Das „Ella“ im Steigenberger am Kanzleramt ist ein neuer Glanzpunkt hinter dem Hauptbahnhof. Küchenchef Manuel Eich kreiert zeitgemäß interpretierte Berliner Gerichte für das Restaurant im gold-schwarzen Ambiente.
Stellen Sie sich die Familienanordnung vor: Tante und Onkel aus Süddeutschland reisen zum Berlin-Besuch via Hauptbahnhof an. Die Tante ist aufgeschlossen für vieles und schmeckt gerne fein. Der Onkel liebt Hausmannskost, am besten so wie damals bei Mama. Eine ziemlich gegensätzliche Gemengelage. Oder Sie haben einen beruflichen Anlass: Sie wollen in Ruhe den einen oder anderen Millionendeal vorbereiten und sich über Vertrauliches unterhalten. Oder einfach abends nach dem Einchecken ins Hotel noch etwas Schmackhaftes oberhalb des Levels der Bahnhofsgastronomie essen. Schon haben Sie die Menschen an den Tischen, für die das „Ella“ und seine Küche geschaffen wurden. „Sehr mehrheitsfähiges Essen auf gehobenem Niveau, ohne dass es je banal wird“, befindet die Begleiterin nach unserem Besuch im neuen Restaurant des „Steigenberger Hotels“ am Kanzleramt.
Die bucklige wie geliebte Verwandtschaft mit ihren Vorlieben und Befindlichkeiten wird ebenso fündig auf der Karte wie Geschäftspartner oder Menschen, die gern ungestört miteinander sprechen wollen. Küchenchef Manuel Eich, nach namhaften Stationen in München, Australien und Berlin, ist nun erneut hier angekommen. Er entwickelte die Karte nach der Berliner Küche, die freilich auf eine neuzeitlich gehobene Art interpretiert wird. Sie setzt auf Regionalität, Saisonalität und Nachhaltigkeit. Mittags gibt’s ein Lunch-Menü. Für um die elf Euro für einen und 17,50 Euro für drei Gänge inklusive Wasser ist das eine echte Ansage. Die von den Büromenschen in der Gegend nach der Eröffnung Mitte September sofort gehört wurde – mittags ist das „Ella“ gut besucht.
Das Essen wird im eleganten, aber geradlinigen gold-schwarzen Ambiente serviert. Ein kluger wie naheliegender Schachzug von Hoteldirektorin Gabriele Maessen war es, ein eigenständiges Restaurant im Hotelkomplex zu schaffen. Sie übernahm 2018 das Haus und setzte sich dafür ein, den bislang nicht genutzten Eckraum im Erdgeschoss zu mieten und sinnvoll zu nutzen. Dem Restaurant eine spürbare Küchenhandschrift durch einen versierten Chef wie Manuel Eich geben zu lassen und das neue und neu gestaltete Lokal zu einer attraktiven Anlaufstelle für Hotelgäste, Büromenschen und Gutesser zu machen. Das Hotel- und Büroviertel auf der Spreeseite hinterm Hauptbahnhof hat in dieser Hinsicht nämlich nichts Entsprechendes zu bieten. Die Flächen im Erdgeschoss der Gebäude sollten nach dem Willen der Stadt für Geschäfte vorgehalten werden. Erfolglos, wie sich auch fünf Jahre nach der Hoteleröffnung zeigte.
44 Plätze verteilt auf zwei Ebenen
„Wir mussten viel dafür tun, um das Restaurant baulich zu integrieren“, sagt Maessen. Die Küche musste angekoppelt und die Binnenstruktur von Bar, Hotel und neuem Lokal geregelt werden. Innendesigner Tassilo Brost leistete ganze Arbeit: Das „Ella“ verteilt seine 44 Plätze unangestrengt auf zwei Ebenen, bietet im Brasserie-Stil Sitzmöglichkeiten auf umlaufenden Bänken und an freistehenden Tischen. Bei Bedarf kann auch der längliche Raum zum Hotel hin mitgenutzt werden, etwa für Empfänge. Das Farbkonzept klammert die beiden Ebenen im „Ella“ und fängt die Höhe ab. Gold bringt Wärme, das Schwarz Kontur in den Raum. Art-déco-Farbwelten treffen auf Bauhaus-Klarheit. Das Restaurant erhielt ein neues, eigenes zehnköpfiges Team für Service und Küche unter Chef Manuel Eich. Es hat außerdem einen separaten Eingang zur Ella-Trebe-Straße hin, der die Schwellenangst nimmt. Und wer war Ella Trebe? Die Namensgeberin war eine Berliner Widerstandskämpferin gegen die Nationalsozialisten. Ella Trebe wurde 1943 verraten und im KZ Sachsenhausen ermordet.
Ein eleganter Übergang von Nazi-Morden zu Farb- und Stil-Lobliedern und gehobenem Essen? Gibt es nicht. Deshalb geht es nach dieser Info ruckartig weiter mit dem Bericht über unser Abendessen. Die Küche schickt eine Auswahl an Vorspeisen. Ein Carpaccio vom Weiderind, mit einem mit Apfeldressing beträufelten und Bergkäse überriebenen Rucola-Hochplateau, ist eine nördlich ausgewogene Spielart des italienischen Klassikers. Das gebackene Landei auf Radieschen- und Sellerieschnibbeln ist ein ebenfalls milder Vertreter. Zumindest für die nicht-fischessende Begleiterin. Denn der Saiblingskaviar, den ich mir von den Extra-Hügelchen dazugabele, macht es erst richtig zu einem fein gesalzenen, vollgültigen Genuss.
Den Zupfsalat hätten wir mit Austernpilzen, Hähnchenbrust oder Rinderstreifen pimpen können. Das wäre für eine einzelne Mahlzeit oder ausgeprägten Salathunger genau richtig, aber für ein mehrgängiges Mahl zu viel. Also bleibt’s bei der puren Version mit Weintrauben, tonpapierdünnen, aber ganzen gerösteten Landbrotscheiben und Kürbiskern-Dressing.
Zwischendrin mäandern wir zum Brotteller zurück. Das zum Brot gereichte spanische Bio-Olivenöl von „Art of Oil“ ist so würzig, grasig, frisch, dass uns ein paar Happen vorab zu wenig sind. Aus Frankreich hat sich außerdem eine Merguez auf den Weg in eine Kartoffelschaumsuppe gemacht. Sie macht dem verfeinerten Berliner Klassiker Feuer im Schälchen.
Nebendarsteller bringen Spannung ins Essen
Regieanweisung für Manuel Eichs Gerichte: Immer schön alles mitessen! Vermeintliche Nebendarsteller wie Saiblingskaviar, Trauben oder Merguez bringen erst richtig Spannung ins Essen. Restaurantleiter Michael Beckmeier wiederum hat die Flaschen im Griff und die passenden Weinempfehlungen parat. Ein „Blauschiefer“-Riesling von Markus Molitor entfaltet bei wenig Säure ein großes Frucht- und Aromenrepertoire. Zitrus, Pfirsich, Äpfel und die mineralische Note vom namensgebenden Mosel-Steilhang ergänzen sich leichtfüßig. So könnte das im Glas gern durchgängig bleiben. Der „Blauschiefer“-Riesling hat klares Lieblingsweinpotenzial.
Aber wir sind nicht beratungsresistent, als Beckmeier zu den Hauptgängen einen Grauburgunder vom Markgrafen von Baden vorschlägt: „Der hat Sonne gesehen.“ Der voluminösere, rundere Weiße vom Bodensee erweist sich zu den Fleischgerichten als standhafter Begleiter. Nun wird geteilt: Ein Havelländer Bio-Apfelschwein verlässt den Grill mit Whiskey-Vanille-Glasur und einer Rauchpaprikapulver-Linie. Die Schweinderl aus dem nördlicheren Brandenburg sind freilaufend im Gelände gut trainiert und kommen eher fettarm und wohlschmeckend auf unseren Teller. Das Filet vom Simmenthaler Rind dagegen erhält nicht zuletzt durch ein begleitendes Ragout von frischen und getrockneten Tomaten plus Chili eine kräftigere Note. Das will die Begleiterin gleich zu Hause nachbasteln. Die Beilagen teilen wir ebenfalls: Ahornkarotten, mediterranes Grillgemüse und Pommes frites sorgen für die Vitamine, Chipotle-Mayonnaise, Zitronenbutter und Portweinreduktion für rauchiges Feuer, cremige Säure und konzentrierte Traubendichte zum Fleisch.
„Alles ist edel-bodenständig und extrem lecker“, findet die Begleiterin. Der Feinschmeckerfotograf könnte glatt die Portweinsauce aus dem Kännchen austrinken. Berlinischer Überraschungssieger auf dem Einzelteller ist die Kalbsbulette mit Mostrichschaum, Röstzwiebeln und Brotchips auf lauwarmem Kartoffel-Gurken-Salat. Das jugendliche Kalbsfleisch verleiht der Bulette unwiderstehlichen Fluff. Der gar nicht mal so kleine Klops wird rasch veratmet. So wird die Berliner Küche so salonfähig, wie es sich Manuel Eich und Gabriele Maessen für das „Ella“ vorgestellt haben.
Das „Ella“ ist zeitlos im besten Sinne
So viele Produkte, mögen sie sogar international klassisch daherkommen, sind so regional wie möglich, verrät Gabriele Maessen, „gerade auch bei den Steaks.“ Auf der vegetarischen Seite der Karte zeigt sich gegrillter Halloumi mit bunten Zucchini, weißen Rübchen, Radieschen-Rucola-Pesto, Walnüssen und Sprossen abwechslungsreich mediterran. Die Gerichte bleiben bei den Vorspeisen im mittleren Zehner-, bei den Hauptgerichten im mittleren Zwanziger-Bereich.
Von der Hotelseite aus kommen am fortgeschritteneren Abend noch öfter Gäste ins Restaurant hinein. Womöglich, um den „deutschen Klassiker“ zu bestellen, der Gabriele Maessen verfolgt: das Wiener Schnitzel. „Als ich vor 15 Jahren aus Wien nach Berlin kam, war es für mich ein Kulturschock, dass das alle wollten“, sagt die Österreicherin. „Auch heute Abend ist es schon viermal bestellt worden“, sagt Michael Beckmeier.
Zum Dessert lässt uns ein „Berliner Cheesecake“ aufmerken. Patissière Jessica Rumpf versteckt ein angenehm wenig süßes, aber keinesfalls auf Sparflamme gebackenes Käsetörtchen unter einer lasziv-cremigen, angebräunten Baiserrose und ergänzt mit frischem Pflaumenhack. Ich breche in große Käsekuchenliebe auf den letzten Metern aus, bevor wir den Abend mit „Nutella im Glas“, so Beckmaier, einem vollmundigen Nussbrand, ausklingen lassen. Begleiterin, Fotograf und ich sind uns einig: Das „Ella“ ist zeitlos im besten Sinne. Von zeitloser Gemütlichkeit, von ausgearbeiteter, aber unaufgeregter Präsenz in Speisen und Getränken. Es ist genau der richtige Ort, um einen schönen, genüsslich entspannten Abend an zentralem Ort in angenehmer Gesellschaft zu verbringen.