Die finnische Nationalmannschaft hat geschafft, worauf ihr Land seit in mehr als 80 Jahren gewartet hat: Sie qualifizierte sich erstmals für ein großes Fußballturnier. Auch die Österreicher lassen aufhorchen.
Ein kleiner blonder schüchterner Junge mit einem Gesicht, als könne er keiner Fliege was zuleide tun, machte sich vor ein paar Jahren auf den Weg, die Bundesliga zu erobern. Gelingen sollte es nicht wirklich. Seitdem ist aber viel passiert im Leben des Teemu Pukki. Nicht nur der sportliche Aufschwung in der Premier League ist neu für ihn – auch sein Äußeres. Aus dem schüchtern wirkenden, kleinen blonden Jungen ist ein Mann geworden.
Zwar ohne Haare, dafür aber mit mächtigem Bart. Und dieser bärtige Finne ist das Gesicht dieses historischen Erfolgs der Nationalmannschaft, welcher das ganze Land in Ekstase versetzte. „Me ollaan sankareita kaikki, jos oikein silmiin katsotaan", sang das finnische Nationalteam, was so viel ist wie das finnische Pendant zu „we are the Champions". Diese Zeile bedeutet übersetzt „wir sind Helden, wenn ihr uns tief in die Augen schaut". Sie grölten es überall in ganz Finnland, nachdem die Mannschaft von Erfolgstrainer Markku Kanerva mit ihrem 3:0 Erfolg gegen Liechtenstein die Qualifikation klargemacht hatte – die Erste in ihrer Geschichte. „Jetzt sind wir ein EM-Team – das fühlt sich völlig unwirklich an", jubelte Pukki nach dem Match an einem bitterkalten Freitagabend: „Ganz Fußball-Finnland hat sich so lange nach dem hier gesehnt. Für die Nationalmannschaft zu spielen, ist mein erster Traum gewesen, und er ging vor zehn Jahren in Erfüllung. Das hier habe ich aber nicht einmal zu träumen gewagt." Und auch wenn anschließend noch ein Spiel anstand, die Mannschaft störte das nicht. Pukki und sein Team machten sich auf in die Nacht von Helsinki und feierten als gäbe es keinen Morgen. „Ich war wohl noch nie so unprofessionell nach einem Spiel", lachte der Anführer. Pukki, Leverkusens Keeper Lukas Hradecky und ihren Mitspielern ist gelungen, was die Finnen über 80 Jahre lang vergeblich versucht haben: die Qualifikation für eine Welt- oder Europameisterschaft der Männer. Mehr als 30-mal in Serie scheiterten die Finnen daran, selbst mit ihrer Legende Jari Litmanen oder später mit Abwehrrecke Sami Hyypiä. Doch dann kam Pukki: Mit einem Doppelpack gegen Liechtenstein und insgesamt neun der 15 finnischen Tore in der Qualifikation hatte der einstige Schalker maßgeblichen Anteil daran, dass die Finnen nun zur EM fahren dürfen. „Wir haben davon geträumt, seit wir 1938 erstmals an der WM-Qualifikation teilgenommen haben. Der Traum von Generationen ist wahr geworden", jubelte das Team auf seinem Twitter-Account. „Nächsten Sommer wird ganz Finnland Party machen wie niemals zuvor."
Finnen wollen bei der EM eine Party feiern
Wie diese Party aussehen könnte, zeigten die Finnen bereits direkt nach der erfolgreichen Qualifikation. Im Stadion stürmten unzählige Fans unmittelbar nach dem Schlusspfiff den Platz, in Stadionnähe wurden kurz darauf Feuerwerksraketen gezündet. Pukki selbst ließ später in der Kabine die Sektkorken krachen, sein Premier-League-Club Norwich City lud zu einer offiziellen „Pukki-Party" in einem Nachtclub in Helsinki ein. Für die finnische Nationalmannschaft ist die EM-Qualifikation die vorläufige Krönung einer Entwicklung, die im Dezember 2016 ihren Anfang genommen hat. Unter Nationaltrainer Hans Backe hatte Finnland zuvor seit über einem Jahr kein Spiel gewonnen: vier Remis, neun Niederlagen und dabei lediglich sechs erzielte Tore. Backe wurde durch dessen vormaligen Co-Trainer Markku Kanerva ersetzt, und es ging aufwärts. Anfang Januar 2017 gewann Finnland mal wieder ein Fußballspiel, scheiterte in der folgenden WM-Qualifikation aber deutlich. 2018 begann schließlich der Erfolgslauf, der im Sieg der Nations-League-Gruppe, dem damit einhergehenden Aufstieg in die zweite Liga und letztlich der EM-Qualifikation resultierte. Im Eishockey-Land Finnland brach unter Trainer Kanerva eine nie dagewesene Fußball-Euphorie aus. Das Trainerteam hat ein gutes Arbeitsklima geschaffen. „Wir dürfen auf dem Platz ins Risiko gehen, ohne Angst haben zu müssen, angeschrien zu werden", erklärt Defensivspieler Tim Sparv.
Das Vertrauen zwischen den Spielern und dem 55-jährigen ehemaligen Lehrer Kanerva ist groß, viele kennen ihn schon von seiner Tätigkeit als U21-Nationaltrainer. „Er hört auf uns Spieler, will unseren Input und unser Feedback. So können wir mitbestimmen, wie wir spielen", sagt Sparv. „Das fühlt sich gut an." Die Fans danken es ihnen mit unbändiger Unterstützung, obwohl die Mannschaft keinen typisch finnischen Fußball spielt. Verteidigt wird typisch finnisch, hart und mit viel Leidenschaft, jedoch zeigt die Mannschaft auch einen erfrischenden Ballbesitzfußball. Dafür haben die Finnen aber auch mittlerweile die richtigen technisch beschlagenen Spieler. Etwa den 24-jährigen Glenn Kamara von den Glasgow Rangers, der mit Sparv im 4-4-2 die Doppelsechs bildet, oder den 26-jährigen rechten Mittelfeldspieler Robin Lod vom MLS-Club Minnesota United.
Die Führungsspieler der Mannschaft sind neben Kapitän Sparv der bereits erwähnte ehemalige Schalker Pukki, sowie das Defensivtrio: Keeper Lukas Hradecky vom Bundesligisten Bayer Leverkusen und die beiden langjährigen Innenverteidiger Paulus Arajuuri (31, vom zypriotischen Erstligisten FC Pafos) und Joona Toivio (31, vom schwedischen Erstligisten BK Häcken). Bei allen sechs Siegen in der EM-Qualifikation stand die Null – und die einstige Randsportart Fußball plötzlich im Mittelpunkt. Hunderte Fans feierten auf einem zentralen Platz in Helsinki. Manche kletterten dort auf die Statue Havis Amanda, an der die Finnen vor sechs Monaten bereits den Titel bei der Eishockey-WM bejubelt hatten. Die Eishockey-Nation Finnland hat nun eines bewiesen: Sie kann auch Fußball. „Es ist unbeschreiblich. Ich wurde von vielen Menschen umarmt, fast alle hatten Tränen in den Augen", sagte Hradecky. „Ich bin so dankbar und hoffe, wir haben das finnische Volk stolz gemacht."
Trainerwechsel brachte den ersehnten Umschwung
Stolz auf ihre Fußballer sind auch die normalerweise grantelnden Österreicher. Vor nicht allzu langer Zeit durften sich die „Ösis" durchaus ihre Sorgen um die Nationalmannschaft machen. Nach zwei Niederlagen gegen Polen und Israel wurde die Kritik anschließend lauter. Verbands-Präsident Leo Windtner sagte gar, er habe die „Fehler einer Schülermannschaft" gesehen. Für viele Fußballer war das ein richtiger Affront. Seitdem hat die Mannschaft des ehemaligen Bundesliga-Spielers Franco Foda jedoch kein Spiel mehr verloren und fährt nun folgerichtig zur Europameisterschaft. Entsprechend groß war die Freude. „Vielen Dank für Eure Unterstützung", stand auf dem Transparent, das die Spieler entrollt hatten, und damit meinten sie nicht nur die Fans. Denn anschließend sprach auch noch der Kapitän Julian Baumgartlinger und machte deutlich, an wen die Botschaft gerichtet war: „Schön, dass wir die erste Schülermannschaft sind, die sich für die EM qualifiziert hat. Das ist besonders", sagte er. „Aber es ist oft so, dass sich der Direktor nur im Erfolgsfall vor die Mannschaft stellt und sonst immer nur draufhaut, das kennen wir ja schon." Im Moment des Erfolgs schien dann auch Präsident Windtner keine Lust mehr zu verspüren, sich weiter über Österreichs „Schülermannschaft" auszulassen. Als er auf Baumgartlingers Worte angesprochen wurde, sagte Windtner: „Ich meine, das ist die finale Replik", sagte der „Chef" gegenüber der ARD-Sportschau. Österreich ist wieder dabei. Und anders als bei den Finnen wollen sie keine Party feiern, sondern gewinnen. Mönchengladbachs Verteidiger Stefan Lainer, der eher nicht für die lauten Töne bekannt ist, sagte etwas Auffälliges. „Wir haben Großes vor. Wir haben eine hohe individuelle Qualität, das können wir auf der großen Bühne zeigen. Große Bühne, großes Turnier, das fordert große Leistungen." Kopf der Mannschaft ist Bayern-Spieler David Alaba. „Wir haben Charakter gezeigt", sagte er stolz. Alaba ist in seiner Heimat ein Star, aber nicht der einzige. Spieler wie Valentino Lazaro (Inter Mailand), Marcel Sabitzer (RB Leipzig) oder Marko Arnautovic (Shanghai SIPG) bürgen für Qualität, damit braucht sich Österreich bei einer EM-Endrunde mit 24 Teilnehmern sicher nicht zu verstecken.