Alles ist relativ. Kurz vor Weihnachten ist es eigentlich noch relativ zu früh, um sich ein Urteil über das ablaufende Jahr zu machen. Und ob es ein relativ gutes oder schlechtes Jahr war, liegt sowieso im Auge des Betrachters. Wenn ich den Tenor vieler Gespräche nehme, muss es jedenfalls ein gar fürchterliches Jahr gewesen sein.
Offen gesagt: Mir geht dieses permanente Genörgel auf den Keks. Keine Sorge, ich werde jetzt keine schönfärberische Liste aufmachen. Notorischer Optimismus liegt mir fern. Ganz im Gegenteil bin ich sehr für eine gehörige Portion Skepsis. Trotzdem versuche ich, wo immer möglich, die Flucht zu ergreifen, wenn mir einmal mehr erklärt wird, was da alles schief läuft. Das meiste davon ist ohnehin bekannt, und gerade deshalb tatsächlich auch umso ärgerlicher. Dem widerspreche ich auch nicht. Wo bei mir der Fluchtinstinkt einsetzt, sind Erklärungen über all das, was nicht geht.
Aus dem Land der Dichter und Denker ist ein Land der Wissenden aller Unmöglichkeiten geworden. Merkwürdig nur, dass andere schon mal ein ganz anderes Bild davon haben. Da reibt man sich durchaus die Augen über den gleichzeitigen Ausstieg aus Atom und Kohle. Andernorts fehlt der Mut, es wenigstens bei einem von beiden zu versuchen.
Dass ein derart gigantisches Projekt nicht reibungs- und folgenlos geht, es an vielen Stellen zunächst kracht, ist unvermeidlich. Aber statt einigermaßen selbstbewusst die Herausforderungen anzupacken, zerstreiten wir uns im vergeblichen Versuch, alles so hinzubasteln, dass es möglichst schmerzfrei erscheint. Und was für das in diesem Jahr vielleicht prominenteste Thema, die Klimadiskussion, gilt, lässt sich für so gut wie alle anderen Bereiche durchdeklinieren.
„Hier herrscht ganz überwiegend Mutlosigkeit. Krisenszenarien werden gepflegt", analysierte der Bundespräsident. Nicht der aktuelle, sondern Roman Herzog, vor mehr als 20 Jahren. Gegen die „unglaubliche mentale Depression" hielt er seine berühmte „Ruck-Rede". Sicher haben sich seither Herausforderungen verändert. Aber die Grundanalysen der Rede „Aufbruch ins 21. Jahrhundert" sind äußerst hellsichtig und aktuell. „Ich setze auf erneuerten Mut", betonte Herzog. Wer hält uns eigentlich davon ab, mehr Zuversicht zu wagen?