Beim Festival „Hellas Filmbox" in Berlin können auch bei der diesjährigen Ausgabe reichlich Entdeckungen gemacht werden. Im Wettbewerb treten Erst- oder Zweitfilme griechischer Regisseurinnen und Regisseure an – dazu gibt es Kurzfilme, Dokus und Experimentelles.
Es sieht zunächst nach einem entspannten Ferientrip aus – Elena, die mittlerweile in Frankreich lebt, reist im Herbst 2015 für ein paar Tage mit Freunden auf die Insel Lesbos – dorthin, wo sie als Kind ihre Sommer verbrachte. Schnell allerdings lernt der Zuschauer, dass die junge Frau, die gerade ihre Mutter verloren hat, längst nicht ihren Schmerz verarbeiten konnte. Da helfen auch die Aufmunterungsversuche ihrer Freunde Nassim und Sekou (Franzosen mit maghrebinischen beziehungsweise afrikanischen Wurzeln) ebenso wenig wie Ausflüge an den Strand oder mit dem Quad über die Insel. Als das Trio den syrischen Flüchtling Elyas kennenlernt, entschließt sich Elena, diesem bei der Suche nach der in Athen vermuteten Mutter zu helfen. Was zu Auseinandersetzungen und Konflikten zwischen den vier Protagonisten führt. Bis sie beginnen, die eigene Vergangenheit und Identität zu hinterfragen und dabei feststellen, dass sie trotz aller Unterschiede vieles gemeinsam haben.
„Meltem" – so heißt der Film von Basile Doganis, dessen Titel sich auf den gleichnamigen starken Wind und auf eine starke Frau, die Vorfahrin der Protagonistin, bezieht. Deutschlandpremiere feiert der Streifen Mitte Januar im Rahmen des Festivals „Hellas Filmbox". Er tritt hier im Wettbewerb „Emerging Greeks Competition" an. Sie sei stolz auf die diesjährige Filmauswahl, sagt Festivalleiterin Sofia Stavrianidou. Als weitere Beiträge im Wettbewerb treten unter anderen der düstere „Greek weird wave"-Thriller „The Waiter" an, neben der griechisch-japanischen Filmoperette „Persephone", wo in einem skurrilen Hostel-Setting die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen. Insgesamt sind sechs Filme zu sehen, eine deutsch-griechische Jury – Mitglied ist Wieland Speck, der langjährige Leiter der Berlinale-Sektion „Panorama" – entscheidet über den Gewinner.
Bereits zum fünften Mal bringt „Hellas Filmbox" Spielfilme, Dokumentationen und Kurzfilme überwiegend griechischer Filmschaffender nach Berlin und hat sich inzwischen als Anlaufstelle gerade für junge Regisseurinnen und Regisseure etabliert. „Wir haben für die Festivalausgabe 2020 rund 100 Bewerbungen bekommen", erzählt Stavrianidou stolz. Gut ein Drittel der eingereichten Filme werden nun zwischen dem 15. und 19. Januar im Kino Babylon gezeigt.
Griechenland im Film nahezu unbekannt
Angefangen hatte alles 2015, als Sandra von Ruffin und Asteris Kutulas beschlossen, den Negativschlagzeilen über die Wirtschafts- und Schuldenkrise in Griechenland etwas entgegenzusetzen. Und sich dafür entschieden, ein Filmfestival aus der Taufe zu heben, das gerade in Deutschland den Blick junger Filmschaffender auf ihr Land zeigen und so für ein differenzierteres Bild Griechenlands im Ausland sorgen sollte. Mittlerweile unterstützen das griechische Kulturministerium sowie das Griechische Filmzentrum (GFC) das Festival, das pro Ausgabe rund 2.500 Besucher zählt – darunter auch immer wieder prominente Gäste wie Volker Schlöndorff oder Costas Gavras. In den vergangenen fünf Jahren konnten etwa 280 griechische Filme in Berlin gezeigt werden – vom Drama bis zum experimentellen Format.
Es sei vollkommen klar, dass der griechische Film in Deutschland ein Nischenprodukt sei, aber es gehe auch nicht darum, Massen in die Filmvorführungen zu locken, sagt Stavrianidou. Vielmehr sei „Hellas Filmbox" mit einem Marktplatz der Ideen und Sichtweisen vergleichbar, Besucher könnten hier Neues entdecken oder sich andere Perspektiven aufzeigen lassen. Das funktioniert auch, weil es um die Filmvorführungen herum eine ganze Reihe weiterer Veranstaltungen gibt. Nicht nur bei den Wettbewerbsfilmen stehen die Filmemacher im Anschluss Rede und Antwort, berichten über ihre Motivation, die Entstehung ihrer Projekte und Besonderheiten bei der Produktion. Wie beispielsweise bei der Dokumentation „Irving Park" von Panayotis Evangelidis, die in der LGBT-Sektion des Filmfestivals gezeigt wird. Dabei geht es um vier Homosexuelle im Chicago der 1960er-Jahre in der SM-Szene. Im Anschluss findet eine Podiumsdiskussion zum Thema LGBT im griechischen Film statt. Das Thema „Gender Matters" hat Festivalleiterin Stavrianidou mit einem Fragezeichen versehen. Denn gerade in Griechenland seien Frauen in der Filmbranche extrem unterrepräsentiert, vor allem in den besser bezahlten und prestigeträchtigeren Jobs.
Miteinander diskutieren sollen daher griechische und deutsche Filmemacherinnen und Festivalorganisatorinnen unter anderem über die Frage, ob denn Gleichberechtigung am Arbeitsplatz nach wie vor ein Thema sei und welche Erfahrungen Frauen in der Filmbranche diesbezüglich gemacht haben.
Ein Drittel der Filme stammt von Frauen
Immerhin, gut ein Drittel der Filme im diesjährigen Programm von „Hellas Filmbox" sei von Frauen, heißt es von den Organisatorinnen, die deswegen auch das Festivalmotto „Feminine, sunny and blue" ausgerufen haben. Sofia Stavrianidou schmunzelt. Damit beziehe man sich auch auf den Eröffnungsfilm „Winona", der vom Regisseur The Boy aka Alexandros Voulgaris stammt. Er kommt erst einmal wie ein leichter unbeschwerter Sommerfilm über vier Freundinnen daher. Vier Girlies am Strand mit ihren Neckereien und Spielchen scheinen aber hinter der sorglosen Fassade ein Geheimnis zu verbergen. Gedreht wurde auf Kodak-16-Millimeter-Film an einem Strand der griechischen Insel Andros. Den Soundtrack lieferte The Boy gleich selbst zusammen mit Miss Trichomi, einige Titel werden die beiden am Eröffnungsabend des Festivals performen.
Vom Thriller über Beziehungsgeschichten bis hin zu einer Satire auf einen überambitionierten Lokalpolitiker, der dem Frauenschwund in seinem Städtchen mit skurrilen Methoden Abhilfe schaffen will – „Hellas Filmbox" wird eine knappe Woche die ganze Bandbreite griechischen Films in Berlin vorstellen. Mit einem heiteren Beitrag zum Ausklang – dann nämlich steht Marianna Economous Dokumentation mit dem Titel „When Tomatoes met Wagner" über ein kleines Dorf und den Anbau von Biotomaten auf dem Programm.