Brexit, Nahost, Endphase der Merkel-Ära, US-Wahl: 2020 hat es in sich
Wo bleibt das Positive?", fragte einst der Schriftsteller Erich Kästner. Beim Blick auf das heraufziehende neue Jahr ist es – zumindest in der Politik – schwierig, Aufhellungen oder Lichtpunkte zu entdecken. Man kann sich allenfalls mit fernöstlicher Weisheit trösten. Das chinesische Schriftzeichen für Krise besteht aus zwei Teilen. Der eine Teil bedeutet Gefahr, der andere Chance. Krisen oder krisenhafte Erscheinungen gibt es 2020 genug.
Da ist zunächst der (noch) unvollendete Brexit. Zwar hat das britische Unterhaus die mehrmals abgeschmetterte Gesetzesvorlage über den EU-Austritt endlich durchgewunken. Aber die eigentliche Herausforderung kommt noch. Das Freihandelsabkommen zwischen Großbritannien und Brüssel muss bis zum 31. Dezember 2020 von allen Parlamenten abgesegnet sein. Andernfalls gibt es doch noch einen ungeordneten Brexit. Dann würden wieder Zölle eingeführt, in den beiden Handelsräumen würden unterschiedliche Standards gelten.
All dies wären zusätzliche Bleigewichte für Unternehmen. Hunderttausende Arbeitsplätze würden wegfallen. Experten im Außenministerium in Berlin warnen: Im Durchschnitt sind vier bis fünf Jahre für die Konzipierung eines Freihandelsvertrags nötig. Die Einhaltung der Frist bis zum 31. Dezember sei fast nicht zu machen.
Im Nahen Osten wird die Lage noch explosiver. Im März finden in Israel Neuwahlen für das Parlament statt. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vom nationalkonservativen Likud ist zwar wegen Korruption angeklagt worden, doch an der tiefen Spaltung des Landes in einen religiös dominierten und einen säkularen Block ändert dies nichts.
Welche Seite auch immer gewinnt: Die Sicherheit steht an erster Stelle. Der Schutz gegen Terrorattacken und Angriffe von außen hat oberste Priorität. Die Lösung des Konflikts mit den Palästinensern ist im Lichte der neuen regionalpolitischen Konstellation in weite Ferne gerückt. Israel und Golfstaaten wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate sehen sich durch den Iran bedroht. Jerusalem beobachtet mit großem Misstrauen, wie schiitische Milizen im Libanon, in Syrien, im Irak und im Jemen durch das Mullah-Regime bewaffnet werden. Israel gerate dadurch ins Visier von immer präziseren Raketen, befürchten viele.
Israelis wie Araber eint die Sorge vor einer Wiederauflage des iranischen Atomwaffen-Programms. Die Iraner fühlen sich durch den Ausstieg der Amerikaner aus dem Nuklearabkommen verraten. Präsident Hassan Rohani hatte sich nach Inkrafttreten des Vertrags 2015 einen Wegfall der Sanktionen und einen wirtschaftlichen Aufstieg seines Landes erhofft. Doch die immer schärferen Strafmaßnahmen der Vereinigten Staaten gegen Teheran schrecken viele Firmen weltweit ab, Geschäfte mit dem Iran zu machen. Sie wollen den US-Markt nicht verlieren.
Der iranischen Wirtschaft geht dadurch immer mehr die Luft aus. Die Regierung Rohani versucht, die EU unter Druck zu setzen, damit europäische Unternehmen weiterhin Handel mit dem Iran treiben. Sie reichert Uran immer höher an – und schürt dadurch in der Region Ängste vor iranischen Kernwaffen. Klar ist aber auch: Israel wird nicht akzeptieren, dass der Mullah-Staat über Atombomben verfügt. Damit steigt das Risiko einer militärischen Auseinandersetzung.
Deutschland präsentiert sich derweil als Rumpel-Republik. Der Politik ist der Kompass abhandengekommen. Es fehlt an großen Zukunfts-Ideen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat nur noch ein Ziel: Sie will sich mit dem EU-Ratsvorsitz in der zweiten Hälfte 2020 ein goldenes Schleifchen in den Geschichtsbüchern verdienen. In der Endphase der Ära Merkel loten die Parteien Chancen zwischen Schwarz-Grün, Rot-Rot-Grün, „Kenia"-, „Simbabwe"- oder „Jamaika"-Koalitionen aus. Es herrscht viel Nervosität, wenig Klarheit und noch weniger Konzeption.
Das Datum, auf das die ganze Welt starrt, ist der 3. November. An diesem Tag wird der Republikaner Donald Trump wiedergewählt, oder ein demokratischer Kandidat zieht ins Weiße Haus ein. Bekommt Trump eine zweite Amtszeit – und einiges spricht angesichts der Schwäche der demokratischen Anwärter dafür –, würden Konfrontationsdenken, Nationalismus und Protektionismus in Amerika zunehmen. Es hieße noch mehr Unberechenbarkeit in der globalen Politik.