Schöne neue Welt zwischen der Aussicht auf Unsterblichkeit oder dem Fall in die völlige Bedeutungslosigkeit. Jenseits von Scharlatanerie und Panikmache entwickeln Wissenschaftler Zukunftsszenarien.
Offensichtlich ist die Zukunft schon angebrochen, zumindest, wenn man Zukunft als das begreift, was danach kommt. Alles ist „post": post-faktisch, post-materialistisch, post-humanistisch, post-irgendwas. Das klingt beängstigend, wissen wir doch nicht, wo da dieses „post" abgeht. Und dann erklären uns noch einige das Ende der Zukunft schlechthin. Was aber auch nicht völlig neu ist. Bereits 1996 war die Serie „Star Trek: Voyager" in „Future’s End" angekommen.
Heute sind Cyborgs greifbare Realität, Algorithmen könnten Menschen für ziemlich überflüssig erklären, oder in einer Kombination aus KI und Biotech endlich den Durchbruch zur Unsterblichkeit schaffen. Bastelt der Homo sapiens an einer perfekten Zukunft, in der so etwas Unperfektes wie er selbst nur noch ein überflüssiger Störfaktor wäre? Je nachdem, wen man fragt, halten sich optimistische Technikgläubigkeit und pessimistische Zweifel die Waage.
Die einen setzen darauf, dass der technische Fortschritt alles lösen wird, von der Klimakrise bis zum Sieg über die Sterblichkeit. Die Kulturpessimisten haben dagegen bereits den Untergang des Menschen im Visier. Bemerkenswerterweise finden sich für viele der Annahmen durchaus nachvollziehbare Argumente.
Ernstzunehmende Beschäftigungen mit Zukunftsfragen spielen sich auf unterschiedlichen Ebenen ab und die Antworten fallen folglich unterschiedlich aus, je nachdem, ob man Naturwissenschaftler, Gesellschaftswissenschaftler oder Philosophen zu Rate zieht.
Michio Kaku hat bereits vor einem knappen Jahrzehnt „Unser Leben in 100 Jahren" skizziert. Kaku ist als theoretischer Physiker einer der Väter der berühmten Stringtheorie und bekannt geworden durch populärwissenschaftliche Veröffentlichungen, also alles andere als ein fantastischer Spinner.
„Homo Deus" oder bedeutungslos
Er setzt auf technologischen Fortschritt und prognostiziert: „Gegen Ende des 21. Jahrhunderts werden wir zu den Herren der Natur aufgestiegen und fähig sein, Objekte alleine durch Gedankenkräfte zu bewegen, Leben und Tod zu kontrollieren". Dabei mahnt er: „Wenn wir zu Herren der Natur werden, müssen wir auch zum Schützer der Natur werden". Michio Kaku sagt das völlig emotionslos mit Verweis auf Naturgesetze: „Wenn wir die Entropie (Unordnung, Chaos, Anm. der Red.) grenzenlos ansteigen lassen, werden wir von den Gesetzen der Thermodynamik zwangsläufig vernichtet werden." Sehr vereinfacht für Nicht-Physiker heißt das nichts anderes als: Wenn wir so weitermachen wie bisher, war’s das, und das schon rein aus Gründen der Naturgesetze.
Für Kaku ist das Stadium des Übergangs der derzeitigen („Typ 0") auf eine zukünftige („Typ 1") Zivilisation der „vielleicht wichtigste Übergang" in der Geschichte, der entscheidet, ob die Menschheit weiter blüht „oder ob wir an unserer eigenen Dummheit zugrunde gehen". Und die ist nach seiner Auffassung nicht zu unterschätzen. Die menschliche Natur habe sich „in den letzten 100.000 Jahren nicht grundlegend gewandelt".
Michio Kaku mag mit Leidenschaft der Wissenschaft verbunden sein, kennt aber ihre Grenzen und ihre Ambivalenzen, die ebenso Zerstörerisches wie Positives hervorbringt. Wissenschaft löst Probleme, schafft dafür aber andere – auf höherem Niveau. Treffender lässt sich kaum der Status quo in Sachen Digitalisierung und Biotechnologie beschreiben.
An diesem Punkt setzt auch Yuval Noah Harari an. Sein Bestseller „Homo Deus" (Der Mensch als Gott) beschreibt ebenso die Segnungen wie er die komplexen Risiken benennt. Und die macht Harari durch das Zusammenspiel der „doppelten Revolution" in der Informations- und der Biotechnologie aus. Diese Verschmelzung von Infotech und Biotech sind für ihn „die größten Herausforderungen, mit denen unsere Spezies je konfrontiert war". Was, so fragt er, wenn Algorithmen uns besser kennen als wir selbst? Sie müssten nicht perfekt sein, eben nur ein bisschen besser, und das nicht nur auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch in dem Bereich, den wir als höchst privat annehmen, beispielsweise bei der Partnerwahl.
Algorithmen berechnen Wahrscheinlichkeiten, und wenn sie das mit höherer Quote besser können als wir selbst – warum nicht ihnen die Entscheidung überlassen? Im Übrigen machen wir das längst und ganz freiwillig. Auf die Frage: „Wie geht es dir" brauche ich mich nicht mehr auf ein diffuses Gefühl zu verlassen, meine Smartwatch gibt schließlich verlässlichere Auskunft.
Harari treibt die Sorge um, dass Big-Data-Algorithmen den Menschen in die Bedeutungslosigkeit entlassen könnten. Nur: Verabschieden wir uns nicht bereits schleichend selbst, wie das eher harmlose Smartwatch-Beispiel nahelegt?
Für die „Quantified Self"-Bewegung ist das „Self-Tracking" längst der einzig wahre Weg zur Selbsterkenntnis. 2007 gegründet ist das schlichte Credo dieser „Selbstvermesser": Wenn ich genügend Daten über mich gesammelt und meine Apps diese ausgewertet haben, kann ich endlich die große Menschheitsfrage beantworten: „Wer bin ich eigentlich?". Kritiker sehen darin nichts anderes als wahlweise eine Ideologie – „Ich bin meine Daten" – oder einen hilflosen Religionsersatz. Harari fragt deshalb: „Ist Homo sapiens in der Lage, die Welt, die er geschaffen hat zu verstehen?"
Mit Info-und Biotech – so seine These – nähert sich der Mensch der Erfüllung uralter Menschheitsträume wie Unsterblichkeit. Aber: „Die gleichen Technologien, die Menschen zu Göttern erheben, können sie auch irrelevant machen". Solche Beschreibungen sind eine „Zukunft der Vergangenheit", also quasi eine Fortschreibung der Geschichte aus Erfahrungen der letzten Jahrhunderte. Als Historiker kennt Harari diese Falle und betont deshalb: „Die wirkliche Zukunft könnte ganz anders sein." Wir haben keine Vorstellung von dem, was 2050 in Europa oder der ganzen Welt sein wird, „noch nicht einmal, über welche Art von Körper die Bewohner verfügen".
Der Soziologe Armin Nassehi begibt sich erst gar nicht auf das glatte Eis von Zukunftsvorhersagen. Er stellt zunächst einmal nur die einfach klingende Frage: Für welches Problem bietet Digitalisierung eine Lösung? Eine neue Technologie kann sich schließlich nur derart schnell als Selbstverständlichkeit breitmachen, wenn sie auf entsprechende gesellschaftliche Basis stößt. Seine These: Digitalität setzt an einer immer komplexer scheinenden Welt an und macht die dahinter stehenden Muster deutlich. Weniger theoretisch: Wir bilden Gruppen und verhalten uns nach Mustern. Und diese Muster – so der Soziologe – erweisen sich als überaus stabil. Eine ziemlich überraschende Erkenntnis in einer Welt, die sich doch scheinbar in nie gekanntem Tempo aufspaltet, differenziert, unübersichtlicher wird.
Weder Panik noch Verharmlosung
Digitalisierung wäre somit eine „gesellschaftliche Kulturerscheinung", folglich gebe es weder Grund zur Panik – noch zur Verharmlosung.
Panik machen will auch Harari nicht, hält eine Skepsis aber für angebracht, wenn er beobachtet: „Wir haben das Gefühl, dass in einer solchen Welt unsere Identität, unsere Träume und sogar unsere Ängste irrelevant werden und dass wir nichts mehr dazu beizutragen haben."
Michio Kaku hält in dieser Situation Vernunft für das „kostbarste Gut in der modernen Gesellschaft".
Die jetzt lebende Generation sei schließlich „die wichtigste, die je auf Erden gelebt hat", denn sie entscheide, ob wir den nächsten Zivilisationssprung schaffen „oder in einen Abgrund stürzen".
Gemeinsam, egal aus welcher Richtung sie kommen, ist die Überzeugung: „Die Zukunft" kommt nicht einfach wie eine unvermeidbare Naturkatastrophe daher. Ob Michio Kakus optimistische Vision einer „Typ-1-Zivilisation" oder Yuval Noah Hararis skeptischer Blick auf den „Homo Deus" näher an der Entwicklung liegen, wissen wir naturgemäß erst im Nachhinein. Die Geschichte hat bislang gelehrt, dass keine solcher Vorausschauen in Reinkultur eingetreten sind. Irgendwie war nachher doch so gut wie alles anders. Was wiederum keine Garantie für die Zukunft ist.