Wir sind an einem Punkt, wo wir den Planeten zerstören könnten, warnt Mike Berners-Lee, prominenter britischer Umweltforscher und Klima-Experte. Sein neues Buch heißt: „Es gibt keinen Planet B".
Herr Berners-Lee, wie gut verstehen Sie sich eigentlich mit Ihrem Bruder?
Sehr gut, warum?
Ihr Bruder gilt ja als der Erfinder des World Wide Web. Das Internet steht beim Energieverbrauch an sechster Stelle in der Welt, wenn man es als Land rechnen würde. Ein ziemlicher Energiefresser.
Gut, dann mal ein kurzer Blick zurück: Über Jahrtausende gingen Erfindungen von Technologie und der wachsende Energieverbrauch der Menschen Hand in Hand. Das hat uns viele schöne neue Dinge gebracht. Darunter die Informationstechnik (IT) und das Internet. Diese Technologie und der Energieverbrauch haben die Welt immer schon verändert. Für Jahrtausende hat das nichts ausgemacht, weil der Globus robust genug war. Aber jetzt ein Aber, ein großes Aber: Das hat sich jetzt in sehr kurzer Zeit geändert. Jetzt sind wir an einem Punkt, wo wir den Planet zerstören können, allein schon durch mangelnde Vorsicht. Die IT-Revolution ist nur ein Beispiel. Wir müssen unser Verhältnis zur Technologie neu ausbalancieren. Wir brauchen einige Technologien, die uns helfen, etwa bei der Energiewende. Andere brauchen wir wirklich nicht, etwa die, mit denen wir mehr Erdöl aus der Erde holen. Wir wurden dank der IT millionenfach effizienter. Aber gleichzeitig stieg auch die Menge der Informationen, die wir verarbeiten und speichern. So stieg auch unser Kohlendioxid-Fußabdruck dramatisch.
Effizienzsteigerungen sind also ein zweischneidiges Schwert: Sie sparen etwas ein, aber am Ende führen sie zu größerem Verbrauch an Ressourcen und an Energie. Das ist paradox. Was können wir dagegen tun?
Ja, das ist so, weil wir es nicht geschafft haben, etwas aus den Techniken zur Effizienzsteigerung zu machen. Wir müssen einen Weg finden, die fossilen Emissionen zu begrenzen. Der einfachste Weg dahin wäre ein globaler Kohlenstoff-Preis. Hätten wir den, dann würde die Rolle der Effizienz sich sofort ändern.
Das geht nur politisch. Aber was können wir alle tun? Ihr neues Buch „Es gibt keinen Planet B" richtet sich ja an alle, an Verbraucher, Produzenten oder Wähler.
Regierung und Einzelner stehen in einer Wechselwirkung. Jeder ist zunächst ein Einzelner. Jeder fragt sich: Was kann ich als Einzelner angesichts der globalen Herausforderungen tun? Als einer von fast acht Milliarden? Wir sollten nicht erwarten, derjenige zu sein, der das ganze Ding retten kann.
Außer vielleicht, ich heiße Greta …
Wir sollten uns stattdessen die Frage stellen: Was kann ich tun, um die Bedingungen zu schaffen, dafür, dass die Menschheit in die Lage versetzt wird, die notwendigen Veränderungen zu bewerkstelligen? Da lässt sich sehr viel tun: nachhaltiges Leben, aber auch politischer Druck.
Was bringen denn die großen Demonstrationen, von denen es in diesem Jahr ja eine ganze Reihe gab? Ersetzen sie eigenes Handeln?
Die beiden Dinge gehen Hand in Hand. Warum ist persönliches Handeln wichtig? Weil man damit zeigen kann, was möglich ist. Aber es reicht nicht. Politische Veränderung ist notwendig. Ich bin eigentlich eher skeptisch, was Straßendemos angeht, aber: Wir haben Jahrzehnte lang nett und freundlich Veränderungen gefordert. Jetzt sind wir an einem Punkt, wo es ernst wird. Wenn Proteste sorgfältig und umsichtig ablaufen, dann sind sie sinnvoll und wirkungsvoll. Extinction Rebellion machen manchmal Fehler, aber sie respektieren die Politiker, die Polizei, das ist wichtig. Sie kämpfen für eine bessere Welt. Wenn die Polizei kommt, singen sie „We love you". Das ist doch großartig.
Können sie auch für neue politische Mehrheiten sorgen?
Ja, wenn sie es richtig machen. In Großbritannien haben wir nun unser Klimaziel verschärft. Der Chef des Klima-Komitees hat mir kürzlich selbst gesagt: Ohne die Demonstrationen hätten wir das nicht erreicht. Der Druck von der Straße öffnet neuen politischen Raum.
Aber was können wir erreichen, wenn China, Russland und Indien nicht mitmachen?
Die Herausforderungen sind gewaltig, aber wir öffnen den politischen Raum, auch für China und Russland. Wir zeigen, es ist möglich, wir meinen es ernst. Am Ende sind diejenigen isoliert, die nicht mitmachen. China ist zwar ein großer Emittent von Kohlendioxid, aber es hat auch einen großen Anteil an der Weltbevölkerung und muss einen großen Teil seiner Bevölkerung aus der Armut befreien. Wenn wir China zeigen, wie es geht, haben wir viel erreicht.
Sie glauben, die große Transformation wird alle, oder fast alle, glücklicher machen können. Aber was machen wir mit den Arbeitern in den Kohle-Tagebauen in der Lausitz?
Der Abschied von der Kohle in Großbritannien war ein brutaler Prozess, das ist kein Vorbild. Wir müssen verhindern, dass es so läuft. Wir brauchen Jobs, aber nicht im Kohlebergbau, sondern in Branchen der sauberen Energie, der Renovierung der Häuser, der Infrastruktur. Viele haben keine Fantasie, wie eine bessere Welt aussehen könnte. Es gibt so viele Möglichkeiten dafür. Klar, eine kleine Minderheit wird vielleicht schlechter dastehen. Da wird aber auch viel übertrieben, es gibt derzeit viel böse, giftige Propaganda und Fake News.
Müssen wir mit weniger Energie auskommen?
Global können wir den Energieverbrauch vielleicht halten, aber es wird in Zukunft nur noch erneuerbare Energie sein. Und in diesem Land und in meinem Land (Großbritannien, Anm. d. Red.) muss der Verbrauch eindeutig sinken. Denn in anderen Teilen der Welt wird er steigen. Hier wird er vielleicht auf die Hälfte sinken, als Daumenregel. Aber das Leben wird trotzdem gut sein, die Häuser werden komfortabel sein, der öffentliche Transport kann trotzdem gut funktionieren.
Werden uns E-Autos retten?
Nun, alle Autos werden elektrisch sein, aber wir werden viel weniger fahren. Die Energie muss ja irgendwo herkommen für die Batterien: also weniger Autos, kleinere Autos, mehr Carsharing. Wäre es nicht schön, wenn man kein eigenes Auto mehr hat, sondern sich einfach spontan eines leihen kann, wenn man es braucht? Eine Welt ohne eigenes Auto kann so einfach sein.
Das Auto ist natürlich auch für viele ein Statussymbol, das zeigt, sie haben etwas erreicht im Leben.
Das ist altes Denken – wie beim Fleisch. Das war auch mal Statussymbol. Das stammt aber noch aus einer Zeit, als wir zu wenig zu essen hatten. Heute gibt es fantastische vegetarische Ernährung. Alle diese Symbole ändern sich. Großbritannien ändert sich gerade gewaltig. Überall sprießen vegetarische Restaurants aus dem Boden mit hervorragendem Angebot.
Auch außerhalb Londons?
Ja klar, ich lebe im Lake Distrikt, das ist gar kein reines City-Phänomen. Vegetarische und vegane Restaurants sind absolut in.
Wie viel dürfen wir noch fliegen, wenn wir an die Zukunft denken?
Die meisten Menschen fliegen ohnehin wenig, weniger als einmal im Jahr. Es sind die Vielflieger, die die Masse der Flüge ausmachen. Bei jedem Flug sollten wir uns fragen: Ist er wirklich nötig? Eine Familie, die einmal alle paar Jahre einen schönen Urlaub macht, sollte es natürlich. Wer will es ihnen verübeln?
Wie sind Sie denn jetzt nach Berlin gekommen?
Mit dem Zug! Aus London, neun Stunden, es war entspannt, ich konnte viel arbeiten. Viel entspannter als im Flugzeug.
Sie hätten ja einen Flug auch kompensieren können. Was sagen Sie denn zu dieser beliebten Praxis?
Das ist manchmal sinnvoll, etwa bei Unternehmen, wenn es nicht anders geht, um den CO₂-Ausstoß in der ganzen Lieferkette auf null zu senken. Dann geht es manchmal nicht anders. Da ist es legitim, als letzte Möglichkeit. Wenn man wirklich einen Flug für nötig hält, kann man ihn kompensieren. Aber es sollte auf keinen Fall dazu führen, dass man die Entscheidung leicht nimmt und dann einfach mal schnell kompensiert. Das wäre nicht okay!
Können einmal alle Menschen der Welt unseren heutigen Wohlstand erreichen?
Wir müssen Wohlstand anders definieren. Wir sind heute eine globale Gesellschaft. Wir sitzen alle in einem Boot. Zum ersten Mal in der Geschichte. Wir sollten uns mit gegenseitigem Respekt behandeln. Wir können das Problem nicht lösen, indem wir gegeneinander arbeiten. Jeder soll die Chance haben, besser zu leben, auch mehr zu reisen. Das geht alles. Aber die soziale Ungleichheit muss sinken. Der Zusammenhang zwischen Wohlstand und Lebensqualität bricht ab einem bestimmten Level ab, und der ist gar nicht so hoch. Ich beschreibe kein Utopia, ich beschreibe den Weg zu einer besseren Welt, die absolut realistisch ist. Derzeit läuft in Großbritannien und den USA vieles in die falsche Richtung. Aber ich denke, das ist Teil eines großen Lernprozesses. Die Menschen werden bald aufwachen. Es gibt keinen Planet B!