Sogenannte Chunky Boots spiegeln rauer werdende Zeiten wider – Stichwort militärische Konflikte und Klimawandel. Neben den punkigen Kampfstiefeln wurde auch den Chelsea Boots ein klobiges Aussehen verpasst.
Es ist eigentlich ein alter Hut, dass in der Damenmode immer wieder Inspirationen oder Adaptionen aus dem Militärwesen auftauchen. Bomberjacken, Trenchcoats oder Camouflage-Looks sind diesbezüglich die bekanntesten Beispiele. Dass diesen Winter ausgerechnet wieder Kampfstiefel, im Englischen Combat Boots genannt, auftauchen, dürfte von daher keine so große Überraschung sein. Lediglich über den konkreten Zeitpunkt lohnt es sich vielleicht mal Gedanken zu machen. Die „Neue Zürcher Zeitung" und „Harper’s Bazaar" sind sich einig darüber, dass die Designer damit auf die politisch und klimatisch angespannte Weltlage reagieren möchten, die immer mehr Menschen zu Massen-Demonstrationen auf die Straßen lockt. „In Turnschuhen", so „Harper’s Bazaar", „kann man das nicht bestehen, es muss ein bisschen wehrhafter sein. In Combat-Boots mit und ohne Stahlkappe steht man fest auf beiden Füßen und wirkt außerdem so wehrhaft, als könnten einem weder Diktatoren noch Klimakrisen etwas anhaben."
Sneakers haben Verschnaufpause
Eine andere einleuchtende Erklärung könnte auch sein, dass diesen Winter den Sneakers von den maßgeblichen Labels mal eine Verschnaufpause gegönnt wird, auch wenn davon im Streetstyle oder in den meisten Läden derzeit noch nichts zu bemerken ist. Da zuletzt vor allem klobige und nicht sonderlich hübsche Chunky Sneakers mit mega-dicker und breiter Sohle angesagt waren, auf die die Bezeichnung Ugly Sneakers wegen ihrer häufigen Hässlichkeit wie die Faust aufs Auge gepasst hatte, war es eigentlich naheliegend, dass sich die Designer auf die Suche nach ähnlichen Alternativen begeben hatten.
Und dabei könnten sie durchaus auf die Kampfstiefel gestoßen sein, mit denen eine Reihe von Labels wie Prada, Louis Vuitton, Valentino, Rag & Bone oder Alexander Wang schon 2016 einen Versuchsballon auf dem Laufsteg gestartet hatten, obwohl Chanel und Valentino bereits einige Saisons zuvor mit entsprechenden Modellen für Aufsehen, aber kaum für Verkaufserfolge gesorgt hatten. Doch inzwischen hat sich unter Führung von Gucci-Chef Alessandro Michele das Prinzip des Hässlichen längst durchgesetzt. Was für die Shoewear nichts anderes bedeutet, als das alles, was früher als unansehnlich abgelehnt wurde, von Uggs über Birkenstocks bis hin zu Dad Sneakers, plötzlich als cool und stylisch gilt. Und im Vergleich zu den Ugg Boots wirken die neuen Kampfstiefel der Wintersaison 2019/2020, die in den Kollektionen so ziemlich aller Luxusmarken auftauchen, wirklich mehr als kleidsam und schick. Man könnte mit ihnen wahlweise zur Demo, zur Armee, einem Punk-Event oder auf ein Heavy-Metal-Festival gehen.
Der modekompetente „Zeit"-Stil-Kolumnist Tillmann Prüfer hatte sich schon 2016 beim ersten Kampfstiefel-Revival vergeblich gewünscht, dass sich die Damenwelt doch lieber eleganteren Schnürschuh-Modellen als Sneaker-Ersatz zuwenden mögen, anstatt die tief profilierten Combat-Pieces als „Zeugnis der weiblichen Emanzipation" einzusetzen. Schließlich seien die eleganten Schnürstiefel, Ende des 19. Jahrhunderts zu knöchellangen Röcken getragen, ein wesentlicher Bestandteil der vornehmen Abendgarderobe gewesen und erst durch das Aufkommen von Springerstiefeln der Soldaten oder Arbeitsschuhen der fortschreitenden Industrialisierung Richtung heutiger rustikal-derber Umsetzungen ins Hintertreffen geraten.
Die „Vogue" und mit ihr einige andere Medien wie das Fashion-Portal Glowsly.com haben den neuen Kampfstiefel-Trend auf das Schlagwort „Punk" reduziert und führten dafür stellvertretend neueste Kreationen von Prada, Dior oder Alexander McQueen in tiefem Schwarz an. Bekanntermaßen hatten die Punks in den späten 70er-Jahren die Soldatenstiefel adaptiert und zu einem ihrer Markenzeichen gemacht. Später wurden die Kampfstiefel vor allem in Gestalt der legendären Doc Martens fester Bestandteil von Jugendkulturen wie Wave, Gothic oder der EBM-Szene. Dass sich die Treter auch bei den Skinheads seit den 60er-Jahren großer Beliebtheit erfreuten, soll an dieser Stelle auch nicht verschwiegen werden.
Im 19. Jahrhundert elegant, heute eher Punkig konnotiert
Über diese historischen Hintergründe wird sich allerdings kaum eine Lady beim Kauf der aktuellen Modelle groß Gedanken machen. Denn der Nutzeffekt der einst für Soldaten im unwegsamen Feld entworfenen Boots ist schließlich nicht von der Hand zu weisen. Sie sind wasserdicht, robust, wärmend und dank ihrer gummierten Profilsohle nahezu rutschfest, wodurch sie sicheren Schutz vor jeglichen Wetterkapriolen garantieren. Was die Ästhetik betrifft, so werden auch bei den am besten gelungenen Umsetzungen einige Abstriche in Kauf genommen werden müssen. Es sei denn, frau ist bereit, für Kampfstiefel aus feinstem Kalbsleber gut 1.000 Euro zu investieren. Aber auch dann bleibt das maskulin Martialische unübersehbar, selbst wenn diverse feminine Details wie Floral-Prints oder zweierlei Schnallen wie bei Balenciaga beigefügt wurden.
Allerdings gibt es auch einige Varianten, die den Klassiker deutlich abändern. Das beginnt in der Farbgebung. Während die meisten Stiefel in dunklen Tönen gehalten sind, wagen sich manche Designer auch an hellere Farben bis hin zu Weiß, wie beispielsweise Michael Kors. Beim Obermaterial wird das Leder auch schon mal durch Filz ersetzt wie bei Max Mara. Auch Wildleder kommt zum Einsatz, beispielsweise bei Proenza Schouler. Doch die wohl größte Innovation neben dem gelegentlichen Verzicht auf die Schnürung zugunsten eines seitlichen Gummizugs ist die Ausstattung mit einem mehr oder weniger hohen Absatz statt dem standfesten Plateau, beispielsweise bei Modellen von Miu Miu, Stella McCartney, Gucci oder Gianvito Rossi. Einig sind sich so ziemlich alle Mode-Magazine mit dem Hinweis, dass die Treter am besten zu ultrafemininen Stücken kontrastreich kombiniert werden sollten. Es lebe der Stilbruch, so lautet gemeinhin das Credo. „In Style" empfiehlt ihren Leserinnen süße Flatterkleidchen aus luftigen Stoffen und Miniröcke.
Neben den traditionell klobigen Kampfstiefeln haben einige Designer auch den Chelsea Boots ein Chunky-Aussehen verpasst. Dadurch wurden die eigentlich dezenten Stiefeletten in regelrechte Eyecatcher verwandelt, meint die „Glamour". Die „Vogue" hat diese neuen groben Chelsea-Ankle-Boots schon als ein Lieblingspiece der Street-Style-Stars auf den Fashion Weeks ausmachen können und dafür gleich auch schon die Modelle von Prada, Bottega Veneta und Eytys als Paradebeispiele ins Rampenlicht gestellt.
Uns gefallen aber auch die nieten-geschmückten Stiefel von Alexander McQueen ungemein gut. Auch Labels wie Stella McCartney, Tibi, Burberry, Louis Vuitton, Ralph Lauren, Tod’s oder J. W. Anderson haben Chunky Chelsea Boots in ihrem aktuellen Sortiment. Natürlich wird auch hier wieder zum Stilbruch geraten, und Satinkleid oder Bleistiftrock werden als ideale Kombi-Partner
genannt.