Fliegenlarven gelten derzeit als eine der größten Hoffnungen der Biotechbranche. Sie könnten sogar Soja oder Fischmehl überflüssig machen. Allerdings gibt es zur kommerziellen Nutzung der Soldatenfliege noch viel Klärungsbedarf.
Kaum zu glauben, aber kein Geringerer als König Willem-Alexander fand sich Anfang Juni 2019 in der südniederländischen Stadt Bergen op Zoom ein, um eine der modernsten Insektenfarmen Europas zu eröffnen. Sie wurde vom Hersteller für Nutztierfutter Protix B. V. gegründet. Laut Angaben der Landwirtschaftsministerin Carola Schouten wird dort künftig ein wahrer Boom bezüglich der Zucht von Insekten als Eiweiß-Lieferanten für Tierfutter erwartet.
Die bei Protix hauptsächlich gezüchteten Soldatenfliegen seien eine „vielversprechende alternative Quelle" für Eiweiß. „Durch Insekten kann der Import von Soja und Fischmehl reduziert und der Ausstoß von Treibhausgasen reduziert werden", erklärt Schouten. Protix ist allerdings in den Niederlanden nur die neue Speerspitze der Insektenzucht-Betriebe. Daneben gibt es bereits rund 25 weitere Unternehmen.
Nicht nur in den Niederlanden, sondern auch in anderen Staaten hat man inzwischen das Potenzial der Zucht von Soldatenfliegen-Larven erkannt. Das Unternehmen Agri Protein in Südafrika galt lange Zeit als größte Larvenfabrik der Welt. Die Firma ist derzeit mit dem Aufbau weltweiter Tochterunternehmen auf sämtlichen Kontinenten beschäftigt. Dazu zählt zum Beispiel das kanadische Unternehmen Enterra Feed Corporation. Mit diesem ging kürzlich die PHW-Gruppe, Deutschlands größter Geflügelzüchter – bekannteste Marke ist Wiesenhof –, eine Partnerschaft ein, um Soja künftig als Geflügelfutter ersetzen zu können. „Wir sehen in dem von Enterra entwickelten Insektenprotein eine geeignete Alternative", sagt PHW-Geschäftsführer Peter Wesjohann. Auch wenn zuvor noch einige Studien zur Verträglichkeit des neuen Futtermittels in der Geflügelzucht nötig seien. „Wir können heute noch nicht sagen", so Wesjohann weiter, „wann genau wir Soja im Geflügelfutter durch Insektenproteine ersetzen können. Wichtig ist für uns, dass wir diesen Weg jetzt einschlagen."
Insektenfarm in den Niederlanden
Auch in der Bundesrepublik gibt es erste Betriebe, die jedoch wegen gesetzlicher EU-Beschränkungen noch nicht sonderlich rentabel laufen können, beispielsweise im brandenburgischen Baruth die Firma Katz Biotech AG, im nordrhein-westfälischen Alstätte die Hermetia Alstätte GmbH, die mit Katz Biotech kooperiert, oder im sächsischen Grimma das Unternehmen Bio.S Biogas GmbH. Dieses schloss jüngst ein vierjähriges Forschungsprojekt gemeinsam mit Wissenschaftlern der TU Dresden über die Aufzucht von Soldatenfliegenlarven ab. Die Forscher gelangten zur Erkenntnis, dass die protein- und fettreichen Fliegenlarven künftig auch als Palmöl-Ersatz genutzt werden könnten. Dadurch könnte das Abholzen von Regenwäldern zugunsten von Palmenplantagen deutlich reduziert werden.
Geforscht wird laut Cornelia Metges neuerdings intensiv zur Schwarzen Soldatenfliege „und deren eiweißreiche Larven als alternative hochwertige Eiweißquelle". Metges ist die Leiterin des Instituts für Ernährungsphysiologie am Leibniz-Institut für Nutztierbiologie in Dummerstorf in Mecklenburg-Vorpommern. Es gelte die Frage zu beantworten, ob Insekten die umweltfreundlichen Eiweißlieferanten der Zukunft sein können. Schließlich steige mit der wachsenden Weltbevölkerung auch der Bedarf an Futter- und Lebensmitteln. Noch werde die Eiweißlücke in der europäischen Nutztierhaltung im Wesentlichen durch Importe von Soja und Fischmehl gedeckt. Die Fliegenlarven könnten eine klimafreundliche Alternative sein. „Aus wenigen Gramm Eiern können wir 100 Kilogramm Larven gewinnen", sagt Metges. „Das ist eine einzigartige Effizienz. Eine Larve wiegt durchschnittlich 140 Milligramm und besteht hauptsächlich aus Eiweiß und Fetten." Ein weiterer Vorteil sei es zudem, dass man mithilfe der Larven einen geschlossenen Nährstoffkreislauf erzielen könnte, weil die Larven sämtliche nicht nutzbare Neben- und Abfallprodukte der Lebensmittelindustrie liebend gern fressen, ganz egal ob es sich dabei um Gärreste aus der Bierherstellung, Küchenabfälle oder Erntereste handelt.
Genau dieser letzte Pluspunkt in der Larvenzucht, der Verzehr von Bioabfällen, kann aber bislang nicht kommerziell genutzt werden. Denn wenn die Larven zu regulärem Futtermittel verarbeitet werden sollen, gelten die lebenden Larven laut EU-Bestimmungen als Nutztiere, die nicht mit Speisen-, Küchen- oder Schlachtabfällen gefüttert werden dürfen – geschweige denn mit Gülle, die die Tierchen ebenso problemlos verarbeiten können. Und noch eine weitere rechtliche Hürde, die infolge des BSE-Skandals errichtet werden musste, verhindert bislang den wirtschaftlichen Durchbruch der Larvenzucht: Die verarbeiteten Produkte dürfen Nutztieren wie Rindern, Schweinen oder Geflügel nicht als Futter verabreicht werden. Das Verfüttern von tierischem Protein an Nutztiere, mit Ausnahme von Fischmehl, ist seit den Erfahrungen mit dem Rinderwahn untersagt. Bislang können in der EU daher die Larven-Züchter lediglich Futter für Haustiere und Fische in Aquakulturen auf den Markt bringen. Allerdings wird allgemein erwartet, dass in absehbarer Zeit eine Änderung der diesbezüglichen Bestimmungen in der EU beschlossen werden könnte, sodass künftig womöglich auch Geflügel, wie etwa in Kanada, und Schweine damit aufgepäppelt werden können.
Hierzulande noch viele kritische Stimmen
Das Interesse der Landwirte an der „Superfliege" nimmt laut dem holländischen Insekten-Experten Prof. Arnold van Huis von der Universität Wageningen in jüngster Zeit deutlich zu. Auch weil die Produktion des Madenmehls weniger belastend für die Umwelt und preiswerter als andere Futtermittel sei. Auch könne man aus den Larven nicht nur Lebens- und Futtermittel herstellen, sondern auch Öl, Diesel oder Fasern. Es habe „in den letzten Jahren 473 Patentanmeldungen zur Soldatenfliege gegeben", wie die „Zeit" den Wissenschaftler jüngst in einem Beitrag zitiert hatte.
Hierzulande gibt es aber durchaus auch kritische Stimmen zu den Larvenprodukten, deren hoher Proteingehalt von bis zu 44 Prozent und Fettanteil bis zu 40 Prozent dabei jedoch nicht infrage gestellt wird. Meist kommt der Professor für Tierernährung an der TU München, Wilhelm Windisch, zu Wort, der die ganze Aufregung als überbewerteten „Hype" abtut. Seiner Meinung nach steht allein schon gar nicht genug Bioabfall zur Verfügung, um damit eine Massenproduktion von Larven aufzubauen. Das Larvenmehl könne zwar qualitativ durchaus mit Soja mithalten, aber bei einer industriellen Herstellung müsse auch der Ressourceneinsatz stimmen. Zudem müsste auch noch sichergestellt sein, dass keine Krankheiten von Insekten auf den Menschen übertragen werden könnten. Windischs Resümee gegenüber der „Süddeutschen Zeitung": „Die Vorstellung, dass man Abfälle an Larven verfüttert und diese dann in die Lebensmittelkette einschleust, ist absurd."
Ob es weniger absurd ist, Soja vom anderen Ende der Welt, das womöglich noch auf gerodeten Regenwald-Böden gewachsen ist, nach Europa zur Viehfütterung transportieren zu lassen, sei dahingestellt. Die Zucht der Soldatenfliege, die ursprünglich aus dem subtropischen Bereich stammt, und 2010 erstmals in Deutschland gesichtet wurde, ist vergleichsweise unproblematisch. Ausgewachsene Fliegen leben nur wenige Tage, maximal zwei Wochen, in denen sie keine Nahrung zu sich nehmen, die Weibchen legen in dieser Zeit zwischen 500 und 800 Eiern. Die Larven wachsen im Laufe von vier bis fünf Wochen zu einer Größe von bis zu 27 und einem Durchmesser von bis zu sechs Millimetern heran, wobei sie pro Tag bis zum Doppelten des Eigengewichts an Nahrung zu sich nehmen und dabei bis zu 50 Prozent des Futters in neue Körpermasse umsetzen. Sie müssen dann nur noch aus der Aufzuchtbox eingesammelt und weiterverarbeitet werden, meist zu Larvenpuder oder -mehl.