In Tirol wird geforscht. Man versucht künstlichen Schnee kostengünstig herzustellen – mit Neuschnee aus der Wolkenkammer und einem Freiluftlabor.
Wir wollten es ausprobieren. Es hätte ja was sein können", sagt Werner Hanselitsch, Geschäftsführer der Bergbahnen von Obergurgl. Im Sinne von etwas Günstigem, Gutem. Und so schafften sie in Obergurgl Platz für die „Wolke", die statt körnigem Schneekanonenschnee fluffigen Neuschnee produzieren soll. Die hochtechnische Wolkenkammer sollte mit einem Kubikmeter Wasser etwa das Achtfache einer konventionellen Schneekanone rieseln lassen. Und wäre somit sowohl ökologisch – weniger Strom und Wasser – als auch ökonomisch – weniger Geld – ausgesprochen interessant für Skiorte. Ischgl etwa gibt pro Winter rund zehn Millionen Euro für die Beschneiung aus.
Technischen Schnee kostengünstiger herzustellen, dazu wird in Tirol geforscht und ausprobiert, mit Neuschnee aus der Wolkenkammer und einem Freiluftlabor. In jenem Wolken-Ballon mit drei Meter Durchmesser wuchsen „richtige Schneekristalle", wie Michael Bacher von der Uni Wien versprochen hatte. Das funktionierte mit Wassernebel, der gefror. Seilbahnchef Hanselitsch, dunkelhaarig, fescher Zwirbelschnauzer, ist Philosoph und Ethnologe, er promovierte über Tod, Seele und Jenseits. „Ich hätte Taxifahrer werden können. Oder halt was mit Onlinemarketing." So kam er zu den Seilbahnen, weil es da auch moderne Berufe gibt. Die Wolke war dann doch nichts. Absurderweise auch deshalb, weil sie tatsächlich Pulverschnee produzierte, der aber taugt nicht zum Skifahren. Jedenfalls nicht für Pisten, lässt sich schlecht komprimieren, hält den Kanten der Carverski nicht Stand.
Eine kleine Begriffsklärung: Aus Schneekanonen kommt kein Kunstschnee, wie es früher hieß, sondern eine Mischung aus Wasser, gefrorenem Wasser und Luft. Kunstschnee, dem etwas beigemischt wird, ist in Deutschland und Österreich verboten und rieselt in den Alpen nur in der Schweiz. Die Methode aus den USA heißt Snowmax und bedient sich des Eiweißes des abgetöteten Bakteriums Pseudomonas syringae. Daran kristallisiert Wasser auch noch bei fünf Grad plus zu Graupel.
In Österreich und Deutschland darf nichts beigemischt werden
Bakterien im Schnee, auch wenn sie abgetötet sind, das klingt nicht schön. Aber Chemie-Studenten der Uni Innsbruck forschten weiter und kamen darauf, dass jenes Eiweiß auch in Johannisbeeren enthalten sein könnte. Sie schütteten Ribiselsaft – so heißt das in Österreich – ins Wasser zum Schneemachen, und es funktionierte: Wasser kristallisierte daran. Bislang wird es noch nicht verwendet, aber wer weiß. Die benötigte Menge an Saft wäre allerdings gering, man würde nicht auf rosa Schnee fahren.
Die Kunden erwarteten perfekte Pisten, sagt Hanselitsch, aber schätzten sie nicht. So sei die Möglichkeit, gute Bedingungen schaffen zu können, zu einer Bürde geworden. Früher hatte man für die schlechte Schneelage ein paar Gras-und-Stein-Ski im Keller. Heute werden Ski nicht mehr zerkratzt. Pisten sind perfekt präpariert. Wegen des immensen Aufwands werden die Lifttickets immer teurer – wodurch wiederum die Erwartungshaltung der Gäste steigt. Ein Teufelskreis.
Ein Zurück scheint nicht möglich. Hanselitsch sagt, man habe die Verantwortung für hundert Familien, weil alle vom Wintersport leben. Das Argument ist stichhaltig – aber es wird anderswo auch für den Braunkohlebergbau angeführt. Ein anderer Seilbahnbesitzer im Ötztal polterte einmal, es müsse aufhören, dass Städter den Menschen in den Alpen vorschreiben, wie sie zu leben hätten. Doch wem gehören die Alpen? Gehören sie nur denjenigen, die dort wohnen? Gilt es nicht, ein Erbe der Menschen zu schützen?
Die Krux liege darin, dass Skigebiete als Natur angesehen würden, dabei seien diese „touristische Industriegebiete". Das sagt Michael Rothleitner, der ehemalige Chef der Mayrhofener Bergbahnen. Rothleitner – lange schwarze Locken, goldener Ohrring – leitet das Tiroler Schneezentrum. Dort versuchen sich Tiroler Seilbahnen, Unternehmen und Forschungseinrichtungen an der „ökologischen und ökonomischen Optimierung des Pistenmanagements." Sprich: Geld zu sparen.
Es mache keinen Sinn, Skigebiete gleichzustellen mit Natur, fordert Rothleitner. Dann müsse man auch fragen, wo der Alpenraum aufhöre und ob man im Inntal, das mitten durch die Alpen führt, eine Autobahn bauen dürfe. Und fügt an: „Was machen wir schon? Wir verwenden Wasser und Strom, um Leute Berge runterrutschen zu lassen." Wasser und Strom: Um beschneien zu können, werden Speicherteiche gebaut. In Tirol 200 Stück. „Aber es geht ja nichts verloren", sagt Rothleitner. „Das Wasser fließt von den Bergen in den Inn, dann in die Donau und ins Schwarze Meer."
Skigebiete sind „touristische Industriegebiete"
Skifahren sieht sich der Kritik von Umweltschützern ausgesetzt. Zu Recht. Andererseits: Wer im Winter zu einer Kreuzfahrt in die Karibik fliegt, lässt den ökologischen Fußabdruck des Skifahrers wie die Spuren eines Schneehuhns aussehen.
Rothleitner sagt, draußen im Flachland habe man Chemie in den Bach geschüttet, „wir in den Bergen haben Pisten in den Hang gewalzt. Man dachte eben, die Eingriffe würden sich nicht auswirken." Heute sei die Sensibilität für die Umwelt größer, der Plastikmüll im Meer mache betroffen, „aber das ist weit weg. Doch die Alpen sind uns nah, auch den Menschen in Deutschland. Deshalb soll nun hier bei uns exemplarisch etwas geändert werden."
Die Gesellschaft sei aufgerufen, Modelle auch für Dörfer und nicht nur für urbane Zentren zu entwickeln, fordert er und sagt: „Wir beschneien, aber ihr stinkt uns mit den 38-Tonnern das Inntal zu." Gerade so, als würde in Tirol niemand etwas im Internet bestellen, was dann in zuhinterst gelegene Täler geliefert wird.
In einem Freiluftlabor in Kühtai untersuchen Rothleitner und seine Kollegen vom Schneezentrum „die Zusammenhänge von Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit, Düsen, Druck". Eine Methode, die hier gut sei, funktioniere vielleicht in St. Anton nicht so gut. Und natürlich denkt man auch im Schneezentrum über neue Lifte nach, „neue Skigebiete" nennt man es nicht. Da geht es auch um Gletscher, und Rothleitner sagt: „2100 wird es in den Alpen keine Gletscher mehr geben – warum dürfen wir sie dann jetzt nicht zum Skifahren nutzen?"
Tirol leistet sich – wie alle österreichischen Bundesländer – den Posten eines Landesumweltanwalts, „zur Vertretung der Interessen der Tiroler Natur und Umwelt". Johannes Kostenzer, Biologe und Umweltanwalt, wird oft als Verhinderer bezeichnet. Wir treffen uns – auf der Skipiste in Kühtai. Kostenzer sagt: „Warum soll der Mensch nicht Skifahren? Das ist nicht die Frage. Nur ob er überall Skifahren muss? Die Skigebiete gibt es jetzt. Aber heute weiß man mehr als damals, als man sie gebaut hat."
„Die Alpen haben mehr Wert als nur den wirtschaftlichen", sagt der Tiroler. Und erzählt von einem Skitag mit einem Liftbetreiber. Der habe mit dem Skistock auf steile Hänge gezeigt und immer nur gesagt: Da könnte man noch einen Lift bauen, da ginge noch eine Piste. Der Mann kam aus dem Paznauntal, und Kostenzer sagt, er konnte ihn verstehen: „Dessen Eltern haben noch gehungert. Die Tiroler waren so arm, die wussten nicht, wie sie durch den Winter kommen." Daher rühre wohl oft das sture Festhalten am Wachstum der Wintersportgebiete.
„Die Alpen haben mehr Wert als nur den wirtschaftlichen"
Natürlich sei es sinnvoll, die Beschneiung effektiver zu machen, sagt Kostenzer. Aber das Problem sei komplex, wenn etwa in schneearmen Wintern lange beschneit wird und dafür Wasser aus dem Tal heraufgepumpt wird. Denn das habe eine andere mineralische Zusammensetzung, und das habe Einfluss auf das Gras im Sommer. Denn wenn es auch oft heiße, Skipisten seien im Sommer die grünsten Ecken überhaupt, bestätige das nur, dass der Bewuchs nicht der natürliche ist.
Er sei kein Feind von Skigebieten, sagt der Umweltanwalt. In der Zusammenarbeit erreiche man viel. Und wenn es heißt, dass die Gletscher ohnehin verschwinden, kann man da dem Argument nicht auch folgen, dass man bis dahin darauf Skifahren könnte? Kostenzer schiebt die Skibrille nach oben, um zu sehen, ob diese Frage wirklich ernst gemeint war. Er sagt: „Das ist ein Fatalismus, den ich nicht teile."