Von der nächsten Schüssel Guacamole hängt für viele der Weltfrieden ab
Vor Kurzem beim Einkaufen mit meinem Fünfjährigen: Ob er nicht noch nach einem Spielzeugauto schauen dürfe, wollte mein Sohn wissen. Klar, sagte ich, wohl wissend, dass es mit Schauen nicht getan sein würde. Aber diesen Euro und ein paar Zerquetschte konnte man investieren, dachte ich.
Warum er denn immer nur etwas für so wenig Geld haben dürfe, wurde ich plötzlich gefragt. Dass er sich mit dem Wörtchen „immer" schon eine Antwort gegeben hatte, merkte mein Sohn nicht. Auch mit dem Argument, dass es seine Idee war, nach einem Auto zu schauen und wir, streng genommen, nur Waschmittel und kein Spielzeug hatten kaufen wollen, konnte er wenig anfangen.
Nicht dass man mich falsch versteht: Ich liebe meinen Sohn, ich kreide ihm dieses scheinbar unersättliche Konsumverhalten nicht an. Als Vater habe ich schließlich einen Anteil daran. Außerdem ist er ein Kind, das sich – man mag es kaum glauben – kindisch verhalten darf.
Doch auch wir Erwachsenen wollen – Achtung, Kulturkritik! – irgendwie immer mehr von dem, was wir nicht haben. Unsere Frustrationsschwelle sinkt mit der gleichen Geschwindigkeit, mit der unsere Ansprüche steigen. Die Situation droht doch schon zu eskalieren, sollte der Supermarkt mal keine essreifen Avocados vorrätig haben. Denn, richtig: Von der nächsten Schüssel Guacamole beim Nachbarschaftsfest hängt der Weltfrieden ab. Mindestens.
Verzicht ist keine Option. Ach, was sage ich. Nicht einmal die Erhaltung des Status quo duldet man. Es muss immer mehr sein. Okay, das ist das kleine Einmaleins des Kapitalismus. Mitunter frage ich mich jedoch, ob wir uns dieser Wachstums-Geilheit bewusst sind und sie akzeptieren oder ob wir gehirngewaschen dahindümpeln. Der Primat des Wachstums manifestiert sich auch sprachlich. „Null-Wachstum". Schon mal gehört? Ein Widerspruch in sich! Juckt aber keinen. Hört sich besser an als Stagnation oder Stillstand, denn der, haben wir verinnerlicht, ist der Tod.
Mit der mangelnden Fähigkeit, zu verzichten, verlieren wir auch eine gewisse Gelassenheit. Wer verzichten kann, dessen Kopf explodiert zumindest nicht, wenn er – halten Sie sich fest – ganze 5 (in Worten: fünf) Tage auf eine Amazon-Lieferung warten muss. Wir denken mittlerweile ernsthaft, wir hätten ein Anrecht darauf, uns das neueste Gadget zu bestellen, das dann gefälligst am nächsten Werktag (warum eigentlich nicht sonntags?!) in unsere Hände zu übergeben ist.
Apropos Übergeben: Vielleicht ist mangelnde Verzichtfähigkeit auch der Grund, warum die Übelkeit erregenden „Diskussionen" zwischen Diesel-Verfechtern und E-Auto-Enthusiasten derzeit so befremdlich anmuten. Auf die Idee, einfach weniger mobil zu sein, Fahrten zu bündeln, weniger Kreuzfahrten und Flugreisen zu machen, kommt keiner. Zumindest kein Angehöriger dieser Gruppen. „Das wollen sie einem nun auch noch nehmen", hört man dann. Wer auch immer „sie" sind. Man verliert sich lieber in Details, statt über die Sache an sich zu sprechen.
Ich bin kein Experte, aber ich behaupte: Wer gar nicht fährt, schadet der Umwelt weniger. Egal ob man E-Autos oder Diesel zum Vergleich heranzieht. Aber wir wollen das weiche Polster, auf dem wir uns betten, nicht verlassen. Einen schicken Diwan tauscht man halt ungern gegen die Zweisitzer-Couch aus dem Möbel-Discounter. Als würden wir unser Gesicht verlieren. Die Frage ist nur: vor wem?
Mein Vorschlag: Damit es uns beim nächsten Mal leichter fällt, auf die kalifornische Avocado zu verzichten, wenn das aufmüpfige Supermarktpersonal das Regal noch nicht wieder rechtzeitig aufgefüllt hat, überdenken wir doch einfach kapitalismuskonform unsere Sprache. Sagen wir nicht: „Es gab keine Avocados." Sprechen wir doch lieber von einem „Negativ-Angebot". Das ist ein bisschen wie Angebot, aber eben das Gegenteil. Wir müssen nur noch ein wenig blöder werden. Dann glauben wir den Mist vielleicht selbst. Aber ich habe das Gefühl: Wir sind da auf einem guten Weg. Glücklicherweise. Denn Stillstand ist der Tod …