Ein Grenzstein weckte die Neugier von Bernd Hartmann. Er fing an, sich mit Heimatgeschichte und vor allem der Historie des Klosters in Wadgassen zu beschäftigen – und fand einiges heraus.
Dass Bernd Hartmann mal unter die Historiker gehen würde, hätten bis vor einigen Jahren wohl nur wenige gedacht – und am wenigsten er selbst. Schlug das Herz des Diplom-Verwaltungsbetriebswirts doch seit seiner Kindheit für den Sport. Als er damals, als 14-Jähriger, seine Ausbildung bei der Deutschen Bundesbahn begann, trat er dem Eisenbahnsportverein Saarbrücken bei. Über viele Jahre, in denen er sich beruflich über die Eisenbahn-Fachschule fleißig weiterbildete, betreute er Sportveranstaltungen, wurde Bezirksjugendsportwart und errang mit den Lehrlingen der Bundesbahndirektion Saarbrücken, nach dreimaligem Erfolg, endgültig den begehrten Wanderpokal beim Bundesjugendsporttreffen der Deutschen Bundesbahn.
Dazu baute er bereits als 19-Jähriger im ATV Dudweiler eine erfolgreiche Leichtathletikabteilung auf, wo er als Aktiver alle Ämter, vom Trainer bis zum Pressewart, selbst erledigte. Beim 1. LC Sulzbach erkannte man gleich seine Fähigkeiten für die Jugendarbeit, schickte ihn zur Sportschule zur Trainerausbildung beim Saarländischen Leichtathletik-Bund (SLB) und setzte ihn im Trainerstab von Diplom-Sportlehrer Manfred Wagner ein. „Mein sportliches Motto lautete: ‚Der Schüler soll besser werden als der Meister, erst dann darf der Meister zufrieden sein‘", erzählt der pensionierte Bundesbahnbeamte mit hörbarer Freude in der Stimme. Als er nach seiner Heirat 1969 nach Wadgassen-Werbeln zog, baute der heute 76-Jährige den örtlichen Trimm Club und die Tischtennis-Gemeinschaft auf, die er 23 Jahre lang als Vorsitzender führte. Auch in der TTG lag ihm besonders die Jugendarbeit am Herzen, bei der er tatkräftig von seiner Ehefrau Christa unterstützt wurde. Dieses Engagement machte sich bezahlt; denn seit seinem Rückzug als Funktionär der TTG, wird die Vereinsführung meist von seinen ehemaligen „TT-Kindern" weitergeführt. Auch die Pressearbeit machte ihm viel Freude, die er für mehrere Vereine übernahm.
Doch 2005 erlitt der durchtrainierte und schlanke Tausendsassa einen Herzinfarkt. „Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Ich hatte gerade angefangen, mich in die AH-Abteilung beim Tennis Club Werbeln reinzuknien. Und dann ein Herzinfarkt!" Der verantwortungsvolle Familienvater und stolze Opa eines quirligen Enkels hörte schweren Herzens mit dem Sport auf.
„Was es mit dem wohl auf sich hat?"
Er unternahm fortan lange Spaziergänge durch den Wald. Und auf einem seiner Wege entdeckte Bernd Hartmann einen alten Grenzstein. „Was es mit dem wohl auf sich hat?", fragte er sich und fing mit kleineren Nachforschungen an. Er durchstöberte sein Bücherregal nach entsprechender Lektüre, fragte bei Heimatforschern nach, telefonierte ein bisschen rum, suchte im Internet und fand schließlich Erstaunliches heraus. Nämlich, dass der Grenzstein etwas mit dem ehemaligen Kloster in Wadgassen zu tun haben musste. Nun war sein Forscherehrgeiz geweckt und der Grundstein gelegt für sein neues Spezialgebiet: die Heimatforschung im Allgemeinen und die Abtei Wadgassen im Speziellen.
Aus vielen Quellen ergab sich schließlich folgende Erkenntnis: Im Jahr 1120 gründete Norbert von Xanten (1080 – 1134) den Orden der Prämonstratenser, dem auch die alte Abtei Wadgassen angehörte. Diesem Kloster verdankt letztendlich der Ort Wadgassen seine Entstehung. Die kirchliche Nachfolgeorganisation der Abtei Wadgassen (1135 – 1792) ist die heutige Pfarrei Maria Heimsuchung. Weiter fand er heraus, dass der letzte Wadgasser Abt, Jean Baptiste Bordier, als Pastor im französischen Villing tätig war und während der Französischen Revolution nach Prag ins Kloster Strahov fliehen musste.
Als dann 2014 die 800-Jahr-Feier in Werbeln anstand, wollte Bernd Hartmann möglichst viel Neues über das Kloster, seinen letzten Abt und vor allem über einen gewissen Ritter Reiner von Werdorf erkunden, der im Jahre 1214 in das Kloster konvertierte und mit einer Schenkung für die Ersterwähnung Werbelns sorgte. Das war wieder ein Fall für Bernd Hartmann; denn es hieß von Ritter Reiner, dass man nicht wisse, wo er herkam und wo er hinging.
„Ich schrieb einen Brief an die Deutsche Botschaft in Prag und fragte, ob sie mir einen Kontakt zum Kloster Strahov vermitteln könnten. Ab 2014 stand ich dann mit dem Archivar des Klosters, Bruder Dr. Sidlowsky, in regem Austausch. Er erzählte mir, dass er noch neun Kartons voll mit Unterlagen aus dem Kloster Wadgassen gefunden habe, in denen sich unbearbeitete Schriftstücke befänden." Der organisatorische Ehrgeiz von Bernd Hartmann war geweckt. „Irgendwie müssen wir doch eine Studien- oder Pilgerfahrt nach Prag hinbekommen. Ich habe den Ortsvorsteher Heribert Schiffer angesprochen, verschiedene Professoren und Historiker, die über die Regionalgeschichte forschen, das Bistum Trier und interessierte Bürger aus der Gemeinde Wadgassen und Umgebung. Sogar ein Geschichtsinteressierter aus dem lothringischen Villing und eine Familie aus Münster/Westfalen kamen angereist."
Aktuelle Erkenntnisse zu Ritter Reiner
Im vergangenen August machte sich dann unter Leitung von Bernd Hartmann die rund 50-köpfige Delegation aus Heimatforschern, Kunst- und Kulturinteressierten auf den Weg nach Prag. Mit dabei waren auch der Wadgasser Pastor Peter Leick, Jonas Binkle, Mitarbeiter der Saar-Uni, Prof. Dr. Peter Burg (Uni Münster), Historikerin Theresia Hager und Ehemann Reinhold Hager, ein ehemaliger Lateinlehrer aus Völklingen und Prof. Dr. Joachim Conrad, evangelischer Pfarrer. Seine Wirkungsstätte, die Martinskirche Köllerbach, gehörte von 1223 bis 1575 zur Abtei Wadgassen. Er ist ein exzellenter Kenner der Heimatgeschichte und war sofort Feuer und Flamme, als er hörte, dass es im Kloster noch historische Schätze zur Abtei Wadgassen zu heben galt.
Sie durften im Prager Kloster die Schriftstücke einsehen, sogar fotografieren und inventarisieren. „Wir konnten zwei Tage lang nach Herzenslust darin stöbern. Das war schon ein besonderer Moment, wenn man zum Beispiel so ein Siegel von König Stanislaus I. Leszczynski, Herzog von Lothringen, in den Händen hält. Wir haben nun wichtige historisch-interessante Dokumente, die in den nächsten Jahren sicherlich viele neue Erkenntnisse zur Abtei Wadgassen und zur saarländisch-lothringischen Geschichte zutage fördern werden. Auch bei einer persönlichen Führung durch die weltberühmten Bibliotheken von Strahov durfte unsere Reisegesellschaft ganz nah an die alten Schriften heran, wo die Besucher üblicherweise gerade mal einen Blick durch die Tür in den Saal werfen dürfen!"
Der Höhepunkt der Pragreise war für Bernd Hartmann jedoch der ergreifende Gedenkgottesdienst zu Ehren von Abt Bordier und Ordensgründer Norbert von Xanten im Kloster Strahov. „Abt Daniel Janácek vom Kloster Strahov und Pastor Peter Leick zelebrierten die Messe und Pfarrer Prof. Dr. Joachim Conrad hielt die Festpredigt. Hierbei wurde uns eine Reliquie mit winzigen Resten der Gebeine des Heiligen Norbert übergeben. Ein entsprechender Antrag wurde vom Trierer Bischof Stephan Ackermann schnell und unbürokratisch befürwortet und umgesetzt. Diese Reliquie wird nun in der katholischen Kirche Maria Heimsuchung in einer kleinen Monstranz aufbewahrt und dient der Verehrung und dem Segen in den Gottesdiensten. Damit ist der heilige Norbert als Fürsprecher im Ort leibhaftig präsent", empfindet auch Bernd Hartmann. Mit einem Festgottesdienst am 26. Januar 2020 soll die Reliquie in der Pfarrei eingeführt und allen Gläubigen feierlich vorgestellt werden. Die historischen Forschungen von Bernd Hartmann, die bei einem Spaziergang im Wadgasser Wald begannen, finden somit einen glanzvollen Abschluss.
Glanzvoller Abschluss mit einer Reliquie
Und ein Teil der Fragen um den Ritter Reiner von Werdorf konnte bereits in Prag geklärt werden: Er wurde 1219 der fünfte Abt (Reinerus) im Kloster Wadgassen (bis 1260). Das übersetzte Reinhold Hager aus einer in Latein verfassten Chronik (Syllabus) über die Abtei Wadgassen direkt im Archiv Strahov. „Und das bestärkt auch meine These, dass die Schenkung 1214 von Ritter Reiner und sein Eintritt in den Konvent, eine ‚Strategische Schenkung‘, nach dem Willen von Graf Simon III. von Saarbrücken war", berichtet Bernd Hartmann nicht ohne Stolz. Man darf gespannt sein, was sich aus dem neuesten Forschungsobjekt des umtriebigen Hobbyforschers ergibt. Gerade besuchte er im Schloss von Bad Mergentheim die sehenswerte Jubiläumsausstellung „Der Deutsche Orden im Südwesten", wobei seine Recherchen wieder einen Zusammenhang zum Graf Simon III., einer Kommende (Verwaltungseinheit; Anm. d Red.) des Ordens in Saarbrücken, Abt Reiner von Wadgassen und der Martinskirche im Köllertal vermuten lassen.