In Sachen kompromissloser Gesellschaftskritik wandelte der vor 130 Jahren geborene Kurt Tucholsky auf den Spuren Heinrich Heines. Auch dem bekanntesten Publizisten der Weimarer Republik diente die Satire dabei als schärfste Waffe.
Er war ein glühender Bewunderer Heinrich Heines, doch aus Bescheidenheit wollte er sich nie mit ihm auf eine Stufe stellen. Dabei zählt der vor 130 Jahren geborene Kurt Tucholsky zu den größten Satirikern deutscher Sprache gemäß seiner Mottosprüchen „Also was darf die Satire? Alles!" aus dem Jahr 1919 oder „Dreinhauen – aber mit Lachen" aus dem Jahr 1912. Die satirische Streitaxt nutzte der nur 1,67 Meter große Ur-Berliner, um zu einem der bestbezahlten und meistgelesenen Publizisten der Weimarer Republik aufzusteigen. Mehr als 3.000 Artikel entsprangen seiner Schreibmaschine, mit der er „eine Katastrophe aufhalten wollte", wie es Erich Kästner rückblickend 1946 trefflich formulierte. Tucholsky hatte schon früh vor der Macht einer rechten Halbwelt in den ersten Jahren der Weimarer Republik gewarnt und spätestens Ende der 1920er-Jahre geradezu prophetisch den Putsch der Nazis, deren aggressive Politik gegen Polen und sogar deren Bündnis mit der Sowjetunion vorhergesagt.
Ein besonderes Merkmal war Tucholskys literarische Vielseitigkeit. Er war nicht nur emsiger Journalist, sondern hat auch als Erzähler und Lyriker, Literatur- und Theaterkritiker mehr als 500 Buch-Rezensionen geschrieben, war begnadeter Briefeschreiber sowie Verfasser von Chanson-Texten oder kabarettistischen Liedern. Als einer der ersten hatte er die Bedeutung des Werks von Franz Kafka entdeckt. Und er war vieles in einer Person: Linksintellektueller, Melancholiker, Womanizer, Pazifist und Antimilitarist mit dem mehr als ein halbes Jahrhundert juristisch nachhallenden und im August 1931 niedergeschriebenen Satz „Soldaten sind Mörder". Als getaufter Jude, frankophiler Deutscher sowie vertriebener Heimatdichter saß er gesellschaftlich zwischen allen Stühlen. Ein wenig angenehmer Platz, den er auch politisch häufig einnahm, da er nicht nur gegen die rechten Nationalisten heftig austeilte, sondern gelegentlich auch seine linken Gesinnungsgenossen ob deren Laschheit im Kampf für die Bewahrung der Demokratie gnadenlos kritisierte. Selbst ein Teil des jüdischen Großbürgertums, dem er eine zu große Anbiederung an den deutschen Nationalismus vorwarf, bekam von ihm sein Fett weg: „Es ist nicht wahr, dass die Deutschen verjudet sind. Die deutschen Juden sind verbocht."
Gesellschaftlich saß er zwischen allen Stühlen
Der am 9. Januar 1890 in Berlin-Moabit geborene Kurt Tucholsky war der älteste Spross einer wohlhabenden jüdischen Aufsteigerfamilie. Den geliebten Vater Alex Tucholsky, einen jüdischen Kaufmann und Bankdirektor, verlor er bereits im Alter von 15 Jahren. Das gespannte Verhältnis zu seiner herrischen Mutter Doris wurde meist als erklärende Wurzel für sein später problematisches Verhältnis zu der Vielzahl von Frauen und Bett-Gespielinnen angeführt, deren emotionale Nähe er zeitlebens kaum lange ertragen konnte. Kein Wunder also, dass seine beiden Ehen mit der Ärztin Else Weil von 1920 bis 1924 und Mary Gerold von 1924 bis 1933 zum Scheitern verurteilt waren. Gerold erwarb sich aber nach dem Zweiten Weltkrieg große Verdienste um die Bewahrung des literarischen Erbes durch den Aufbau eines ersten Tucholsky-Archivs in Rottach-Egern.
Den Großteil seiner Kindheit verbrachte Tucholsky mit seiner Familie zwischen 1893 und 1899 in Stettin. Nach der Rückkehr nach Berlin wurde er 1899 am Französischen Gymnasium eingeschult, wechselte 1903 aufs Königliche Wilhelms-Gymnasium, das er 1907 verließ, um sich mithilfe eines Privatlehrers auf das 1909 bestandene Abitur vorzubereiten. Obwohl er schon 1907 durch Veröffentlichung seines den Kunstgeschmack des Kaisers parodierenden Erstlings „Märchen" in der Satire-Zeitschrift „Ulk" literarische Ambitionen offenbart hatte, nahm er doch im Herbst 1909 das Jura-Studium an der Universität in Berlin in Angriff. Doch spätestens seit sein Kurzroman „Rheinsberg – ein Bilderbuch für Verliebte" 1912 erschienen war, der für reichlich öffentliches Aufsehen gesorgt hatte, geriet das ursprüngliche Berufsziel Anwalt immer mehr ins Hintertreffen. Beide Werke sollten übrigens bei Rowohlt nach 1950 zu Bestsellern aufsteigen, wie überhaupt sich das Hamburger Verlagshaus 2011 durch die Herausgabe der 22-bändigen Tucholsky-Gesamtausgabe verdient machte.
Nachdem Anfang Januar 1909 sein erster Artikel in der von seinem Mentor und späteren Freund Siegfried Jacobsohn geführten „Schaubühne" erschienen war, war das Kapitel Juristerei für Tucholsky ad acta gelegt. Zumal er danach ab 1911 auch erste Beiträge für das sozialdemokratische Parteiorgan „Vorwärts" verfasste. Darunter erschien am 25. April 1911 seine erste politische Stellungnahme gegen die wilhelminische Zensur-Praxis überhaupt. Er verzichtete daher 1913 auf die anstehende juristische Staatsprüfung. Um dennoch einen Studienabschluss zu erhalten, schrieb er eine Dissertation zum Thema Hypothekenrecht und erhielt 1915 seine Promotionsurkunde. Dank des väterlichen Erbes in Höhe von 70.000 Mark, was damals einem mittleren Vermögen entsprach, konnte er die Studienjahre in vollen Zügen genießen und tief in das flirrende Nachtleben Berlins eintauchen. Auch ein Auslandssemester in Genf und ein Ausflug nach Prag zu Max Brod und Franz Kafka im September 1911 waren damit möglich.
Weltkriegserlebnisse ließen Tucholsky zum Pazifisten werden
Die große Zäsur sollte für ihn der Erste Weltkrieg werden, den er ab dem Frühjahr 1915 an der Ostfront fürchten lernte. Er konnte sich als Kompanieschreiber und Herausgeber der Feldzeitung „Der Flieger" zwar weitestgehend direkten kriegerischen Auseinandersetzungen fernhalten. Doch bereits von Anfang an war gleichzeitig kein Funken von Hurra-Patriotismus vorhanden. Vielmehr machte ihn das Erlebte zum überzeugten Pazifisten und Antimilitaristen. Das brachte er ganz drastisch in seinem Gedicht „Krieg dem Kriege" zum Ausdruck, erschienen im Juni 1919 im „Ulk". Nach Rückkehr von der Front im Jahr 1918 übernahm er die Chefredaktion der Zeitschrift und behielt sie bis Frühjahr 1920 bei.
Gleichzeitig begann er auch für die „Weltbühne" zu arbeiten, sorgte mit einer Antikriegs-Artikelserie „Militaria" oder der scharfen Verurteilung der zahllosen politischen Morde für helle Aufregung, wobei er für seine Beiträge diverse Pseudonyme zu verwenden pflegte. Zu den von ihm schon seit 1913 eingeführten Decknamen Ignaz Wrobel, Theobald Tiger und Peter Panter sollte 1918 auch noch Kaspar Hauser hinzukommen. Diesen Pseudonymen und seiner wirklichen Identität setzte er 1928 mit seinem Textsammelband „Mit 5 PS" ein literarisches Denkmal. Parteipolitisch sah er zwischen 1920 und 1922 seine Heimat bei der USPD, war danach kurze Zeit auch Mitglied der SPD, um Ende der 1920er-Jahre sogar Sympathien für die KPD zu bekunden.
Weil hohe Honorare gelockt hatten, hatte er 1920/1921 einige Monate sogar beim nationalistischen Propagandablatt „Pieron" angeheuert. Auch die einjährige Anstellung als Privatsekretär bei einem Berliner Bankhaus ab März 1923 dürfte vor allem der Geldbeschaffung gedient haben. 1924 wechselte er als Auslandskorrespondent von „Weltbühne" und „Vossischer Zeitung" nach Paris. Von diesem Zeitpunkt an war er bis zu seinem Lebensende nur noch sporadisch auf deutschem Boden zu Gast. Etwa, als er Ende 1926 kurzzeitig nach dem Tod von Jacobsohn die „Weltbühne" übernahm. Nachdem er 1927 seinen essayistischen Reisebericht „Ein Pyrenäenbuch" veröffentlicht hatte, 1928 ein Prozess wegen vermeintlicher Gotteslästerung in seinem Gedicht „Gesang der englischen Chorknaben" gegen ihn eingeleitet worden war und er 1929 seine ultimative Abrechnung mit den Zuständen im Reich unter dem Titel „Deutschland, Deutschland über alles" abgeliefert hatte, verlegte er seinen Wohnsitz endgültig ins Ausland – ins schwedische Hindas bei Stockholm.
1935 Selbstmord durch eine Überdosis Schlaftabletten
Von hier aus verfolgte er – in immer tiefere Resignation verfallend, verbunden mit schwerwiegenden Erkrankungen der Atemwege – die Entwicklung im Reich. Seit 1931 war er publizistisch verstummt. Denn: „Gegen einen Ozean pfeift man nicht an." Ausbürgerung und Verbrennung seiner Bücher nach Hitlers Machtergreifung konnten den politischen Propheten, der am 21. Dezember 1935 an einer Überdosis Schlaftabletten starb, wohl kaum mehr überraschen. Hatte er doch in einem Brief an seinen Schriftstellerkollegen Walter Hasenclever zwei Jahre zuvor so etwas wie eine letzte bittere Bilanz gezogen: „Ich glaube nicht, dass Hitler kippt. Warum auch. Europa sieht, wie gelähmt, zu, wie der neue Krieg vorbereitet wird."