Auf Hans Lindberg ist Verlass: Der Däne ist auch in seiner 13. Bundesliga-Saison ein absoluter Torgarant für die Füchse Berlin.
Hans Lindberg ist maximal ehrgeizig und immer hungrig auf Tore, aber Kyung-Shin Yoon braucht keine Angst zu haben. Den Allzeit-Tore-Rekord des südkoreanischen Jahrhundert-Handballers (2.908 Treffer) in der Bundesliga (HBL) hat Lindberg als Dritter der ewigen Bestenliste nicht im Visier. „Natürlich macht es mich stolz, so oft getroffen zu haben, aber den Rekord werde ich nicht mehr erreichen", sagte der dänische Weltmeister von den Füchsen Berlin. Mit über 2.200 Treffern hat Lindberg trotzdem schon jetzt seinen Platz in den Geschichtsbüchern sicher, und ein anderer Rekord ist durchaus noch in Reichweite: Seinen Landsmann Lars Christiansen im Ranking der verwandelten Siebenmeter (1.224) würde der Rechtsaußen nur zu gerne vom Thron stoßen. Mitte November beim souveränen Auswärtssieg bei der HSG Nordhorn-Lingen (34:24) erzielte Lindberg seinen 1.000. Treffer vom Siebenmeter-Punkt. Der Nervenkitzel, die kleinen Psychospielchen mit dem Torhüter – für Lindberg gibt es nichts Schöneres. „Ich liebe es, wenn ich etwas entscheiden kann", sagte der 38-Jährige. „Entweder bist du der Held oder der böse Kerl, der für die Niederlage verantwortlich ist."
Doch nicht nur vom Punkt, auch aus dem Spiel heraus hat Lindberg trotz seines fortgeschrittenen Alters nichts von seiner Abschlussqualität verloren. Auch in seiner 13. Bundesliga-Saison trifft er mit einem unbändigen Willen und einer herausragenden Wurftechnik fast nach Belieben, nicht nur für Füchse-Geschäftsführer Bob Hanning ist er nach wie vor „einer der besten Rechtsaußen der Welt". In der Bundesliga ist Lindberg auch in dieser Saison einer der drei besten Torschützen der Saison und für seinen Club vielleicht wichtiger denn je, auch wenn er die 28:31-Niederlage am 16. Spieltag im Verfolgerduell bei der TSV Hannover-Burgdorf trotz neun Treffern nicht verhindern konnte.
„Einer der besten Rechtsaußen der Welt"
In seiner Torausbeute sieht er selbst gar nichts Besonderes. „Das ist meine Rolle. Ich bin ein Außenspieler, der von der Ecke treffen muss, die Gegenstöße verwerten soll und die Siebenmeter wirft", sagte Lindberg. „Da kommen zwangsläufig viele Treffer zusammen, wenn man es gut macht." Auch seine nur von Christiansen erreichte Siebenmeter-Statistik wollte Lindberg nicht überbewerten: „Eigentlich bin ich beim Siebenmeter nur der Typ, der die Bälle reinmacht, erarbeitet haben das vorher die anderen Jungs." Auch das ist typisch Lindberg. Der Routinier muss als Torjäger vom Dienst zwar mitunter ein Egoist sein, aber außerhalb des Feldes ist er das komplette Gegenteil. Deswegen war es auch keine Überraschung, dass der im Team sehr beliebte Däne vor einem Jahr die Kapitänsbinde von Petr Stochl übernahm. Er führt die Füchse mit einer flachen Hierarchie. „Es gibt genug Unterstützung, wenn ich sie brauche", erzählt Lindberg. „Wir haben eine sehr homogene Truppe und mehrere Leader."
Aber natürlich richten sich gerade die jungen Spieler in engen Situationen an Lindberg auf. Allein seine Erfahrung und Titelsammlung verleiht dem Rechtsaußen eine gewisse Aura. Mit dem inzwischen insolventen HSV wurde er 2011 deutscher Meister und zwei Jahre später als bester Torschütze Champions-League-Sieger. Mit Dänemark gewann Lindberg Anfang des Jahres den WM-Titel und außerdem zweimal die Europameisterschaft (2008 und 2012). Mit den Füchsen holte er vor einem Jahr den EHF-Pokal, aber insgeheim träumt er von Größerem. „Ich glaube, jeder Spieler hat Lust, Meister zu werden", sagte Lindberg. „Aber so was rauszubrüllen, ist immer schwierig." Auch in dieser Saison scheinen sich die Füchse früh aus dem Meisterrennen verabschiedet zu haben. Aber Lindberg bleibt noch etwas Zeit, sein Vertrag beim Hauptstadtclub läuft bis 2021. Dann ist er 40 Jahre alt und vermutlich bereit für die Handball-Rente. „Ich freue mich, dass Hans seine Karriere bei uns beenden wird", sagte Geschäftsführer Hanning. „Es gibt Spieler wie Hans oder auch Petr Stochl, bei denen das Alter überhaupt keine Rolle spielt!"
„Die Belastung ist einfach zu hoch"
Das Erfolgsrezept seiner ewigen Jugend kann Lindberg nicht verraten. Die Ernährung ist es jedenfalls nicht, er liebt das Essen – vor allem die süßen Sünden. Philadelphia-Torte mit Zitrone und Orange ist seine Leibspeise, aber auch eine wahre Kalorienbombe. Doch Lindberg scheint gute Gene zu haben, außerdem hat er seinen Lebensstil im Vergleich zu früheren Jahren deutlich geändert. Als junger Spieler habe er „immer Angst" gehabt, „ich könnte auf der schönsten Party des Lebens nicht dabei gewesen sein". Heute hat er andere Prioritäten, achtet mehr auf Regeneration und Ruhe. Doch das alleine reiche nicht, so Lindberg, der in der Vergangenheit schon öfters die Überbelastung für Bundesliga-Topteams öffentlich angeprangert hat. Die Doppelbelastung durch die 18er-Liga und die internationalen Wettbewerbe sei vor allem für Nationalspieler „nicht normal" und schlussendlich gesundheitsgefährdend. „Alle wollen immer mehr und mehr – und keiner ist bereit, abzuspecken. Die quantitative Belastung ist einfach zu hoch", meinte Lindberg, der bei den Verbänden wenig Entgegenkommen erkennt – im Gegenteil: „Und dann werden jetzt auch noch die Teilnehmerzahlen bei EM und WM aufgestockt." Die Weltmeisterschaft wird von 2021 an mit 32 statt 24 Teams gespielt, bei der Europameisterschaft wird ab 2020 das Feld von 16 auf 24 Nationen erhöht.
Als Rechtsaußen ist die Belastung zwar weniger groß als für einen Kreisläufer, doch für den Kopf sind die vielen Spiele selbst für Lindberg eine Herausforderung. Er muss vor dem Tor immer liefern und dem Druck standhalten. „Natürlich habe ich auch schon mal Schiss bei einem Wurf in letzter Sekunde", sagte er. „Im Kopf geht immer viel ab." Äußerlich nimmt man diese Anspannung kaum wahr, Lindberg wirkt auch in dramatischen Situationen wie ein Eisvogel. Vielleicht auch, weil er sich in die Lage eines Torhüters gut hineinversetzen kann. Er selbst war beim Beach-Handball ein erfolgreicher Torwart, gewann mit Dänemark sogar einmal EM-Bronze. Doch im Feld ist er noch besser, der Heber beim Siebenmeter und der Dreher von außen zählen zu seinen Spezialwürfen. „Ich kann mich an viele Situationen erinnern, bei denen der Hans auch bei uns den Ball in der Hand hatte, und ich hatte immer ein gutes Gefühl dabei", sagte sein Ex-Trainer Martin Schwalb, der noch heute über die gemeinsamen Zeiten beim HSV schwärmt: „Der Hans ist so stabil, charakterlich so ein guter Kerl."