Jürgen Klopp will mit dem FC Liverpool die Fifa-Klub-Weltmeisterschaft gewinnen, auch wenn sich seine Vorfreude angesichts der Terminhatz sehr in Grenzen hält. Doch es kommt noch schlimmer.
Der FC Liverpool setzte ein Zeichen. Die Mannschaft von Trainer Jürgen Klopp weigerte sich, in Katar in das Fünf-Sterne-Hotel zu ziehen, das ihnen vom Fußball-Weltverband Fifa zugeteilt worden war. Verschiedene Medien hatten berichtet, dass das Hotel gegen diverse Menschenrechte verstoße. So soll unter anderem das Sicherheitspersonal Zwölf-Stunden-Schichten schieben müssen – bei 45 Grad Celsius und einem Hungerlohn von nicht einmal zehn Euro pro Tag. Aus Sicht von Menschenrechtsorganisationen gebe es auch gute Gründe, die Klub-WM (11. bis 21. Dezember) im Wüstenstaat zu boykottieren. Doch so weit gehen die Reds natürlich nicht. Geschäft ist Geschäft, Titel sind Titel. Der amtierende Champions-League-Sieger wird bei der 16. Auflage des Turniers in Doha um den Weltmeister-Titel für Vereinsmannschaften kämpfen.
Als europäischer Kontinentalsieger greift das Klopp-Team erst im Halbfinale gegen den CF Monterrey aus Mexiko oder den Sieger des Erstrunden-Duells zwischen al-Sadd SC (Katar) gegen Hienghène Sport (Neukaledonien) an. Und doch ist das eigentlich viel zu früh für den Tabellenführer der englischen Premier League. Nur einen Tag vor dem ersten Spiel bei der Klub-WM trifft der FC Liverpool im Viertelfinale des Ligapokals auf Aston Villa. Dazwischen liegt ein anstrengender 5.500-Kilometer-Flug mit einigen Reisestrapazen. Alle Versuche, das Ligapokal-Spiel in den Januar zu verschieben, scheiterten aufgrund von Terminproblemen.
Was also tun? Liverpool schenkt schweren Herzens den Ligapokal ab. Man habe sich entschieden, gab der Verein bekannt, mit zwei komplett unterschiedlichen Mannschaften in den beiden Wettbewerben zu starten. Das bedeutet: Gegen Villa werden hauptsächlich Reserve- und Jugendspieler zum Einsatz kommen, bei der Klub-WM die Stars um Mohamed Salah und Virgil van Dijk. Die Reds bezeichneten die Lösung selbst als „nicht ideal", sie sei jedoch „im besten Interesse des Wettbewerbs, unserer Mitvereine und uns selbst". Der Ausrichter des Ligapokals, die English Football League, hat dem Vorschlag zugestimmt, denn es hatte ein noch schlimmeres Szenario gedroht. Unmittelbar nach dem Erreichen des Viertelfinals durch einen spektakulären 10:9-Sieg nach Elfmeterschießen gegen den FC Arsenal hatte Klopp mit einem Boykott gedroht. „Wenn sie keinen anderen Termin finden, können wir in der nächsten Runde nicht antreten", sagte der 52-Jährige. An einen Boykott der Klub-WM wagten sich Klopp und die Bosse der Reds aber nicht. „Die Fifa hat gesagt, dass wir dort sein müssen", sagte Klopp dazu, „also sind wir dort."
Liverpool schenkt schweren Herzens den Ligapokal ab
Den Titel des Weltpokalsiegers hat jeder Verein gern im Briefkopf stehen, dennoch ist das Turnier sportlich von eher überschaubarem Wert. Auf die Extra-Belastung im vollen Terminkalender würden vor allem die europäischen Teams liebend gern verzichten. Zumal bei den Fans eine gewisse Übersättigung der Sportart nicht mehr zu leugnen ist. Doch was macht die Fifa? Genau, sie plant eine Erweiterung der Klub-WM.
Bisher spielen die sechs Kontinentalsieger und der Landesmeister des Gastgebers den Weltpokal-Gewinner unter sich aus, wobei der am Ende meist aus Europa kommt. Die vergangenen sechs Turniere wurden allesamt von den europäischen Startern gewonnen. Interessiert hat das in Europa aber kaum jemanden. Statt aber über die Sinnhaftigkeit einer solchen Veranstaltung nachzudenken, gehen die Fifa-Funktionäre mit Präsident Gianni Infantino den komplett anderen Weg: Sie reformieren den Wettbewerb. Genauer gesagt: Sie blähen ihn auf. 2021 bei der Auflage in China, dem aus wirtschaftlicher Sicht so verheißungsvollen Markt, sollen 24 (!) Mannschaften antreten. Die zurzeit angestaubte Klub-WM soll eine Art Champions League im weltweiten Vergleich werden. Die europäische Fußball-Union Uefa dürfte das als heftigen Affront werten. Doch mit Diplomatie ist Infantinos Schaffen als Fifa-Präsident ohnehin nicht verbunden, mit Gewinnmaximierung schon eher. „Meine Vision ist", erklärte Infantino, „dass in Zukunft 40 oder 50 Vereine aus verschiedenen Teilen der Welt das legitime Ziel haben, die Klub-WM zu gewinnen." Der Schweizer erhofft sich „ein Turnier, auf das sich jeder Mensch, jedes Kind, ganz einfach alle, die Fußball lieben, freuen können." Aber ziehen Spiele wie Real Madrid gegen Espérance Tunis oder Manchester City gegen CF Pachuca die Fans wirklich in ihren Bann? Nein. Aber darum geht es allen öffentlichen Beteuerungen zum Trotz auch gar nicht. Es geht wie immer nur ums Geld.
Aufstockung um jeden Preis, diese Philosophie verfolgte Infantino schon bei der heftig kritisierten Weltmeisterschaft 2022 in Katar, wo er am liebsten 48 statt 32 Teams teilnehmen lassen würde. Die einfache Rechnung des Schweizers scheint zu lauten: mehr Länder gleich mehr Märkte gleich mehr Geld. Auch bei der Nations League fand Infantinos Prinzip bereits Anwendung. Enthüllungs-Recherchen zufolge wird der Präsident aufgrund eines Deals fast schon dazu getrieben, umfassende Fifa-Rechte auszulagern, um Investoren vor allem aus der Golf-Region verstärkt daran zu beteiligen.
2021 sollen 24 Teams antreten
Um seine Idee von der Aufstockung der Klub-WM durchzusetzen, setzte Infantino zu einem cleveren Schachzug an: Er holte sich die Vereine mit an Bord. Bei der Neugründung der World Club Football Association (WCFA), einer Art Welt-Klubvereinigung, agierte Infantino quasi als Geburtshelfer. Offiziell soll die Organisation den Dialog zwischen der Fifa und den Vereinen fördern, doch Insider glauben: Mit Hilfe der WCFA kann Infantino die Klub-WM nach seinen Vorstellungen reformieren und die Uefa dort treffen, wo es ihr besonders wehtut: beim Flaggschiff Champions League. So verwunderte es auch nicht, dass der WCFA-Vorsitzende Florentino Pérez, der als Präsident von Real Madrid ein Mann mit viel Einfluss ist, in seiner ersten Stellungnahme betonte: „Die Klub-WM muss ein Wettbewerb sein, der zur Entwicklung des Fußballs auf der ganzen Welt beiträgt." Als Gründungsmitglieder der Organisation fungieren Real Madrid, AC Mailand, Auckland City, Boca Juniors, River Plate, Club América, Guangzhou Evergrande und TP Mazembe. All diese Teams nehmen auch an der reformierten Klub-WM ab 2021 teil. Dafür hat die Fifa die Abschaffung des ungeliebten Confed-Cups in Aussicht gestellt.
Dass Spaniens Spitzenteam Real Madrid bei diesem Treiben eine Führungsrolle einnimmt, ist ein Coup für Infantino, denn andere europäische Topvereine hatten zuletzt mit Boykott der neuen Klub-WM gedroht. Finanziell potente Sponsoren lassen sich aber nur finden, wenn auch große Vereine mit ihren Stars teilnehmen. Die Fifa will in dem 24er-Feld am liebsten zwölf europäische Teams haben, die Uefa kann sich aber nur acht Starter vorstellen. Ein Vorschlag lautet, dass die Champions-League- und Europa-League-Sieger der vergangenen vier Jahre bei der Klub-WM im XXL-Format teilnehmen. Stand jetzt wären dann aber Vereine wie Bayern München, Paris St. Germain, Manchester City und Inter Mailand nicht dabei, und das schmeckt Infantino gar nicht. Der Schweizer will, dass die WCFA allein über das Starterfeld entscheidet. Der Machtkampf ist in vollem Gange.
Die europäische Klubvereinigung ECA ist nicht glücklich über die Gründung der WCFA, die Verantwortlichen von Real Madrid sollen scharf kritisiert worden sein. In die Ecke gedrängt, denken Uefa und ECA über einen Gegenschlag nach, der – wenig überraschend – eine Reform der Champions League zur Folge haben dürfte. So könnten ab 2024 bis zu 16 Fixstarter in der Königsklasse teilnehmen, ohne dass sie sich über ihre nationale Ligen dafür qualifizieren müssen. Die Topteams könnten mit den garantierten Millionen-Einnahmen dann jedes Jahr planen und wären der Champions League noch stärker verbunden.
Der Machtkampf ist in vollem Gange
Ob all das aber im Sinne des Fußballs ist, darf stark bezweifelt werden. Man müsse „aufpassen, dass wir die Menschen nicht verlieren", sagte unlängst Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke von Borussia Dortmund. Rio-Weltmeister Christoph Kramer kann die Übersättigung und den Frust der Fans nachvollziehen – ihm geht es nicht anders. „Es regt mich ja auch auf, dass ich heute DAZN, Eurosport und Sky brauche, um Fußball zu schauen", sagte der Mönchengladbacher. „Es kommt mehr Geld in den Fußball, davon profitieren wir Spieler. Aber dass die Romantik ein bisschen verloren geht, finde ich schade."
Auch Klopp gilt als Fußball-Romantiker, doch in diesen Tagen ist der Trainer des FC Liverpool als Pragmatiker gefragt. Zwischen dem 27. November und dem 11. Januar müssen die Reds 13 Spiele bestreiten, also sechs englische Wochen hintereinander. Kein Wunder, dass sich seine Lust auf die Klub-WM in Grenzen hält.