Nur noch bis zum 25. März hat der Deutsche Bundestag die Chance, sich selbst zu verkleinern und ein Monster-Parlament von bis zu 900 Abgeordneten zu verhindern. Ob das gelingt, ist fraglich.
Schuld sind natürlich die Bayern. Genauer gesagt die CSU. Wäre sie nicht so erfolgreich und würde sie nicht so viele – meist alle – Direktmandate gewinnen, dann gäbe es weniger bis keine Probleme bei der Zusammensetzung des Deutschen Bundestages. Denn wenn die CSU wie 2017 alle 46 bayerischen Direktmandate gewinnt, sie aber bei den entscheidenden Zweitstimmen nur 38,8 Prozent erzielt, entstehen Überhangmandate. Seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2012 werden diese Überhangmandate durch Ausgleichsmandate ausgeglichen, bis der Proporz nach dem Zweitstimmenanteil wieder erreicht ist.
Das funktioniert auch gut, so lange es große Volksparteien mit hohen Zweitstimmenanteilen gab. Die Unterschiede zwischen Erst- und Zweitstimmenergebnis sind dann überschaubar. Doch das ändert sich gerade dramatisch. Während die Zweitstimmenergebnisse einbrechen, haben vor allem die Union und (deutlich weniger) die SPD bei den Erststimmen noch immer deutlich die Nase vorn. Weil seit 2017 sechs Parteien im Bundestag sitzen, ist die Zahl der Ausgleichsmandate deutlich gestiegen. Aktuell gibt es im Bundestag 709 Volksvertreter. Das sind 87 mehr als vier Jahre zuvor. Eigentlich waren nur 598 vorgesehen.
Der Niedergang der Volksparteien
Experten fürchten nun, dass bei einem weiteren Niedergang der Volksparteien das Parlament auf bis zu 900 Abgeordnete anwachsen könnte. Mit 709 Abgeordneten ist der Bundestag schon jetzt das zweitgrößte Parlament der Welt nach dem chinesischen Volkskongress.
Das würde erstens zu höheren Kosten führen: Jeder Abgeordnete kostet insgesamt etwa 40.000 Euro im Monat. Zum anderen würde schlicht der Platz nicht mehr ausreichen. Der Plenarsaal ist schon jetzt proppenvoll, wenn alle Abgeordneten da sind. Bei der Wahl des Bundespräsidenten muss man auf die Tribünen ausweichen. Auch gäbe es nicht mehr genügend Büroräume für alle Abgeordneten und ihre Mitarbeiter. Die sind derzeit in unmittelbarer Nähe des Reichstages auf dem freien Markt nicht zu finden. Derzeit wird ein neues Gebäude errichtet, das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus. Ob es rechtzeitig fertig wird, steht in den Sternen. Hinzu kommt, dass die Sitzungssäle für die Ausschusssitzungen bis auf den letzten Platz gefüllt sind. Mehr Abgeordnete würde aber auch größere Ausschüsse bedeuten.
Das Problem ist seit Jahren bekannt. Doch an einer Verkleinerung hat offenbar keine Partei ein wirkliches Interesse. Es geht immerhin um viele Jobs für Abgeordnete und Mitarbeiter. Da legt keiner gern die Axt an. Wie schon der frühere Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) hat auch der jetzige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) versucht, das Parlament auf eine überschaubare Zahl zu reduzieren, allerdings bislang ergebnislos. Für den Parlamentspräsidenten ist das Ganze ein „klassisches Dilemma". Noch aber will er nicht kapitulieren. Der Bundestag müsse erkennen, dass „seine Akzeptanz in der Öffentlichkeit Schaden nimmt, wenn er nichts ändert".
Nun haben FDP, Grüne und Linke einen gemeinsamen Vorschlag zur Verkleinerung des Parlamentes eingebracht. Die drei Oppositionsparteien wollen die Zahl der Wahlkreise von derzeit 299 auf 250 reduzieren, sowie gleichzeitig die Zahl der regulären Sitze von 598 auf 630 erhöhen. Das aber geht der Union absolut gegen den Strich, denn für sie sind die Direktmandate so etwas wie heilige Kühe.
Die Uhr für eine Begrenzung tickt
Wer seinen Wahlkreis direkt gewonnen hat, ist in der Union, und nicht nur da, gewissermaßen erste Klasse. Er gilt als Ausweis des unmittelbaren Kontaktes zum Wähler. Das gilt besonders für die CSU, wo man ohne Direktmandat jegliche Hoffnung auf einen Sitz im Parlament begraben kann. Das musste auch der bayerische Innenminister Joachim Hermann erfahren, der 2017 trotz Platz eins auf der Landesliste nicht in den Bundestag kam.
Besonders erbost reagierte man in der Union, als Bundestags-Vize Thomas Oppermann vorschlug, doch ohne den Koalitionspartner eine Reform durchzusetzen: „Es gibt im Bundestag eine Mehrheit für eine solche Reform. SPD, Grüne, Linke und FDP sind sich im Wesentlichen einig. Deshalb müssen wir den Druck auf die Union weiter erhöhen." Die Union empfand das als „Provokation".
Noch hat der Bundestag eine reelle Chance, die Zahl der Abgeordneten bei der nächsten Bundestagswahl im Herbst 2021 zu begrenzen. Allerdings: Die Uhr tickt. Ab dem 25. März 2020 können die Parteien Kandidaten für die Bundestagswahl aufstellen. Spätestens ab diesem Tag ist der Zug abgefahren – es sei denn, die anderen Parteien folgen dem Antrag der AfD, diese Frist um drei Monate zu verschieben. Derzeit beraten die Ausschüsse.
Bislang deutet sich auf Unionsseite nur bei Schäuble ein Einlenken an: „Es geht ohne eine Verringerung der Zahl der Wahlkreise nicht. Das müssen wir jetzt auch schnell machen, denn die Wahlkreise müssen neu eingeteilt werden", so der Parlamentspräsident.