Sie standen im Schatten ihrer männlichen Kollegen: Künstlerinnen im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Sie mussten sich oft privat ausbilden lassen und ihre eigenen Netzwerke gründen. Eine Schau in der Alten Nationalgalerie zeigt den „Kampf um Sichtbarkeit".
Es ist nicht sonderlich groß, das Ölgemälde „Kopf eines alten Mannes" von Pauline Lehmaier. Yvette Deseyve, Kuratorin der Ausstellung in der Alten Nationalgalerie „Kampf um Sichtbarkeit. Künstlerinnen der Nationalgalerie vor 1919" weist auf die tiefsinnige, fast meditative Ausstrahlung des Gesichts hin und spricht über die Künstlerin Pauline Lehmaier, deren Werk dem der männlichen Kollegen ihrer Zeit in Nichts nachsteht, aber über die nur wenig bekannt ist. Eine Frau, deren Werk maltechnisch so überzeugte, dass es von der Nationalgalerie angekauft wurde, aber die Jahreszahl des Ankaufs um 1908 nur vermutet werden kann. Eine vergessene Malerin?
Ein Schicksal, das Pauline Lehmaier mit zahlreichen Künstlerinnen ihrer Zeit teilt, deren Bilder oder Skulpturen bislang im Depot verborgen waren. In der Alten Nationalgalerie hat man jetzt Werke aller hier vertretenen Künstlerinnen erstmalig gemeinsam ausgestellt – 100 Jahre, nachdem Frauen offiziell ein Kunststudium an der Berliner Kunstakademie aufnehmen durften. Das Motto der Schau macht deutlich, dass eine solche Sichtbarkeit teilweise auch heute noch erkämpft werden muss. Das erklärt sich schon aus zwei Zahlen. Rund 4.000 Werke von Künstlern des 19. Jahrhunderts hat die Alte Nationalgalerie in ihrem Bestand – dagegen gerade 80 Werke von Künstlerinnen der Zeit.
Aufwendig sei die Vorbereitung der Ausstellung gewesen, betont Kuratorin Yvette Deseyve. Gerade weil die Informationen über die Werke selbst aber auch über die Künstlerinnen so lückenhaft seien, habe man wie bei einem Puzzle manche Werksgeschichte aus unterschiedlichsten Quellen recherchieren und zusammensetzen müssen. Und manch wichtiges Detail in Zeitungsartikeln gefunden. Zudem mussten die Werke selbst sorgfältig gereinigt, teilweise bearbeitet, ausstellungsfähig gemacht werden – hatten sie doch all die Jahre im Depot verbracht. Von der aufwendigen Restaurierung bis hin zur Erneuerung eines Rahmens: „Die Ergebnisse machen Lust auf die Neu- und Wiederentdeckung der Künstlerinnen", sagt Ralph Gleis, Leiter der Alten Nationalgalerie, die zu den Staatlichen Museen zu Berlin gehört.
Einfach sichtbar zu sein – diesen Anspruch hatte auch die Malerin Paula Monjé. Sie schenkte der Nationalgalerie zwei Bilder. Im März 1905 formulierte sie in einem Brief an Hugo von Tschudi, den damaligen Direktor die „… freundliche Bitte, ein paar Bilder ausruhen zu lassen, und die meinen mal wieder an ein bescheidenes Plätzchen zu stellen …". 1911 untermauerte sie ihre Bitte mit einem zweiten Schreiben „… damit ich bei meinen Lebzeiten doch wenigstens den moralischen Erfolg noch genießen könne". Aber erst jetzt ist das Gemälde „Deutsches Volksfest im 16. Jahrhundert" aus dem Jahr 1883 wieder öffentlich zu sehen.
Ein weiteres Bild „Männer am Kamin" von Paula Monjé wird in dem Themenbereich der Ausstellung „Verlust: verschollen – verloren – vergessen" gezeigt. Auch Monjé geriet über Jahre in Vergessenheit. Ein Studium an einer Kunstakademie blieb ihr verwehrt. Unter anderem auch, weil man Frauen die Fähigkeit zu künstlerischer Tätigkeit und Kreativität lange noch bis ins 20. Jahrhundert hinein nicht zutraute. Außerdem galt es als unschicklich, dass Frauen an den für die Ausbildung künstlerisch notwendigen Aktstudien teilnahmen.
Künstlerische Freiheit in Paris
Fielen Frauen durch ihre Werke im vorwiegend männlichen Kunstbetrieb des 19. Jahrhunderts auf, wurden ihre Leistungen mit denen der männlichen Kollegen verglichen und mit Formulierungen wie „… malt wie ein Mann" kategorisiert. Zugänge zu Stipendien blieben ihnen mehrheitlich verschlossen. Wollten Frauen dennoch eine künstlerische Laufbahn einschlagen, mussten sie sich privat ausbilden lassen, Umwege in Kauf nehmen und sich letztlich eigene Plattformen schaffen, Vereine gründen, sich zu „Damen-Akademien" zusammenschließen.
Diejenigen, die sich hier zusammenfanden, vereinte der Anspruch, über die Qualität ihrer Arbeit definiert und anerkannt zu werden. Talent, Ehrgeiz und Können, Courage und Konsequenz, aber auch günstige Umstände und Förderer verhalfen ihnen schließlich dazu, dass ihre Werke trotz der fehlenden akademischen Abschlüsse in die Sammlungen der Nationalgalerie gelangten.
Paula Monjé gehörte zu den Künstlerinnen, die sich für eine private Ausbildung entschieden. Sie unternahm Studienreisen und ging nach Paris. In Paris zu leben – das bedeutete für Künstlerinnen freie künstlerische Entwicklung und persönliche Freiheit. Paula Modersohn-Becker, Maria Slavona und Sabine Lepsius beispielsweise schwärmten während ihres Paris-Aufenthaltes von den dortigen Entwicklungsmöglichkeiten.
Folgerichtig trägt auch ein Bereich der Ausstellung in der Alten Nationalgalerie den Titel „Pariser Freiheit" und zeigt Werke von insgesamt 15 Künstlerinnen. Darunter Käthe Kollwitz mit der Bronze „Liebespaar II" (1913) aber auch weniger bekannte Bildhauerinnen und Malerinnen wie Julie Genthe mit „Büste meines Vaters" sowie Frederike Emilie Auguste O’Conell mit dem „Frauenbildnis". Beide Objekte mussten – ebenso wie viele andere in der Schau – akribischer, restauratorischer Kleinarbeit unterzogen werden. Zuständig dafür waren unter anderen Skulpturenrestauratorin Alexandra Czarnecki und ihre Kollegin Kerstin Krainer von der Gemäldeabteilung. Die beispielsweise mit einer abgebrochenen Schulter und einer fehlenden Nasenspitze bei der Marmorbüste zu kämpfen hatten. Auch hier seien umfangreiche Recherchen Grundlage für die Restaurierung gewesen, sagt Czarnecki. Alle Maßnahmen wurden in einer ausführlichen Dokumentation festgehalten. Darin nimmt die Entstehungsgeschichte eines Werkes ebenso einen wichtigen Platz ein wie Analysen zu Farbverwendungen und Maltechniken. So konnten die Expertinnen unter anderem herausfinden, dass Frederike O’Conell bei dem „Frauenbildnis" mehrfach die Hände übermalt hatte.
Majestätisch präsentiert sich Otto von Bismarck in Carrara-Marmor im Themenbereich der Ausstellung „Ausnahmetalente". Gearbeitet von Elisabeth Ney, einer Frau, die es mit Willensstärke und Durchsetzungskraft zu einer bedeutenden, international anerkannten Bildhauerin schaffte. Auch ihr verwehrte man zunächst den Zugang zur Berliner Akademie der Künste. Durch Beharrlichkeit jedoch erreichte sie, dass sie eine Ausbildung in der Werkstatt von Christian Daniel Rauch absolvieren konnte. Ohne Auftrag, quasi auf eigene Kosten, schuf sie Büsten von Persönlichkeiten wie Bismarck, Jacob Grimm und Ludwig II. Diese Arbeiten brachten ihr Bekanntheit sowie künstlerische und gesellschaftliche Anerkennung. Elisabeth Ney gehörte zu einigen wenigen Künstlerinnen, die von ihrer Kunst leben konnten. Vielen blieb der Erfolg versagt. Aber es gab Männer, die Künstlerinnen förderten – Wilhelm II. persönlich protegierte die Malerin Vilma Parlaghy, deren Kaiser-Porträt zum Bestand der Nationalgalerie gehört. Der Berliner Mäzen James Simon beauftragte die Bildhauerin Tina Haim-Wentscher nicht nur mit der Kopie der Nofretete, sondern er schenkte der Nationalgalerie eine Bildnisbüste der Künstlerin. Gekoppelt an die Bedingung, das Werk solle stets sichtbar sein.