Die Saison ist kurz, aber intensiv: täglich zehn bis zwölf Stunden draußen an der frischen Luft und das bei jedem Wetter – an bis zu 35 Tagen am Stück. Der Job des Weihnachtsbaumverkäufers ist nichts für Weicheier.
Das muss man vor allem aus sportlicher Sicht sehen. Das ist wie ein Hammertraining, und die Kür kommt dann am 24. Dezember um 14 Uhr", gibt sich Thomas B. im Vorgespräch Mitte November noch frohgemut. Wir sitzen in einem kleinen Café in Berlin-Steglitz im Warmen. Doch die harte Realität des Weihnachtsbaumverkäufers lässt nicht mehr lange auf sich warten. Nach dem Totensonntag geht es los mit dem Verkauf, und das geht dann bis Heiligenabend um 14 Uhr. Dann wird auch schon Inventur gemacht. Gegen 16 Uhr wissen die beiden Tannenbaumverkäufer an der Berliner Straße in Berlin-Zehlendorf, einer von 18 Berliner Verkaufsstellen des „Werderaner Tannenhofs", ob es sich dieses Jahr auch für sie gelohnt hat. „Also wir haben hier an der Schützallee einen sehr guten Standort, hier stehen wir seit fast 20 Jahren, und wir haben hier sehr viele Stammkunden", erläutert Joachim S. Der 79-jährige ist im Tannenbaumgeschäft schon ein alter Hase, „der kann gar nicht anders, als in dieser Jahreszeit Tannenbäume verkaufen", lacht sein beinahe 25 Jahre jüngerer Assistent Thomas. Die beiden kennen sich schon seit Jahren, allerdings „nicht nur von der Tanne. Im März und April machen wir den Ostermarkt, dann kommt der Spargel, die Erdbeere, die Heidelbeere, die Knopper-Kirschen, um dann mit der Kartoffel abzuschließen", erzählt Thomas. Ab Mitte Oktober wird es etwas ruhiger, doch dann laufen im Hintergrund schon die Vorbereitungen für die Tannenbäume. „Der Verkauf beginnt immer nach dem letzten Sonntag im November, dem Totensonntag, und damit kommen wir in diesem Jahr auf genau 30 Verkaufstage an der Tanne." Thomas B. legt vor allem Wert darauf, dass „unsere Tannen absolut nachhaltig sind, die kommen direkt aus Werder in Brandenburg und werden dort nur für Weihnachten gezüchtet." Der Werderaner Tannenhof hat dort an der Lehniner Chaussee am Ortsrand von Plessow eine Plantage von über 60 Hektar, auf denen Zehntausende Weihnachtsbäume wachsen. Faustformel: Eine Nordmanntanne braucht für zwei Meter gut 15 Jahre. Doch die Aufzucht von Weihnachtsbäumen ist nicht so einfach, wie man sich das vorstellt. Bevor die Jungpflanzen in den Boden kommen, müssen die Reste der vorherigen Bäume entfernt werden, und der Boden liegt dann erst mal für ein Jahr brach. Gedüngt werden die Flächen in Werder mit Dolomit-Kalk und organischem Dünger – meist aus den Ställen der Viehwirtschaft in Brandenburg. Das Anpflanzen der jungen Tannen ist tatsächlich Handarbeit, und diese Jungbäume müssen dann auch von Unkraut freigehalten werden, dem größten Feind einer jungen Tanne. Zum einen wird das mit einem extra höher gelegten Traktor erledigt, der „hochbeinig" die kleinen Weihnachtsbäume überfährt und sie mit einem Spezialgerät unkrautfrei hält. Ist das Unkraut schneller, muss auch der Werderaner Tannenhof auf konventionelle Unkrautvernichtungsmittel zurückgreifen, was allerdings nicht gleich die chemische Keule bedeute. Dennoch müsse ein Mindestmaß an Herbiziden eingesetzt werden, erklärt die Geschäftsleitung des Tannenhofs.
Die Aufzucht der Bäume hat ihre Tücken
Schon dieser kleine Einblick in die Aufzucht von Weihnachtsbäumen zeigt: Reich wird man mit der Aufzucht und dem Verkauf von Weihnachtsbäumen nicht. „Aber man kann davon leben", meint Tannenbaumverkäufer Joachim und fügt an: „Sonst würden wir das ja hier nicht machen." Die Preise sind seit Jahren stabil: „Einen gut gewachsenen Baum bekommt man schon für um die 50 Euro", sagt sein Assistent Thomas. Je größer der Baum, desto teurer, „aber am besten gehen die Bäume um zwei Meter Höhe für die Wohnung." Wer einen richtig großen Baum haben will, ist übrigens gut beraten, wenn er entweder ganz am Anfang der Saison auf den Platz kommt oder direkt zum Tannenhof nach Werder fährt und sich dort vor Ort den Baum aussucht. „Der größte Baum, den wir dieses Jahr hier direkt in Zehlendorf verkauft haben, war eine beinahe fünf Meter große Nordmanntanne. Die steht jetzt auf einer Dachterrasse in Berlin-Mitte und erfreut das politische Berlin am Bundestag", ist Thomas B. sichtlich stolz. „Allerdings haben wir eine Weile gebraucht, bis wir das Ding da oben und dann vor allem wirklich richtig gut vertäut hatten." So einen fünf Meter langen Weihnachtsbaum bekommt man schließlich nicht in den Fahrstuhl, sondern muss ihn über die Fluchttreppe hinaufschleppen. Dafür gibt es dann aber auch ein zusätzliches Trinkgeld.
Womit wir auch schon beim heiklen Thema Entlohnung von Weihnachtsbaumverkäufern sind. „Wir liegen hier genau beim Mindestlohn, also so etwas um die 10 Euro brutto", erzählt Thomas B. Der 53-Jährige weist aber sofort darauf hin, dass er für die gesamten Tage mit Dienst am Weihnachtsbaum „sozialversicherungspflichtig fest angestellt ist". Er beziehungsweise auch der Tannenhof zahlen die Beiträge zur Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung, „das ist ganz wichtig, dass ich bei solchen Jobs immer komplett versichert bin", bringt es Thomas auf den Punkt. Denn nach Weihnachten wird noch am 27. und 28. der Platz aufgeräumt, und danach geht Weihnachtsbaumverkäufer Thomas auch schon seinem neuen Job nach: Er ist für drei Tage Fachverkäufer für Feuerwerk. Silvester steht vor der Tür. Danach geht für den gelernten Versicherungskaufmann die Springerzeit munter ins Jahr 2020 über. Das heißt, hier mal ein Verkaufsjob während der weißen Wochen im Januar in einer der Berliner Shoppingmalls, da mal ein Promotion-Auftrag über Fasching oder auf dem Ostermarkt. Dazwischen wird dann immer beim Arbeitsamt geparkt, denn zwischen diesen Jobs besteht das Recht auf Arbeitslosengeld I. Liegt wieder ein Job an, kann man sich als Bezieher von Arbeitslosengeld I für die Tage der Beschäftigung beim Arbeitsamt abmelden, bis dann endlich im Frühjahr der Spargel kommt, was eine Festanstellung immerhin bis Ende September verheißt. Der Spargel kommt übrigens auch wieder aus Werder an der Havel. „Kaum ein Berliner hat auf dem Schirm, wie wichtig gerade für uns Handelsvertreter das Land Brandenburg als Arbeitgeber, oder besser: Verkäufer, ist. Von den Brandenburger Bauern, egal ob Wald- oder Landwirtschaft, leben nicht gerade wenige Familien in Berlin."
Was nicht verkauft wird, kriegt der Zoo
Doch jetzt geht es erst einmal in den Endspurt bei den Tannenbäumen. Und eine Frage beschäftigt Groß und Klein: Was passiert eigentlich mit den Tannenbäumen, die nicht verkauft werden? Da lacht Thomas B. „Das ist eine der beliebtesten Fragen überhaupt in diesem Geschäft. Und die einzig zulässige Antwort lautet: Die werden noch an Heiligabend an die Elefanten im Zoo verfüttert, zwinkert er mit den Augen. Was die Elefanten im Zoo und Tierpark an Weihnachten dann nicht wegfressen, wird geschreddert und auf der Plantage in Werder als Mulch ausgebracht, für die neu wachsendenden Tannenbäume. „Es gibt keinen besseren Dünger", lacht Thomas B. und zieht den nächsten Weihnachtsbaum durchs Transportnetz.