghäuschen. Der Blick reicht bis auf die mächtige Neuenburg in der Höhe.
Ein nicht allzu steiler Wanderweg führt von Freyburg bis zur mittelalterlichen Burg durch ein Wäldchen. Dort sind zugewucherte Reste von Terrassenanlagen und Natursteinmauern zu erkennen. „Das waren früher Weinberge", erläutert Matthias Henninger vom hiesigen Naturpark Saale-Unstrut-Triasland. „Bevor die Reblaus im späten 19. Jahr-hundert alles vernichtete, hatten wir etwa 10.000 Hektar Rebfläche. Heute sind es 800 Hektar."
Doch die meisten Gäste kommen in die Wein- und Sektstadt Freyburg wegen Rotkäppchen: 100.000 Besucher pro Jahr. Auf dem Dach der legendären Sektkellerei ist noch der rot-gelbe, verschnörkelte Schriftzug aus DDR-Zeiten zu sehen. „Bei der klassischen Flaschengärung wird jede der fast drei Millionen Flaschen von Hand gerüttelt", sagt Ilona Kaiser, die Marketing-Leiterin der Rotkäppchen-Sektkellerei. Sie geleitet durch den historischen Weinkeller, vorbei an Weinfässern aus deutscher Eiche bis zum Domkeller. Seit 1896 füllt dort Deutschlands größtes Cuvéefass einen dunklen, domartigen Raum. Bis 1935 war das 120.000 Liter fassende, monumentale Fass in Benutzung. Es riecht nach Most.
Der Weinanbau prägt die Landschaft im Saale-Unstrut-Gebiet ebenso wie der Kohleabbau. Der Tagebau im einst riesigen Braunkohlerevier im Flusstal der Geisel ist Geschichte. Mit der Flutung entstanden Deutschlands größter künstlicher See und ein Freizeit- und Naturschutzareal, das kaum bekannt ist.
„Auf dem Geiseltalsee ist viel Platz"
Johannes Ebelt gibt Kommando zum Segelsetzen. Auch Anfänger können mit ihm einen Segeltörn machen. In der nagelneuen „Marina von Mücheln" geht es los.
„Auf dem Geiseltalsee ist richtig viel Platz", freut sich Skipper Johannes und dirigiert sein Boot auf das offene Wasser.
Nichts erinnert mehr an die zerstörte Landschaft der Halde. Die Ufer sind längst bewachsen. Wenige Häuser, dafür aber Weinstöcke sind zu sehen. Das hätte Goethe, der als Beamter ebenso für den Bergbau zuständig war, vermutlich gefallen. Als Genießer sowieso.
Weitere Infos unter:
www.saale-unstrut-tourismus.de