Keine Angst vor Schärfe in den Masalas. Currys, Parathas und Naans mit ungewöhnlichen Füllungen als Wohlfühlessen: Zed Marke bringt mit seinem „Moksa" befreienden Schwung in die indische Küche.
Ein deutscher Kanadier, der indisch kocht und ganz nebenbei die traditionellen Gerichte modernisiert und weiterentwickelt? Ja doch, das gibt es. Praktischerweise in der Kreuzberger Oranienstraße, in der Nähe vom Görlitzer Bahnhof für jeden zum Selbst-Erschmecken leicht erreichbar. Zed Marke wollte vor elf Jahren von Europa aus eigentlich nur näher an seinen Reisezielen wie Thailand oder Indonesien sein und sich sein Geld zwischendrin mit Kochen verdienen. Doch er blieb in Berlin dauerhaft hängen. Gut für uns. So können wir uns an seinem „indischen Streetfood BBQ" im „Moksa" erfreuen. Die „Erlösung" oder „Befreiung", so in etwa die Übersetzung des Restaurant-Namens aus dem Hindi, darf wortwörtlich genommen werden: Zed Marke befreit die indische Küche von vorgefertigten Currypasten, Sahne-Orgien und Zutaten zweifelhafter Qualität.
Dabei sah es beim Start in Berlin für den Indian-Food- und Gewürz-Auskenner und Produktfanatiker kulinarisch gar nicht so gut aus: „Ich kam her, als es praktisch nichts Richtiges zu essen gab", sagt der 36-Jährige. Ende 2008 waren Streetfood-Konzepte ziemlich unbekannt. Selbst die „Markthalle Neun" startete erst 2013 ihren „Streetfood Thursday". Schlechte Karten also für einen kochkundigen Mittzwanziger, der in Vancouver aufgewachsen war und in Ottawa und Toronto mitten in den lebhaftesten, buntesten Vierteln gelebt und gekocht hatte. „Ich bin dort aufgewachsen, wo die Spätis Samosas verkaufen und die Straßen nach Gewürzen riechen." Das prägte: „Friends and family, there was no difference."
Zed Marke ließ sich nicht von der kulinarischen Berliner Anspruchslosigkeit abschrecken. Er setzte vielmehr alles daran, indisches Streetfood mit seinen Mitteln zu reformieren. Das Essen im „Moksa" überzeugt, auch ganz ohne gewürz- und küchenphilosophische Gespräche. Das Tandoori Chicken kommt so, wie es den Ofen in dem kleinen, offenen Küchenbereich am Eingang verließ, auf die Platte und zu uns an den Tisch. Weich und mürbe lässt sich das Fleisch vom Spieß ziehen und zerteilen. Nur einige frische, in Kokosessig marinierte Zwiebelringe, ein Garlic-Naan und ein Koriander-Pistazien-Chutney begleiten. Rasch ein Eck Brot aufgeklappt, ein Stück vom artgerecht aufgezogenen Kikok-Huhn hineingelegt. Ein Löffelchen Sauce, ein, zwei Zwiebeln obenauf, und der „Tandoori-Heaven" ist nah: Das ist überragend. In so einer Geschmackstiefe und Qualität dürfte Tandoori Chicken in Berlin derzeit nirgends sonst zu finden sein.
Passend zur Jahreszeit gibt es indischen Glühwein
Die kompromisslose, aber nicht demonstrativ zur Schau getragene Produktverliebtheit ist überall spürbar. Der kulinarische Begleiter, selbst in einem indisch kulinarisch geprägten Haushalt der Herr über Kochlöffel und Gewürzdosen, will mehr über das Tandoori-Chicken wissen. „Ich nehme nur die Oberkeule vom Huhn, die ist saftiger", sagt Marke. Sie wird mit Salz und Limette, selbst gemachtem Joghurt und einer selbst gemischten Masala aus Bio-Gewürzen mariniert. Nicht nur ein, zwei Tage, sondern „mindestens für zwei Wochen. Dann erst zieht die Marinade richtig tief ein. Das macht einen Unterschied im Geschmack."
Das Restaurant, das softly im Juli 2019 eröffnete, entwickelte sich aus dem gleichnamigen Stand in der Markthalle Neun. Dort ist Marke bis heute bei den „Streetfood Thursdays" präsent. Nach einem Intermezzo in einem festen Lokal in Neukölln ist es nun das südliche Ende der Oranienstraße geworden. Wegen des Zuspruchs der Gäste vor allem an den Wochenenden holte Marke dort schon Gartentische und -bänke von der Terrasse nach innen. Ja, es gibt unerwarteterweise eine Terrasse, mit Ausblick auf die Hochbahntrasse. Das sei schon einmal für die nächste warme Saison vorgemerkt. Doch erst einmal freuen wir uns auf den „indischen Glühwein", den Marke im Winter anbieten will: „guter Wein, Gewürze, indische Früchte und Extra-Shots wie zum Beispiel indischer Rum."
Wir sitzen im unteren Teil des Lokals, nahe dem Tandoor-Ofen, und warten auf weitere Köstlichkeiten, die Ahmed Ali zubereitet. Er ist Zed Markes Koch und „mein Schatten". Das „Moksa" ist derzeit – noch – ein Zweimannbetrieb. Die Produktqualität ist hoch, die fachkundige Manpower bislang übersichtlich. Nur so lassen sich die sehr zivilen Preise erklären: Tandoori-Chicken, Bowls und die gefüllten Brote spielen in der Acht- bis Zehn-Euro-Liga. Pure Brote können zusätzlich für drei bis fünf Euro, Chutneys für einen Euro dazu bestellt werden.
Wer ins „Moska" eintritt, wählt aus der laminierten und mit Bauklemmen an einem Metallgestell angebrachten Karte überm Tresen. Ist ein Gericht für diesen oder die nächsten Tage aus, werden die Fotos mit Kreppband überklebt. Wir entscheiden uns für ein „Naanwich", eine „Parathadia" und zwei Bowls, von denen die eine ein „Butter Chicken" und die andere mit „Beyond Keema" sein wird. Mit diesen drei Typen von Essen, die mit jeweils sechs unterschiedlichem „Innenleben" kombiniert werden können, ist es getan. Dazu kommen Tandoori Chicken, ein Dessert, Chutneys und Brote. Geschmort, im Ofen gebacken und in Sauce gelegt werden immer unterschiedliche Fleischarten, Gemüse oder Hülsenfrüchte.
Industriezucker kommt Marke nicht in die Küche
Wir haben uns für zwei vegetarische Bowls entschieden: „Beyond Keema" ist mit „gehacktem und sautiertem Veganfleisch" zubereitet. Das vegane Hack ist in seiner Textur und Zubereitung sehr überzeugend. Keine Spur von „Ersatz inside". Das Tempeh besteht aus einer Mischung von Kichererbsen und Dal. Es wurde von Zed Marke so lange optimiert, bis es seinen Ansprüchen genügte. Gefertigt wird es beinah nebenan, ein paar Straßen weiter, von einem kleinen, persönlich bekannten Hersteller: „Ein echt lokales Produkt."
Vieles ist vor Ort in der Vor- und Zubereitung möglich: Gewürze mischen, Fleisch marinieren, Teige für die Brote vorbereiten, Gemüse schmoren, Joghurt fermentieren. Manches aber auch nicht. Deshalb gibt es derzeit keine Gerichte mit Paneer. Das Handling vieler Liter frischer Milch nähme zu viel Platz in Anspruch. Der Begleiter und Zed Marke fachsimpeln über Paneer- und Joghurtherstellung und die richtigen Milchsorten. Das einzige Dessert auf der Karte beweist, dass es sich lohnt, sich damit auseinanderzusetzen. Es sieht in seinem Gläschen unspektakulär rentnerbeige aus, schmeckt aber enorm lebendig: Das bengalische „Mishti Doi" ist ein lange fermentierter Joghurt. Seine Milchsäurebakterien arbeiten aktiv vor sich hin und erzeugen Champagner-Prickeln am Gaumen. Es schmeckt dabei zart nach Karamell. Und das ganz ohne Industriezucker.
Der kommt Marke nicht in die Küche, die Süße muss sich aus anderen Komponenten entwickeln. Beim Dessert etwa aus Jaggery, einem unraffinierten Rohzucker. Fürs Curry wiederum werden Tomaten und Zwiebeln blecheweise geschmort und anschließend zu einer dicken Gemüsepaste einreduziert, bis sie so schmecken, wie sie die jeweiligen Masalas vorgeben – mal süßer nach Zimt und Weihnachten, mal mehr nach Kumin oder Kardamom. Zed Marke macht alles „from scratch", von Grund auf selbst, und dabei vieles richtig.
Bei den Parathas empfiehlt er uns seine Lieblingsversion mit „Goat Keema", also mit Ziegenfleisch. Das hierzulande selten verarbeitete Fleisch ist mit cremigem Cheddar und Bergkäse ins Fladenbrot eingebacken. „Freunde wollten, dass ich Parathas mache, aber ich fand das zu langweilig", sagt Marke. „Ich habe mir überlegt, wie das spannender werden könnte, und kam auf die Idee mit dem Käse." Diese „Parathadia", Markes kulinarische Verbeugung vor den mexikanischen Quesadillas, erzeugt das yummige Wohlgefühl von Pizza beim Essen: vier, fünf, sechs Bissen ins schlotzig-warme, würzige Brot und die Welt ist gut.
Statt mit Hefe wird das Naan mit Sauerteig gemacht
In die „Naanwiches" wird das Huhn gemeinsam mit frischem Spinat, Tomaten und Gurken erst eingerollt, wenn es den Tandoor-Ofen verlassen hat. Das Butterchicken in unserem Fall, das es alternativ in einer Bowl mit Reis gibt – so wie die ersten Gerichte am Streetfood-Stand in der Markthalle Neun. Die Idee zum indischen Wrap brachte Marke aus San Francisco mit. Im Gegensatz zum üblichen Naan wird dieses blasige Fladenbrot im „Moksa" statt mit Hefe mit Sauerteig getrieben. Die Sauerteigkultur stamme aus Island und sei 120 Jahre alt, erzählt Marke.
Zu seinem Essen und den Produkten hat er beinah immer eine Geschichte parat. In einer der schönsten spielen die Farben und Gerüche sämtlicher Gewürze eine Hauptrolle. Marke lernte alles darüber bei einem Händler in Bombay, für den er arbeitete. „Ein Kumin aus Indien ist ganz anders als eines aus Australien", erklärt er. Kurkuma aus Lakadong im nordöstlichen Bundesstaat Meghalaya sei etwa dreimal so stark wie andere Sorten. Das beeinflusst die Mischung der in Indien stets individuellen Masalas.
„Am komplexesten sind die, die man für Pickles mischt." Sie müssen zusätzlich auf die eingelegten Früchte oder Gemüse abgestimmt werden. Die wahren Schätze im „Moksa", die mehr als 100 direkt bezogenen Gewürze in Bio-Qualität, ruhen also in großen Dosen und Tüten, und sie werden gleich zwanzigkiloweise gemischt: „Das ist eine staubige Angelegenheit, und ich bin immer bunt." Holi in Kreuzberg! „Ich suche nicht nach typisch indischen Gewürzen, sondern nach dem, was ich vermisse", fasst Marke seine Philosophie zusammen. Wenn ein Gericht seinen Ansprüchen genügt und auf die Gäste losgelassen wird, soll es schließlich eines sein: „Ein Buch, das man durchblättert und auf allen Ebenen erleben kann."