Die Marx Brothers zählen zu den größten Komikern des 20. Jahrhunderts. Der vor 40 Jahren verstorbene Zeppo war ein ziemlich braves Kerlchen in der Familien-Truppe – vor allem im Vergleich zu Groucho, dem wohl sarkastischsten Sprücheklopfer überhaupt.
Als Herbert Marx am 29. November 1979 im Alter von 78 Jahren an Lungenkrebs im kalifornischen Palm Springs verstorben war, wäre das eigentlich ein naheliegender Anlass gewesen, um nochmals eine der größten Komikertruppen der Geschichte ausführlich zu würdigen. Dass es dazu nicht kam, lässt sich einerseits wohl damit erklären, dass Zeppo, so der Künstlername des Kükens der US-amerikanischen Anarcho-Gang und dem letzten Übriggebliebenen, nur vergleichsweise kurze Zeit Mitglied der Marx Brothers war. Immerhin durfte er in deren ersten fünf Hollywood-Filmen zwischen 1929 und 1933 mitwirken. Noch mehr dürfte die kurze Schauspielkarriere von Herbert Marx aber in Vergessenheit geraten sein, weil er auf der Leinwand neben seinen Brüdern geradezu farblos und blass daherkam, ihm fehlte eine wiedererkennbare Charakterrolle. Wer es gut mit ihm meinte, der konnte ihm dank seiner unaufgeregten Art vielleicht den Part des Ruhepols inmitten des von seinen Brüdern angerichteten Chaos bescheinigen. Zeppo schien es nicht krumm zu nehmen, dass Groucho, Harpo und Chico ihn veralberten und auf seine Kosten zum kreischenden Amüsement des Publikums Witze rissen.
Sein Ausscheiden aus der Truppe kümmerte die Brüder nicht weiter. Groucho ließ sich 1935 sogar zu dem abfälligen Kommentar hinreißen: „Ohne Zeppo sind wir doppelt lustig.“ Im Unterschied zum dreiköpfigen Komiker-Kern hatte Herbert jedoch eine Reihe weiterer Talente, die er offenbar besser beherrschte als Komik und Schauspielerei. Er baute ein erfolgreiches Ingenieursunternehmen auf, machte sich als Erfinder mit allerlei Patenten einen Namen und gründete zudem eine Theateragentur. Dank Letzterer hielt er offenbar Kontakt mit Hollywoods Glamourwelt und freundete sich mit Frank Sinatra an – allerdings nur so lange, bis ihm „Ol’ Blue Eyes“ die Ehefrau Barbara ausspannte.
Auch sein neun Jahre älterer Bruder Milton Marx alias Gummo machte Karriere abseits der Leinwand. Er führte eine Künstleragentur und blieb den komödiantischen Marx Brothers immer verbunden, weil er sich um deren Finanzen und Vertragsangelegenheiten kümmerte. Insofern blieben die Marx Brothers immer ein Familienunternehmen mit tiefen Wurzeln in dem jüdisch geprägten in der Upper East Side von Manhattan gelegenen Viertel Yorkville, das vom irisch-deutschen und italienischen Viertel eingeschlossen war.
Später als Erfinder und Ingenieur erfolgreich
Nach Yorkville hatte es 1880 ein skurriles Paar aus dem ostfriesischen Dornum verschlagen: den Bauchredner und Regenschirmmacher Levy Schönberg und dessen Ehefrau Fanny, die sich als jodelnde Harfenistin kaum einen Ruf gemacht hatte. Begleitet wurden sie von ihrer Tochter Miene, die ihren Vornamen in New York in Minnie ändern und den aus Mertzwiller im Elsass stammenden und daher nur „Frenchie“ genannten Tanzlehrer und späteren Herrenschneider Simon Samuel Marx heiraten sollte. Die beiden hatten insgesamt sechs Söhne, von denen der Erstgeborene jedoch früh starb. Die restlichen fünf sollten später als Marx Brothers bekannt werden: Leonard alias Chico (1887), Adolph Arthur alias Harpo (1888), Julius Henry alias Groucho (1890), Milton alias Gummo (1892) und Herbert alias Zeppo (1901).
Das Künstlergen war ihnen gewissermaßen schon in die Wiege gelegt, wurde dann aber auch ganz zielstrebig von Mutter Minnie gefördert. Leonard bekam Klavierunterricht verpasst, Julius Henry wurde wegen seiner Sopranstimme als Sänger ins Auge gefasst, Adolph Arthur hatte sich das Harfespielen selbst beigebracht. Auf einen Schulabschluss der Söhne legte Minnie offenkundig keinen Wert, die Kinder sollten möglichst schnell auf der Bühne Karriere machen und zum Familienunterhalt beitragen. Minnie hielt ihnen ständig das Vorbild ihres Onkels Albert vor Augen, der unter dem Künstlernamen „Al Shean“ in den bekanntesten Vaudevilles zu sehen war und es sogar bis zu den berühmten „Ziegfeld Follies“ auf dem Broadway schaffte. Das Erfolgsrezept von Minnies Bruder beruhte darauf, dass er sein Repertoire von den wenig erfolgreichen Gesangsnummern hin zur Comedy verändert hatte.
Ab etwa 1907 tingelten die Brüder in wechselnder Besetzung – zunächst wenig erfolgreich – durch zweitklassige Varietés. Erst als sie, wohl auf Anraten ihres Onkels hin, Gesang und Musik zugunsten von improvisierten Sketchen und Comedy-Einlagen in den Hintergrund rückten, wurden sie schnell populärer. Ihre „Fun in Hi Skule“ (1912) und „Home Again“ (1914) betitelten Programme kamen gut an. Schon in diesen frühen Jahren entwickelten sich die Rollen der drei Protagonisten und manifestierten sich gleichsam für die Ewigkeit. Harpo allerdings wollte sich anfänglich nicht mit dem ihm zugedachten Part des verschmitzten Schweigers zufriedengeben. Dann jedoch schulte er ganz gezielt sein pantomimisches Talent, um sich fortan mit seiner roten Perücke, dem Harfenspiel und seinem mit allerlei Gimmicks bestückten Mantel als Markenzeichen zu einer festen Größe bei den Marx Brothers zu entwickeln. Aus dem Mantel zauberte er zu Autohupen- und Pfeifenlauten stets allerlei Verblüffendes wie brennende Kerzen hervor.
Groucho war der Kopf der Blödeltruppe
Chico wurde im Stil eines halbseidenen italienischen Straßenhändlers mit falschem Italo-Akzent, Tirolerhut und Karohose aufgebaut, der vor allem die hübschen Chicks und das Klavierspielen mit seiner berühmten Pistolenfingertechnik parat hatte. Und schließlich gab es noch den unbestrittenen Kopf des Trios: Groucho, was auf Deutsch so viel wie Miesepeter oder Nörgler bedeutet. Sein Talent manifestierte sich in einer gnadenlosen, schlaumeierischen Dauerbesserwisserei und in pistolenähnlicher Schnellsprechweise auf Bühne und Leinwand. Groucho gab den Zyniker und Sänger der Truppe, seine Markenzeichen waren Brille, ein mit Schuhcreme aufgemalter Schnurrbart, dunkle Augenbrauen und eine unvermeidliche, so gut wie nie brennende Zigarre im Mundwinkel.
Grouchos Sprüchen und Zoten – legendär „Was immer es ist, ich bin dagegen“ aus einem Filmsong 1932 – war es vor allem zu verdanken, dass die Marx Brothers bald vor allem auch in intellektuellen Kreisen sehr hoch im Kurs standen. Von Samuel Beckett, Eugène Ionescu oder T. S. Elliot bis später hin zu Woody Allen, Federico Fellini oder Salvador Dalí, der 1937 mit den Marx Brothers sogar ein letztlich nicht zustande gekommenes Filmprojekt mit dem Arbeitstitel „Giraffen in Salat aus Pferderücken“ realisieren wollte, wurden sie geschätzt. Nachdem die Marx Brothers als Pioniere absurder Schauspielkunst am Broadway mit Stücken wie „I’ll Say, She is“ 1924, „The Cocoanuts“ 1925 und „Animal Crackers“ für Furore gesorgt hatten, wurde Hollywood in Gestalt von Paramount auf die inzwischen hochbezahlten Komiker aufmerksam und setzte die beiden letztgenannten Shows unter den gleichen Titeln ins Leinwandformat um. Bis 1949 drehten die Marx Brothers 13 Filme, von denen „Skandal in der Oper“ 1935 und „Ein Tag beim Rennen“ von den meisten Kritikern als die besten angesehen wurden. In Deutschland wurden sie als Spätfolge des Nazi-Verdikts erst in den 1960er-Jahren bekannt. In ihrem letzten Streifen „Love Happy“ hatte die junge Marilyn Monroe einen ihrer ersten Auftritte.
Ehren-Oscar im Jahr 1974
Auch im Radio ließen es Groucho und Chico, der in seinem Privatleben ein geradezu süchtiger Pokerspieler war und sich seit dem Tod der Mutter 1917 auch um das Management der Truppe gekümmert hatte, 1932 für die damals ungeheuerliche Gage von 6.500 Dollar je Episode kalauernd kräftig krachen. Mit der nach 27 Folgen abgesetzten Show um die Winkeladvokaten-Kanzlei „Flywheel, Shyster & Flywheel“ verdanken wir ihnen die erste Radio-Sitcom der Rundfunkgeschichte.
Während sich Chico und Harpo nach Ende der Hollywood-Ära weitgehend von der Comedy abwandten, blieb Groucho, der ganz gemäß seinem Motto „Die Ehe ist eine wundervolle Einrichtung. Aber wer will schon in einer Einrichtung leben?“ dreimal geschieden wurde, am Ball und stieg mit seiner zwischen 1947 und 1961 ausgestrahlten Radio- und Fersehshow „You bet your life“ zu einem der populärsten US-Showmaster in den 1950er-Jahren auf. 1959 gelang es der CBS, die drei Komikerasse zu einem einmaligen Comeback vor der TV-Kamera in „The Incredible Jewel Robbery“ zu bewegen. Seinen letzten großen Auftritt in der Öffentlichkeit hatte Groucho bei der Oscar-Verleihung 1974, als er den Ehren-Goldjungen für die Marx Brothers in Empfang nahm.