Das Klimapaket der Bundesregierung ist nichts anderes als eine Mogelpackung. Das sagt jedenfalls der Volkswirtschaftler Prof. Dr. Joachim Weimann.
Er plädiert für eine einheitliche CO2-Steuer oder einen erweiterten Zertifikatehandel.
Bis 2050 soll die Republik klimaneutral sein, das ist das erklärte Ziel der Bundesregierung. Doch Fachleute bezweifeln, ob dieses Ziel überhaupt erreicht werden kann. Schon 2020 wird das Ziel verfehlt, die CO2-Emissionen um 40 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 zu senken. Voraussichtlich werden es nur 32 Prozent sein. Das jüngst beschlossene Klimapaket soll das ambitionierte Ziel voranbringen, der Kompromiss im Bundesrat erhöht zudem den CO2-Preis. Dem Ökonom Joachim Weimann geht dies aber nicht weit genug. Er bezeichnet das Paket als versteckte Steuererhöhung.
Wieso bezeichnen Sie die Klimapolitik der Bundesregierung als desaströs?
Gute Klimapolitik muss dafür sorgen, dass wir für unser Geld so viel CO2-Einsparung bekommen wie möglich. Das geht nur, wenn man dort vermeidet, wo die Kosten am niedrigsten sind. Das nennt man dann kosteneffiziente Klimapolitik. Die kann man nur dann erreichen, wenn man entweder eine einheitliche CO2-Steuer erhebt oder den Emissionshandel einsetzt, der einen CO2-Preis produziert. Beides hat die Bundesregierung nicht gemacht. Das in aller Hast und mit Mühe zusammengestellte Klimapaket ist im Prinzip ein Sammelsurium von über 60 nationalen Einzelmaßnahmen. Der Begriff der Kosteneffizienz kommt nicht vor. Die Maßnahmen sind wenig untereinander abgestimmt, also wenig sektorenübergreifend zwischen Strom, Wärme und Verkehr, nicht international sprich EU-weit angelegt, bevorzugen oder belasten einzelne Technologien, leisten Vorschub zur weiteren Verschwendung von Ressourcen, gehen zulasten von Landschaft, Natur und Artenschutz. Wir machen einfach weiter so wie bisher. Der Emissionshandel, den die Regierung angeblich einführt, ist keiner. Faktisch handelt es sich um eine Erhöhung der Energiesteuer. Ich bin maßlos enttäuscht. Dabei hätten wir in Deutschland gute Chancen gehabt, wirksam etwas für den Klimaschutz zu tun.
Welche Chancen wären das denn gewesen?
Die Stimmung für einen echten Wechsel in der Klimapolitik in Deutschland ist gegeben. Vor der Verabschiedung des Klimapakets war die Politik guten Willens, endlich umzusteuern und auf kosteneffiziente Instrumente zu setzen. Das haben zahlreiche Gespräche im Vorfeld gezeigt. Außerdem sind die Voraussetzungen günstiger denn je. Wir haben in Deutschland 20 Jahre Erfahrung mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz und 14 Jahre mit dem Emissionshandel. Deshalb wissen wir, dass das EEG nicht funktioniert hat und dass der Emissionshandel sehr erfolgreich war. Aber dieses Wissen ist im Klimapaket nicht angekommen. Die Faktenlage um den Klimaschutz wurde von der Politik schlicht ignoriert. Stattdessen versteckt sich jede politische Partei in ihrer ideologischen Nische, verliert sich in Details und verunsichert obendrein Bürger und Wirtschaft. Mit rationaler Klimapolitik hat das alles wenig zu tun.
Wie sieht die wahre Faktenlage Ihrer Meinung nach denn aus?
Es fängt schon an mit den Begrifflichkeiten. Unter Energiewende verstehen die meisten den Ausbau der regenerativen Energien mit Sonne, Wind und Co. So soll der Anteil der erneuerbaren Energien bis 2030 auf rund 65 Prozent am Strommix in Deutschland steigen. Der Strommarkt macht aber nur circa 20 Prozent des gesamten Energieverbrauchs aus. Der weitaus größte Teil geht in den Wärmemarkt und in den Verkehrssektor. Außerdem sollten wir bei den Zahlen ein wenig ehrlicher sein. Wenn es heißt, wir hätten in diesem Jahr bereits einen Anteil von fast 40 Prozent erneuerbarer Energien am Strommix, dann sollte man auch sagen, dass davon ein erheblicher Anteil exportiert wird. Bei nüchterner Betrachtung decken Wind und Sonne gerade einmal fünf bis sechs Prozent unseres Energiebedarfs. Und dafür zahlen wir jährlich über 25 Milliarden Euro allein an Einspeisevergütung. Die CO2-Einsparung, die wir dafür bekommen, ist im Vergleich zu der, die der Emissionshandel zustande bringt, äußerst gering.
Kritiker sagen auch, Strom aus Atomkraft und Kohle wäre mit über 570 Milliarden Euro subventioniert worden. Die externen Kosten wie Entsorgung des Atommülls sind dort noch nicht eingepreist.
Die Atomkraft spielt in der gegenwärtigen Debatte überhaupt keine Rolle. Es geht um den Vergleich zwischen dem Emissionshandel und dem EEG. Die Frage ist: Was ist das bessere Instrument, um Klimaschutz zu betreiben? Der Emissionshandel hat 2017 die Menge von 577 Millionen Tonnen CO2 gegenüber 2008 eingespart und dabei lagen die Kosten pro Tonne bei sieben Euro. Das EEG hat im gleichen Jahr 32 Millionen Tonnen eingespart und die Kosten lagen bei 290 Euro die Tonne. Das ist der entscheidende Vergleich. Was früher einmal in die Atomenergie oder die Kohle gesteckt worden ist, ist dabei völlig irrelevant.
Und was schlagen Sie vor?
Es gibt zwei Königswege zu kosteneffizienter Klimapolitik. Erstens, die Einführung einer einheitlichen CO2-Steuer, mit der jede Tonne CO2 besteuert wird, gleichgültig wo sie emittiert wird. Die Energiesteuer ist de facto eine CO2-Steuer, aber sie ist nicht einheitlich. Bei Diesel beträgt sie über 200 Euro pro Tonne CO2, bei Benzin über 300 Euro und bei Heizöl gerade einmal 28 Euro.
Zweiter Weg, und das ist klar mein Favorit: der Emissionshandel. Er funktioniert und die Emissionen werden über die Menge gesteuert, die Regierung legt das sogenannte Cap – die Menge – fest. Sie kann das Cap schrittweise begrenzen und so kontinuierlich die CO2-Emissionen reduzieren. Alle Industrien bekommen CO2-Zertifikate und können diese am Markt frei handeln. Der Markt entscheidet, wer CO2 vermeidet, wo CO2 vermieden wird und mit welcher Technologie. Die Preisbildung erfolgt endogen und wird nicht von einer Regierung festgelegt. Dass dieses System gut funktioniert, zeigt die Praxis. Inzwischen gibt es weltweit 27 Emissionshandelssysteme. Wie eben schon gesagt: Der Emissionshandel in Europa hat viel CO2 vermieden und dabei wenig gekostet. Das EEG hat wenig CO2 vermieden und viel gekostet. Wenn man den Emissionshandel auf weitere Länder ausdehnt, kann man ihn sogar mit einer wirksamen Entwicklungspolitik verbinden.
Inwiefern?
Ärmere Länder werden kostenlos mit Emissionsrechten ausgestattet, die sie dann an die Industriestaaten verkaufen können. Mit den Einnahmen können sie wiederum in effiziente Techniken investieren. Insgesamt würden die Emissionen weltweit sinken, es ginge gerechter zu, und es würden neue Marktchancen entstehen. Die Kosteneffizienz rückt dabei in den Mittelpunkt. Diese Chance hat die Bundesregierung in ihrem Klimapaket einfach verpasst. Die stufenweise Besteuerung von fossilen Brennstoffen gemäß Klimapaket ist nichts anderes als eine Steuererhöhung durch die Hintertür. Die Politiker sagen das natürlich nicht gern, schließlich wollen sie alle paar Jahre wiedergewählt werden.
Aber die Zeit läuft uns davon. Wie lange bleibt uns denn noch?
Fakt ist: Wir haben derzeit nicht die Technologien, mit denen man gleichzeitig komplett aus der fossilen Energieerzeugung aussteigen und unseren Wohlstand bewahren kann. Was wären ab 2050 die Konsequenzen bei steigender Bevölkerungszahl? Wir müssten Verzicht üben, bei Wohlstand, sozialen Errungenschaften. Die Alternative: Wir entwickeln neue Technologien. Andere Länder tun das intensiv. Wir entscheiden uns, überall auszusteigen, bringen wenig voran, handeln bürokratischer denn je und protestieren gegen alles. Das ist nicht hilfreich. Wenn wir alle so weitermachen wie bisher, wird es zu einer Entscheidung zwischen Wohlstand und Klima kommen. Ich gehe davon aus, dass es aufgrund der Problematik der CO2-Emissionen zu einer Renaissance der Atomkraft kommen wird, sicher nicht mit der altbekannten Reaktortechnik, aber durch neue Techniken oder Fusionsreaktoren. Das wäre in Deutschland derzeit allerdings unvorstellbar.