Bei Deutschlands einst zweitgrößtem Reisekonzern Thomas Cook gehen die Lichter aus. Knapp zwei Monate nach dem Insolvenzantrag herrscht für die Mitarbeiter traurige Gewissheit, dass alle Rettungsversuche gescheitert sind.
Schock für Hunderttausende Urlauber und Tausende Mitarbeiter am 23. September: Der britische Reisekonzern Thomas Cook ist pleite und hat seinen Betrieb eingestellt. Reisende aus Großbritannien sitzen im Ausland fest. Die Hiobsbotschaft trifft auch Urlauber aus Deutschland, die nicht wie geplant in die Ferien starten konnten. Die deutsche Tochter mit den Marken Thomas Cook, Neckermann, Öger Tours, Air Marin und Bucher Reisen stoppte zudem den Verkauf von Reisen. Zwei Monate wird in der Folge fieberhaft daran gearbeitet, das Reiseunternehmen doch noch irgendwie zu retten.
Am 21. November dann die Gewissheit: „Es wird keine Zukunft für Thomas Cook in Deutschland geben", schrieb das Unternehmen in einem Abschiedsbrief an Vertriebs- und Geschäftspartner. Der Veranstalterbereich mit den Marken Neckermann Reisen, Air Marin und Thomas Cook Signature wurde Ende November eingestellt. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erhielten die betroffenen Mitarbeiter die Kündigung. Dabei handelte es sich um weniger als die Hälfte der insgesamt etwa 2.100 Beschäftigten. Durch Verkäufe von Unternehmensteilen werde die Zukunft von mehr als 1.000 Mitarbeitern gesichert, hieß es.
Karstadt Kaufhof übernimmt Großteil der 120 Reisebüros
„Es ist ein trauriges Ende für Mitarbeiter und Kunden, denen wir keine Fortführungslösung im Ganzen bieten können", sagte die Geschäftsführerin der deutschen Thomas Cook, Stefanie Berk. Nach Angaben der vorläufigen Insolvenzverwalterin wurde nach dem Insolvenzantrag Ende September versucht, „unter hohem Zeitdruck eine Gesamtlösung für das Unternehmen zu finden. Das war eine Herkulesaufgabe", sagte Julia Kappel-Gnirs. „Es gab eine Vielzahl von Interessenten, aber viele sind vor der Größe des Unternehmens und den Kosten der Anlauffinanzierung zurückgeschreckt." Für Teile des Unternehmens gibt es Käufer. So übernimmt der Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof 106 der mehr als 120 Reisebüros der Oberurseler. Dadurch werden den Angaben zufolge mehr als 500 Arbeitsplätze in dem Bereich gesichert. Der türkische Reiseveranstalter Anex Tour erwirbt den Türkeispezialisten Öger Tours und den Last-Minute-Anbieter Bucher Reisen mit insgesamt 84 Mitarbeitern. Das Bundeskartellamt hatte Ende November grünes Licht für die Übernahmen gegeben.
An der Hotelmarke Sentido und der Reisebüro-Franchisemarke Holiday Land hatte Konkurrent DER Touristik Interesse, stieg aber Ende November aus den Verhandlungen aus. Interessenten gibt es den Angaben zufolge auch für die bekannte Marke Neckermann Reisen, die einst für Millionen Bundesbürger der Inbegriff von Pauschalreisen war. Verhandlungen laufen zudem für die nicht insolvente Call-Center-Tochter in Bochum mit etwa 500 Beschäftigten.
Die deutsche Thomas Cook war in den Sog der Pleite der britischen Mutter geraten und hatte am 25. September Insolvenzantrag gestellt. Der Veranstalter hatte alle Reisen abgesagt, auch wenn sie bereits ganz oder teilweise bezahlt worden waren. Der britische Verleger Thomas Cook gilt als Pionier der Pauschalreise. Er bot im Jahr 1841 die erste organisierte Zugreise für mehrere Hundert Teilnehmer an.
Für den Zeitraum seit dem Insolvenzantrag bis September 2020 gab es früheren Angaben zufolge insgesamt etwa 660.000 Buchungen. Die davon betroffenen Feriengäste sollten von Dezember an entschädigt werden. Klar ist bereits, dass die versicherte Summe bei Weitem nicht ausreicht und dass Geschädigte nur einen Teil ihrer Auslagen zurückbekommen.
Bundesregierung sagt Betroffenen Ausgleichszahlungen zu
Die Haftungssumme ist in Deutschland auf 110 Millionen Euro pro Jahr und Versicherung begrenzt. Dem Versicherer Zurich Deutschland zufolge sind allein bis 1. November Schadenmeldungen im Volumen von mehr als 250 Millionen Euro eingegangen. Hinzu kämen die Kosten für die Rückholung von Urlaubern, die zum Zeitpunkt der Insolvenz mit der deutschen Thomas Cook unterwegs waren.
Die Turbulenzen könnten auch ein Nachspiel für den Fiskus haben. Erste Anwälte bringen sich in Stellung. So hat die Kanzlei Mutschke aus Nordrhein-Westfalen nach eigenen Angaben Staatshaftungsklage gegen Deutschland wegen der Insolvenzabsicherung von Pauschalreisen beim Landgericht Berlin eingelegt. Die Kanzlei vertritt nach eigenen Angaben eine Reisende und will für diese Schadenersatz vom Staat. Die Anwälte werfen dem Gesetzgeber vor, geltendes EU-Recht nicht korrekt umgesetzt zu haben. Die EU-Richtlinie verpflichte die Mitgliedstaaten dazu, Pauschalreisenden im Falle einer Insolvenz des Veranstalters „vollumfänglichen Schutz" zu bieten. Das habe der deutsche Staat versäumt. Ähnlich argumentiert der Verbraucherschutzverein (VSV) aus Wien. In dessen Auftrag ist die Berliner Kanzlei Kälberer & Tittel tätig. Sie plant nach eigenen Angaben ebenfalls eine Staatshaftungsklage.