2020 wird ein Mondjahr, verkünden Astrologen. Bestsellerlisten künden zugleich von ernsthaften Zukunftsfragen. In Zeiten des großen Umbruchs sind Zukunftsforscher, Philosophen und Sci-Fi-Autoren gefragte Leute.
Lichtkugeln und Energiefelder, Energiepyramiden und Engelsseminare, Kartenleser und Astrologen. Die Branche boomt seit Jahren, Schätzungen gehen von jährlichen Umsätzen um die 30 Milliarden Euro aus. So viel scheint die Sinnsuche wert zu sein. Man braucht weder Trend- noch Zukunftsforscher zu sein, um der Branche weiter beste Wachstumsperspektiven vorauszusagen. In einer zunehmend unübersichtlichen Welt wollen Menschen zumindest ein bisschen Halt und Sinn im privaten Leben. Man weiß ja nie, ob nicht am Ende doch noch eines der vorausgesagten Weltuntergangsszenarien eintritt. Wobei die Wahrscheinlichkeit, dass die Welt untergeht, eigentlich eine Gewissheit ist, vorausgesetzt natürlich, dass die bislang bekannten Naturgesetze in den nächsten paar Milliarden Jahren weiter funktionieren.
Für die überschaubare nächste Lebensspanne hätte man aber schon gern etwas konkreter gewusst, was die Zukunft bringt. Das war schon immer so. Seit wir etwas über die Menschheit wissen, gehört irgendeine Variation von Glaskugel dazu. Der Mensch scheint das einzige Lebenswesen zu sein, das eine derartige Neugier auf das hat, was wohl die Zukunft bringt. Was wohl auch daran liegt, dass er im Grunde ein Wesen ist, das allem aktuellen Eindruck zum Trotz eigentlich in der Zukunft lebt. Oder korrekterweise: Unser Leben in der Gegenwart ist stark geprägt von dem, was wir in der Zukunft wahlweise erwarten, erhoffen oder befürchten – und unser Handeln heute danach ausrichten.
Das Blöde ist bekanntlich, dass Prognosen darüber schwierig sind, weil sie eben die Zukunft betreffen. Also jenes unbekannte Wesen, von dem wir gerne wüssten, was es bringt. Individuell mögen uns Horoskope aller Art die Ungewissheiten ein wenig erleichtern. Die Zunft der Wahrsager und Zukunftsdeuter hat jedenfalls über die gesamte Kulturgeschichte der Menschheit eine erstaunliche Überlebensfähigkeit gegen alle Anfeindungen bewiesen. Im Römischen Reich gehörten Vogel- und Eingeweideschauen zur Staatspraxis, Kaiser hielten sich Hofastrologen. Heutzutage erfreuen sich Astrologie und andere parawissenschaftliche Zünfte wachsender Nachfrage, auch wenn in der aufgeklärten Welt über die Qualität der Wahrsagerei in der Regel mit großer Leidenschaft und nicht selten mit einer gewissen Häme gestritten wird.
Das unbekannte Wesen Zukunft
Die Beschäftigung mit der Zukunft ist allerdings jenseits solcher Praktiken, die sich eher für ein Wettbüro eignen, eine ernstzunehmende Profession geworden. Zukunftsforscher gehen die Fragen mit eher wissenschaftlichen Methoden an. Trendforschung versteht sich als Kulturwissenschaft mit empirischen Methoden, die auf Grundlage einer breiten Datenbasis und ausgefeilter Methoden (darunter auch „Trend-Scouting") arbeitet. Diese Arbeit bezieht sich eher auf konkrete Alltagstrends, durchaus mit konkreten Ergebnissen. So konnte das „Zukunftsinstitut" (Frankfurt) bereits vor einem Jahrzehnt voraussagen, dass nach dem „Wellness"- ein „Selfness"-Trend zu erwarten sei, also dass nach dem Verwöhnen- und Gut-Gehen-Lassen ein Trend zur Arbeit an sich selbst folgt. Letztlich basiert die Methode im Kern darauf, aus der Vergangenheit auf die Zukunft zu schließen.
Die großen Umbrüche mit den Schlagworten Digitalisierung und Biotechnologien werfen aber sehr viel weitreichendere Fragen auf, die deutlich über ein persönliches Glückshoroskop oder die Frage nach Trends hinausgehen. Es sind eher die grundlegenden Fragen, die mit kräftigen und provokativen Schlagworten wie „Abschaffung des Menschen" diskutiert werden, also einem Untergangsszenario aus dem Inneren, im Gegensatz zu den bisherigen äußeren Szenarien wie Vulkanausbrüchen oder Invasion von Außerirdischen.
Auslagen in Buchhandlungen (so was gibt es tatsächlich noch!) halten fürs Weihnachtsfest den ganzen Zwiespalt parat: „Generation Weltuntergang", „Das Ende der Demokratie", „News Dark Age – Der Sieg der Technologie und das Ende der Zukunft" gefällig? Oder doch lieber praktische Ratgeber zur „Kunst des digitalen Lebens"? Oder als letztes Aufbäumen: „Schluss mit dem täglichen Weltuntergang"? Irgendwie scheint für jeden was dabei, übrigens in schön gedruckter Form, die uns heute so behaglich antiquiert vorkommt. Aber hat nicht seinerzeit die Erfindung des Buchdrucks mit zu einer totalen Umwälzung der bekannten Welt samt Unübersichtlich- und Orientierungslosigkeit beigetragen? Eine Erfindung ähnlich disruptiv für die damalige Gesellschaft wie es heute die Digitalisierung für den gesamten Globus ist.
Was also bleibt jenseits der Glaskugeln und Trendforscher? Die höchste Treffgenauigkeit haben ausgerechnet Sci-Fi-Autoren – und das haben ausgerechnet Zukunftsforscher ermittelt. Deren Begründung erscheint einleuchtend. Glaskugeln und ihre verwandten Arten mögen unter psychologischen Aspekten attraktiv sein. Ausgewiesene Experten haben oft einen Tunnelblick auf ihr jeweiliges Problem. Sci-Fi-Autoren müssen sich dagegen nicht mit allzu vielen Detailfragen befassen, könnten ihrer Fantasie freien Lauf lassen – und müssten dabei trotzdem eine in sich stimmige Welt entwerfen. Und tatsächlich haben Autoren im letzten Jahrhundert verblüffend genaue Szenarien entwickelt, die heute zur kaum noch hinterfragten Alltäglichkeit gehören. Der unzählige Male fest terminierte Weltuntergang hat sich dagegen – bislang zumindest – immer wieder vertagt.