Hansi Flick sollte beim FC Bayern eigentlich nur Übergangstrainer sein. Dem Club Zeit und Ruhe verschaffen, um einen adäquaten Trainer zu verpflichten. Das macht der frühere Assistent von Bundestrainer Jogi Löw aber so gut, dass er längst auch als Dauerlösung ein Thema ist.
Norbert Hofmann hat seine ganz eigene Meinung zu Hansi Flick. In einem FORUM-Interview im Jahr 2015 erinnerte sich der frühere Mittelfeldspieler des 1. FC Saarbrücken an seinen Trainer in Hoffenheim. Dort war Hofmann einst der erste Profi der heute in der Bundesliga spielenden TSG und Flick sein Trainer. Flick hätte eher einen E-Jugendlichen als ihn eingesetzt, sagte Hofmann, weil die beiden ein persönliches Problem miteinander gehabt hätten. „Flick konnte es überhaupt nicht ertragen, wenn jemand Widerworte gegeben hat", sagte er. „Das hat aber gerade dort eh niemand getan. Die meisten Spieler waren bei SAP angestellt, und sie wollten nicht auch noch Probleme am Arbeitsplatz kriegen. Aber wenn du alle Spieler mundtot machst, kannst du nichts erreichen." Auf die Frage, ob er sich wundere, dass Flick zu diesem Zeitpunkt zum Sportdirektor des DFB aufgestiegen ist, antwortete Hofmann: „Und wie! Ich habe ja schon einen Anfall bekommen, als er Co-Trainer der Nationalmannschaft wurde. Aber Hansi war schon immer ein Ja-Sager, und solche Leute braucht man auf dem Posten. Die Stars würden sich von ihm auch gar nichts sagen lassen. Zum Dazwischenhauen gibt es dort Löw. Und wenn man einen will, der kein Theater macht, gibt es keinen Besseren als Hansi Flick."
Diese Worte würden heute wohl die meisten Spieler beim FC Bayern München überraschen. Denn bei ihnen kommt Hans-Dieter Flick, genannt Hansi, gerade derart gut an, dass sie alle von ihm schwärmen. Nach der Entlassung von Niko Kovac war der frühere Bayern-Profi Flick vom Co-Trainer zum Interimschef aufgestiegen. Nach wenigen Tagen bekam er das Vertrauen bis Weihnachten ausgesprochen. Eine Anstellung bis Sommer scheint inzwischen realistisch. Und dass zur nächsten Saison nicht einer mit großem Namen kommt, wie Thomas Tuchel oder Mauricio Pochettino, scheint auch längst nicht ausgeschlossen. Flick hat in Rekordzeit die Spieler des FC Bayern hinter sich gebracht. Eine Mannschaft, die zunächst Carlo Ancelotti und dann Kovac durch Klagen einiger (Führungs-)Spieler in der Chefetage zu Fall gebracht hatte. Und bei der sich dann manch einer fragte, ob man es diesen Stars überhaupt recht machen könne.
„Hansi war schon immer ein Ja-Sager"
Vielleicht schwärmen auch deshalb einige so auffallend euphorisch von ihrem neuen Trainer, weil sie beweisen wollen, dass sie doch nicht untrainierbar sind. Deshalb muss sich erst auch zeigen, ob Flicks Beliebtheit in der Mannschaft von Dauer ist und vor allem daher rührt, dass er viel mit seinen Spielern redet und die Wortträger der Mannschaft stärkt. Oder vielleicht sogar nur daher, dass er eben nicht Niko Kovac ist, mit dem viele Spieler – warum auch immer – augenscheinlich nicht mehr zusammenarbeiten wollten. Was vielleicht auch ein wenig gegen Kovac spricht. Ganz sicher aber gegen die Spieler, die dies besonders vor sich hertrugen und es deshalb sogar nicht schafften, trotz eines Millionengehalts Freude am Fußball zu zelebrieren und ihre Leistung zu zeigen.
Bei Kovac hatte man am Ende das Gefühl, er könne es Spielern wie der Vereinsführung einfach nicht mehr recht machen. Im Sommer holten die Bayern Philippe Coutinho vom FC Barcelona und wollten den Fans deutschlandweit glauben machen, das sei ein Segen für die Liga und den ganzen deutschen Fußball. Als Kovac aber ihn und nicht den Ur-Bayer Thomas Müller spielen ließ, fragten viele hinter vorgehaltener Hand, wie er das denn machen könne. Obwohl Müller in der Nationalmannschaft auch schon ausgebootet wurde und bei ihm im Gegensatz zum nach Dortmund zurückgekehrten Mats Hummels niemand ein Comeback fordert. Zudem war Kovac ab einem gewissen Punkt möglicherweise gekränkt und wusste, dass er eh keine Chance mehr hatte. Als er dann die Kommunikation schleifen ließ, war es wirklich vorbei.
Was hat also Hansi Flick gemacht, um die Bayern in nur wenigen Tagen – wie Leverkusens Sportchef Rudi Völler es ausdrückte – wiederzubeleben? Nun, wie eben angedeutet, er hat mit den Spielern geredet. Mit allen, immer wieder, persönlich. Er hat Joshua Kimmich dauerhaft dessen Lieblingsposition im defensiven Mittelfeld anvertraut, obwohl es auch Gründe dafür gibt, ihn eher hinten rechts aufzustellen. Er hat Müller seinen Stammplatz zurückgegeben und dafür Coutinho erst mal auf die Bank gesetzt. Deshalb war es wohl sein größter Erfolg, dass auch der Brasilianer sich für seinen Verbleib stark machte: „Er hat das Talent, jedem Spieler zu jeder Zeit verstehen zu geben, dass er ein wichtiger Baustein innerhalb dieses Gebildes ist."
Wichtig, dass Stars sich frei fühlen
Ist es letztlich also so einfach, Bayern-Trainer zu sein? Für eine bestimmte Zeit sicherlich. Vom Potenzial her haben die Münchener die mit Abstand beste Mannschaft der Bundesliga. Und zumindest im Liga-Alltag sind Teamgeist und zufriedene Stars offenbar wichtiger als taktische Kniffe. Kovac wollte offenbar alle möglichst gleich behandeln. Was zunächst einmal logisch klingt. Flick gibt auch allen Spielern Wertschätzung. Doch die Leader steckt er in kein Korsett. In München ist es offenbar wichtiger, dass die Stars sich frei fühlen und die anderen das akzeptieren, als dass jeder zu jederzeit seine Chance sieht und an Chancengleichheit glaubt. Und das Zelebrieren der eigenen Offensiv-Kunst ist offenbar wichtiger als taktisch-defensive Kompaktheit – was gegen starke Gegner in der Champions League noch zu beweisen ist.
Dass dies im Münchener Kabinett der Eitelkeiten der beste Weg ist, hatte auch einer schon erkannt, von dem sie heute noch alle als dem idealen Bayern-Trainer schwärmen: Jupp Heynckes. Und deshalb überrascht es auch nicht, dass viele Stars den Vergleich zu ihm bemühen, wenn sie ihr Loblied auf Flick singen. „Er nimmt jeden mit, und das ist wichtig", sagte Kapitän Manuel Neuer. „Gerade das, was Jupp Heynckes immer gemacht hat, setzt er hier fort." Torjäger Robert Lewandowski antwortete auf die konkrete Frage, ob Flick ein wenig wie Heynckes sei: „Ich denke schon. Vor allem die Stimmung, der Kontakt zu Spielern und seine Empathie." Die Spieler wüssten, „dass der Trainer hinter uns steht und uns helfen will. Deswegen wollen wir alle zusammen nach vorne gehen und zusammen kämpfen." Die „Süddeutsche Zeitung" analysierte: „Dass sich selbst eine talentierte Mannschaft wie der FC Bayern einen umarmenden Trainer wünscht, einen, der sie versteht und ihr ihre Eigendynamik lässt – auch das ist eine Hinterlassenschaft von Heynckes."
Es ist also kein Hexenwerk, was Flick macht. Er beschränkt sich einfach auf die Basics und orientiert sich an demjenigen, von dem alle schwärmen. Er kennt Heynckes auch bestens, spielte von 1987 bis 1990 drei Jahre unter ihm beim FC Bayern und stand in dessen zweiter und dritter Münchener Zeit als Assistent von Bundestrainer Joachim Löw bei der Nationalmannschaft im engen Austausch. Rekordnationalspieler und Sky-Experte Lothar Matthäus lobte deshalb Flicks „einfache Art und Weise. Er redet offen und klar mit den Spielern. Nicht mit den Emotionen wie Jürgen Klopp oder der Schauspielerei eines Pep Guardiola."
„Er redet offen und klar mit Spielern"
Manchmal ist es vielleicht wirklich so einfach. Vor allem, wenn die Mannschaft grundsätzlich ein solch großes Potenzial hat. Ob dies ein Modell auf Dauer ist, wird sich zeigen. In der ersten Krise wird Flick auch formschwachen Stars ihren Nimbus nehmen, streng und konsequent sein müssen. Ein Leistungsprinzip erkennbar machen müssen, ohne dabei seinen eingeschlagenen Weg zu verlassen – welcher den Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge kürzlich jubeln ließ, der FC Bayern spiele endlich wieder wie der FC Bayern. Wenn Flick das schafft – so wie es auch Heynckes gelang – dann braucht der Rekordmeister im nächsten Sommer wirklich keinen neuen Trainer.
Würde man Norbert Hofmann fragen, so würde der sicher daran zweifeln. Doch vielleicht hat Hansi Flick seit ihren gemeinsamen Zeiten auch einfach eine Menge gelernt. Denn die liegen nämlich schon mehr als 15 Jahre zurück.