Ein strammes Arbeitsprogramm: Im neuen Jahr stehen in Deutschland wichtige Entscheidungen an, die im vergangenen vorbereitet wurden. Es könnte das Jahr der Kanzlerin werden, wenn sie noch die Kraft dazu hat. Ihre Interessen richten sich aber wohl eher Richtung Europa.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz wird gern eine gewisse hanseatische Sprödigkeit nachgesagt, doch der 61-Jährige hat Humor. Einen ganz besonderen Humor. Die Pointe seines Witzes macht seine Zuhörer öfter mal zu „Spätzündern": Man versteht den Witz mitunter erst einen Tag später. Herrlich zu beobachten war dies bei der letzten Sitzung des Bundesrats vor Weihnachten. Die Landesfürsten sind im Vorfeld der Zusammenkunft in festlicher Stimmung, auf dem Paket des Plenarsaales gibt es morgens ein großes Hallo. Jeder wünscht jedem nur das Beste für die kommenden Feiertage und das anstehende neue Jahr. Nur einer steht abseits – beziehungsweise wird vor allem von seinen eigenen Genossen mit Missachtung gestraft: Olaf Scholz. Der SPD-Mann nimmt dies mit einem vielsagenden Grienen zur Kenntnis, setzt sich schließlich mutterseelenallein auf die Regierungsbank in der Länderkammer und studiert seine Unterlagen. Die kennt er natürlich eh auswendig, aber was will man machen, wenn keiner mit einem plaudern will. Dumm rumstehen ist nicht die Sache des Bundesfinanzministers. In seiner anschließenden Rede zum Klimapaket vor der Länderkammer freut Olaf Scholz sich dann, dass der Bund in der Mehrwertsteuerfrage für die Bahntickets mit den mächtigen Ministerpräsidenten der Länder noch eine Regelung gefunden hat. Die 16 Landesfürsten können sich über circa 1,5 Milliarden Euro zusätzlich vom Bund freuen.
In diesem Kompromiss steckt auch schon der erste kleine Scholz-Spaß. Keiner der Damen und Herren Ministerpräsidenten weiß in diesem Augenblick, warum sich der Bundesfinanzminister so mit ihnen freut, was sie in ihren Landeshaushalten 2020 zusätzlich verbuchen können. „Die Aufteilung des Geldes ist nun in der Evaluierungsphase", kommentiert ein sächsischer Regierungsmitarbeiter gegenüber FORUM. Sachsen hat übrigens dem Klimapaket nicht zugestimmt. „Evaluierungsphase" heißt: Jetzt wird erst mal ausgehandelt, wer was zu erwarten hat. Aber die Bundesregierung hat schon mal ihr Klimapaket bekommen. Der sächsische Beamte bringt es auf den Punkt: „Da haben die zustimmenden Ministerpräsidenten und -innen die Katze im Sack gekauft".
Der Humor des Olaf Scholz
Keine 24 Stunden später ließ Scholz die zweite große Pointe raus. Er schlägt vor, gut 2.500 Städte und Gemeinden in Deutschland von jetzt auf sofort, „als eine Art Stunde null der Kommunen" zu entschulden. Es geht vor allem um Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Dabei will der Finanzminister, den mutmaßlichen finanziellen Kollaps dieser überschuldeten Gemeinden verhindern. „Wenn man 2500 von mehr als 11.000 Kommunen helfen möchte, damit dort wieder Schulen, Kitas und Schwimmbäder saniert oder neu gebaut werden können, geht das nur, wenn es keine Eifersucht gibt." Diesen neuen Anlauf hätte Olaf Scholz den Länderchefs auch in der letzten Bundesratssitzung des Jahres direkt vorschlagen können, aber da wollte ja keiner so gern mit ihm plaudern. Dafür konnten die Länderchefs es dann am nächsten Tag in der Zeitung lesen. Es geht um eine Summe von 40 Milliarden Euro, die Hälfte davon, so Scholz, würde der Bund übernehmen, die andere dann die betroffenen Länder. Der Vorschlag ist so neu nicht. Aber jetzt könnte man dann gleich die abgemachten 1,5 Milliarden Euro aus dem Bahnticket-Mehrwertsteuerausgleich mit den betroffenen Ländern verrechnen. In Hessen, dem Saarland, Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz hat man für diese Art von Humor nur bedingt Verständnis. Aber der Finanzminister legte damit seinen Finger in eine weit offen klaffende Wunde, die das ganze Jahr 2019 immer und immer wieder gerade aus den Regionen aufgerufen wurde. Die Bürgermeister aus dem Saarland fuhren deswegen im April geschlossen noch Berlin: Völlig überschuldete Gemeinden und Städte, wo von ausgeglichenen Lebensverhältnissen keine Rede sein kann. Und mit seinem Vorschlag hat der Bundesfinanzminister dann gleich die politische Agenda für das Jahr 2020 vorgegeben.
Für Uwe Brandl, den Präsidenten des Städte- und Gemeindebundes und Bürgermeister aus dem niederbayrischen Abendsberg, droht neben den drückenden Schulden einzelner Kommunen eine weitere, für die Zukunft ebenfalls nicht zu unterschätzende Gefahr: „Städte und Gemeinden, denen es jetzt noch gut geht, drohen binnen kürzester Zeit digital abgehängt zu werden, durch eine Zweiklassen-Digitalisierung", sagte Brandl. Er spielt damit auf die Ankündigung der Bundesregierung vom vergangen Herbst an, dass es ein flächendeckendes 5G-Netz in Deutschland nicht geben wird. Man will erst in fünf Jahren lediglich den jetzigen LTE-Standard (4G) „funklochfrei" realisiert haben. Doch auf politischer Ebene streitet man derzeit lieber, ob der chinesische Huawei-Konzern beim 5G-Ausbau dabei sein darf oder nicht. Auch für den Präsidenten des Landkreistages Reinhard Sager wurde hier viel kostbare Zeit verschenkt. „Auf diese Weichenstellungen wollen und dürfen wir nicht länger warten. Es muss was bei der ganzen Operation herauskommen – ein Mehrwert, der die Menschen vor Ort ganz konkret erreicht".
Weitere Großbaustellen bei den Entscheidungen 2020 ist der Kohleausstieg. Der wurde zwar im letzten Sommer im Grundsatz bis spätestens 2038 beschlossen, aber das entsprechende Ausstiegsgesetz dazu lässt weiterhin auf sich warten. Je früher die Steinkohlekraftwerke abgeschaltet werden, desto mehr Entschädigung erhalten die Betreiber. Das ist aber nur eine Absichtserklärung. Denn solange die Verhandlungen um die Braunkohle nicht abgeschlossen sind, kann das gesamte Ausstiegsgesetz für Braun- und Steinkohlekraftwerke nicht beschlossen werden. Daran hängen nun aber auch die Milliardenhilfen für die Braunkohleabbauregionen. Die Hilfs-Milliarden gibt es nur mit einem Ausstiegsplan in einem Gesetz, nicht nach und nach. Damit werden die betroffenen Länder wohl noch eine Weile auf das erhoffte Geld warten müssen. Damit nicht genug, auch das nicht minder komplizierte Klimapaket muss nun in diesem Jahr per Gesetz aufgegleist werden. Egal ob Kohleausstieg, Entschuldung der Kommunen oder Klimapaket: Für alle diese Aufgaben braucht man neue Gesetze und Verordnungen. Jedes diese Gesetzesvorhaben ist eine Sisyphos-Aufgabe für sich. Und das sind nur die derzeit dringend zu erledigen Aufgaben im Inland. Daneben gibt es noch die Auswirkungen des Handelskriegs zwischen USA und China, den US-Boykott von Nord Stream 2 und nicht zuletzt den anstehenden Brexit. Bis Ende des Jahres muss ein neues Freihandelsabkommen her und das wird die deutsche Außen- und Europapolitik im Wesentlichen bestimmen. Denn ab Juli übernimmt Deutschland für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft. Ab spätestens dann laufen die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit dem Königreich jenseits des Kanals auf Hochtouren. Ein Freihandelsabkommen in nur elf Monaten zu stemmen, kann man getrost ambitioniert nennen. Die Verhandlungen zum schlussendlich abgesagten TTIP-Freihandelsabkommen mit den USA haben mehr als 20 Jahre gedauert.
Für Angela Merkel ist das eine Chance, sich auf den letzten Metern ihrer Kanzlerschaft noch mal richtig ins internationale Licht zu setzen. Weiterer Vorteil: Sie kann sich damit den anstehenden Mühen der innenpolitischen Etappe und dem vorprogrammierten Ärger mit Ländern, Gemeinden, Bauern, Kraftwerksbetreibern oder Klimaschützern wunderbar entziehen.