Die meisten Menschen reden hin und wieder laut vor sich hin. Warum aber tun wir das? Und sind solche Selbstgespräche normal oder ungesund?
Wo ist eigentlich mein Schlüssel?" „Ah, zur Tankstelle wollte ich auch noch." „Hab ich jetzt die wichtige Akte eingesteckt?" Solche oder so ähnliche Gespräche kennen wir alle. Wir führen sie mit uns selbst, murmeln laut vor uns hin, kommentieren oder ergänzen unsere Handlungen und stellen uns Fragen. US-Forscher schätzen, dass 96 Prozent der Erwachsenen mit sich selbst sprechen. Ist das eigentlich normal?
Psychologen zufolge besteht in den meisten Fällen kein Grund zur Sorge. Selbstgespräche können sogar gesund sein. Dann etwa, wenn sie als Ventil für starke Gefühle wie Frustration, Wut oder Vergnügen dienen. Wer zu sich spricht, kann sich Dinge besser merken, Gedanken klarer strukturieren und Probleme schneller lösen. Dabei unterscheiden Forscher nicht zwischen inneren Monologen und hörbar geführten Selbstgesprächen. Die Laute aber verstärken die positiven Effekte noch.
Bereits kleine Kinder machen vor, wie das geht: Sie reden, singen und murmeln ständig vor sich hin. Auf diese Weise bündeln sie ihre Aufmerksamkeit, sortieren Gedanken und Geschehnisse. Der Psychologe Adam Winsler von der George Mason University in Fairfax, Virginia, zeigte im Rahmen einer Studie, dass drei- bis fünfjährige Kinder, die mit sich selbst sprechen, ihnen gestellte Rätsel schneller lösen als Kinder, denen das Selbstgespräch verwehrt blieb. Experten raten deshalb, dass Eltern die Monologe ihrer Kinder zulassen sollten. Diese Form der Autokommunikation trage bei den Kleinen zudem noch zum Spracherwerb bei. Sie würden auf diese Weise lernen, Gegenstände zu benennen und Aussprachen zu probieren. Da ihr Gehirn sich erst noch entwickelt, nutzen sie diese Methode stärker als die meisten Erwachsenen, denen zusätzlich häufig auch ein gewisses Schamgefühl im Wege steht. Meist beginnen die kindlichen Selbstgespräche mit zwei Jahren und nehmen ab dem fünften Lebensjahr zunehmend ab. Winsler und seine Kollegen beobachteten in ihren Untersuchungen, dass Kinder etwa vom sechsten Lebensjahr an ihre Gedanken verstärkt für sich behalten. Sollen sie im Beisein anderer eine Aufgabe lösen, flüstern sie zunehmend und behalten ihre Gedanken irgendwann wie Erwachsene komplett für sich.
Sich selbst Fragen stellen
Aber auch im Erwachsenenalter können Selbstgespräche nützlich sein. Der Psychologie-Professor Dietrich Dörner von der Universität Bamberg hat dazu untersucht, wie sich Studenten beim Entwerfen von Fahrradhaltern verhalten. Er ließ die Teilnehmer Fahrradhalter entwerfen und bauen und beobachtete sie dabei per Video. Ein Teil der Studenten sollte sich still verhalten, ein Teil vor sich hin reden. Besonders gut und schnell konstruierten die Teilnehmer, die sich ständig fragten: „Soll ich das so oder lieber so machen? Kann das funktionieren?" Wer ein Problem habe, dem helfe das Formulieren, so der Professor. Dies könne sowohl im Selbstgespräch als auch etwa bei Kritzeleien passieren. „So entsteht eine Art Ideenbrei, neues Denkmaterial wird geschaffen. Aus unscharfen Gedanken und Bildern lässt sich das Problem nun strukturieren und lösen", erklärt Dörner. Zudem dienten Selbstgespräche dem Gedächtnistraining. Dörner empfiehlt deshalb insbesondere älteren Menschen, regelmäßig mit sich selbst zu sprechen. Wer alleine lebt, rede seltener mit anderen Menschen und das Kurzzeitgedächtnis lasse nach. Dagegen könnte man sich besser konzentrieren, wenn man die Gedanken laut ausspreche. Wer zum Beispiel vor sich hin sage, dass er jetzt Butter hole, würde nicht in den Kühlschrank starren und sich fragen, was er eigentlich dort wollte.
Sein Kollege, der Psychologe Thomas Brinthaupt von der Middle Tennessee State University in den USA, unterscheidet vier verschiedene Funktionen, die gesunde Selbstgespräche erfüllen können: Selbstkritik („So kann das nicht funktionieren"), Selbstbestätigung („Das habe ich gut gemacht"), Selbstmanagement („Nicht den Schlüssel vergessen") und das Vorab-Einschätzen sozialer Situationen. Etwa wenn man übt, wie man seinem Nachbarn am besten sagt, dass er zu laut ist („Sind Sie schwerhörig?"). Wer häufig Selbstkritik übt, solle aber darauf achten, nicht zu hart mit sich zu sein. Menschen, die sich im Zuge dessen permanent selbst schlecht machen und sich beispielsweise sagen, was für Vollidioten sie sind und was sie alles nicht hinkriegen können, können dadurch depressive Stimmungen schaffen oder verstärken. Auch bei anstehenden Entscheidungen könne es helfen, sich Fragen zu stellen wie etwa: „Schaffe ich das?" Die Antwort schafft Bewusstsein über die eigene Motivation und Fähigkeiten. Wer statt „ich" den eigenen Namen verwendet – also mit sich in der dritten Person spricht – schaffe Distanz und könne noch besser als sein innerer Ratgeber wirken.
Wie häufig jemand im Erwachsenenalter noch mit sich selbst spricht, hängt sowohl von den gemachten Lebenserfahrungen als auch von der Art des Aufwachsens ab. „Wir konnten zeigen, dass zum Beispiel Einzelkinder als Erwachsene mehr mit sich selbst sprechen als Kinder mit Geschwistern. Auch Erwachsene, die früher einen imaginären Freund hatten, neigen später eher zum Selbstgespräch", so Brinthaupt.
Besonders gut erforscht ist die Wirkung von Selbstgesprächen im Sport. Nachdem Forscher herausfanden, dass Athleten ihre Ziele nicht erreichten oder ihr Leistungspotenzial nicht voll ausschöpften, weil sie irrationale selbstvernichtende Gedanken akzeptieren und ihnen beipflichten, hat sich das Selbstgespräch als probates Mittel zur Leistungssteigerung etabliert. Dadurch sollen ihr Selbstvertrauen und ihre Selbstwirksamkeit gestärkt werden. Schlagworte, die die Sportler zu sich selbst sagen, fördern ihre Konzentration und machen sie selbstsicherer. Sie erlernen dadurch neue Fertigkeiten, berichtigen Fehler oder handeln effektiver als zuvor. Sie regulieren mit Selbstgesprächen Gefühle und Gedanken, lernen stressreiche Situationen und Unerwartetes besser handhaben zu können. „Worte motivieren, beruhigen oder aktivieren", erläutert Dorothee Alfermann, Professorin für Sportpsychologie von der Hochschule Leipzig. So könnten sich Sportler vor einem Wettkampf etwa mit einem leisen „Du schaffst das!" oder „Renn!" anfeuern.
Demotivation über Selbstgespräche sei natürlich genauso möglich. Wer sich selbst als Trottel beschimpfe und sich einrede „Das hat doch keinen Zweck", würde schnell aufgeben. Profitieren können von dieser Methode aber auch Nicht-Sportler. Alfermann empfiehlt beispielsweise, Selbstgespräche vor Prüfungen und Bewerbungsgesprächen anzuwenden. Das Selbstgespräch eigne sich zudem, um die Kontrolle über belastende Situationen zu erlangen. „Wenn ich im Stau stehe, sage ich mir, dass ich ruhig bleibe und es bestimmt bald weitergeht", so die Sportpsychologin.
Manchmal auch Anzeichen einer Erkrankung
Wie also führt man ein gutes Selbstgespräch, um sich selbst zu unterstützen? „Stellen Sie sich Fragen", rät Dietrich Dörner. Also zum Beispiel: „Wie kann mir das gelingen?" „Habe ich selbst etwas falsch gemacht?" „Warum ärgere ich mich überhaupt?" Wichtig dabei sei, sich selbst nicht runterzumachen. Negative Aussagen, wie „Das schaffst du wieder nicht" oder „Dafür bist du einfach zu blöd" oder „Der Tag fängt ja schon gut an …" sollte man besser meiden.
Auch Pauschalierungen, zum Beispiel „Das ist ja mal wieder typisch für dich", „Nie bringst du eine Sache zu Ende", „Ständig ignorieren dich die Kollegen" sind meist nicht nur falsch, sondern wirken sich auch negativ aus. Wem etwas gut gelinge, der solle sich auch ruhig laut oder zumindest innerlich loben. Auch zur Eigenmotivation solle man Gedanken einfach einmal in Worte fassen und schauen, welche sich am Positivsten auf einen selbst auswirken.
Wer sein Gedächtnis über ein Selbstgespräch schulen will, dem empfiehlt Dorothee Alfermann, unbekannte Dinge mit Worten zu begleiten. „Ich bin am Hotel vorbeigegangen, dann kam der gute Bäcker und dann die Ecke mit dem Gitarrenspieler. So gibt man sich selbst Hinweise und merkt sich einen Weg besser."
Selbstgespräche scheinen also deutlich besser zu sein als ihr Ruf. Sie können die Leistungsfähigkeit und die Konzentration steigern, das Gedächtnis verbessern, und dabei helfen, Gedanken zu strukturieren und Probleme zu lösen. Manchmal allerdings sind sie tatsächlich Anzeichen einer ernsthaften Erkrankung. Bestimmte psychische Erkrankungen im Bereich der Psychosen beispielsweise haben als Kernsymptom eine Störung der Denkabläufe. Auch bei Demenzkranken oder Patienten mit schweren Depressionen kommen Selbstgespräche häufig vor. Bei Menschen, die ständig dieselben Sätze wiederholen oder in öffentlichen Räumen laut vor sich hin reden oder schimpfen, kann eine solche Erkrankung zugrunde liegen. Der entscheidende Unterschied besteht darin, ob die Stimme(n) von innen oder von außen wahrgenommen werden. „Menschen mit Erkrankung hören meistens Stimmen oder sprechen beispielsweise mit einem Verstorbenen. Sie selbst nehmen es also nicht als Selbstgespräch wahr, obwohl es von außen so wirkt", erklärt Peter Falkai, Past President der deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie und Psychiater und Psychotherapeut von der Universität München. Normalerweise könnten Menschen klar unterscheiden, ob ein Laut von außen oder von innen komme. „Diese Fähigkeit des Umschaltens ist beim pathologischen Stimmenhören im Kopf ausgeschaltet. Menschen mit dieser Krankheit können nicht mehr unterscheiden, ob Töne von innen oder von außen kommen", so Falkai weiter. Die Funktion, die eigenen Gedanken zu ordnen, entfalle sogar komplett. Hin und wieder in bestimmten Situationen mit sich selbst zu sprechen, sei für die meisten Menschen aber durchaus positiv und hilfreich.