Seit Hasan Ismaik als Gesellschafter beim TSV 1860 München eingestiegen ist, kommt der Club nicht mehr zur Ruhe. Machtkämpfe und Missverständnisse prägen den Verein. Jüngstes Opfer: der entnervt zurückgetretene Trainer Daniel Bierofka.
Auf manche Dinge ist einfach Verlass. Am 1. Januar beginnt das neue Jahr, im Osten geht die Sonne auf – und beim TSV 1860 München wird eifrig gestritten. Denn während der FC Bayern zuverlässig Titel um Titel sammelt, stellen sich die „Löwen" immer wieder selbst ein Bein. Jüngstes Opfer des ständigen Gerangels um Macht und Einfluss ist Daniel Bierofka, mittlerweile nur noch Ex-Trainer des chronisch aufgeregten Traditionsclubs aus der bayerischen Landeshauptstadt. Entnervt verkündete der langjährige Bundesligaprofi Anfang November seinen Rücktritt, nachdem im Fachmagazin „Kicker" Zweifel an Bierofkas Arbeit laut wurden. Dort wurde vorgeblich aus dem Kreis der Mannschaft zitiert, dass es Bierofka in taktischen Fragen an einem Plan B fehle und seine Belastungssteuerung im Training nicht optimal sei. Doch stammten diese Indiskretionen wirklich von Spielern, bei denen der Coach überaus beliebt war? Bierofka bezweifelt das: „Das kommt nicht aus der Mannschaft. Es kommt aus dem inneren Kreis." Sein Verdacht: Präsident Robert Reisinger und Geschäftsführer Günther Gorenzel wollten ihn aus machtpolitischem Kalkül loswerden und sich damit gegenüber dem streitbaren Investor Hasan Ismaik positionieren. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, Ismaik habe dem Trainer für den Geschmack der Vereinsführung zu nahe gestanden.
So hatten Reisinger und Gorenzel Bierofkas Gehalt thematisiert und suggeriert, es sei für die Verhältnisse in der 3. Liga und einen klammen Verein wie 1860 außerordentlich gut dotiert. Zudem veröffentlichte das Präsidium im September eine Erklärung unter der Überschrift „Häufig gestellte Fragen zum Profifußball". Darin hieß es zur Frage „Was ist, wenn Daniel Bierofka keine Lust mehr auf das Traineramt hat?" etwas provokant: „Der TSV 1860 München hat vor Daniel Bierofka existiert und er wird es auch nach ihm tun." Nadelstiche für Bierofkas sensibles Gemüt. Die Indiskretionen und Intrigen trafen ihn tief, sodass es letztlich zum Knall kommen musste. Einen Knall, den nicht nur Angreifer Sascha Mölders zutiefst bedauert. Für den ehemaligen Augsburger ist des Trainers Abschied „das schlimmste Szenario, das passieren kann". Offenbar hatten das nach Bierofkas von Tränen begleitetem Abgang auch die mächtigen Männer des Vereins verstanden. Zumindest wählten sie in der entsprechenden Pressemitteilung ausnehmend warme Worte. Bierofka war demnach „ein unglaublicher Fachmann an der Linie" (Gorenzel), „das Gesicht des Vereins" (Reisinger) und der „Anker für das taumelnde Schiff" gewesen (Michael Scharold, Geschäftsführer Finanzen).
„Das schlimmste Szenario, das passieren kann"
In der Tat war Bierofka mehr als nur ein Trainer für den gebeutelten Club. Nach dem Abstieg aus der 2. Liga und der anschließenden Lizenzverweigerung für die 3. Liga vor zweieinhalb Jahren war der gebürtige Münchner das Gesicht des Wiederaufbaus im Stadtteil Giesing. Die von ihm eilig zusammengestellte Mannschaft funktionierte von Anfang an und machte den erstmaligen Absturz in die Viertklassigkeit einigermaßen erträglich. Zudem waren zahlreiche Fans vom Umzug in das geliebte Stadion an der Grünwalder Straße wie elektrisiert. Schließlich hatten die Jahre in der spärlich gefüllten Allianz Arena als Untermieter des FC Bayern das Selbstwertgefühl des Meisters von 1966 nachhaltig erschüttert. Eine spürbare Euphorie erfasste nun die Löwen, gekrönt vom umgehenden Aufstieg in die 3. Liga und dem anschließenden Klassenverbleib.
Eine gute Grundlage für etwas Ruhe im Verein? Mitnichten. Schließlich umgibt den Klub seit 2011 ein Spannungsfeld aus Missverständnissen, Machtkämpfen und Eitelkeiten. Denn in jenem Jahr stieg ein junger Geschäftsmann namens Hasan Ismaik bei den Löwen ein. Der Club war damals finanziell ausgezehrt von den immer wieder gescheiterten Versuchen, in die Bundesliga zurückzukehren und stand kurz vor der Insolvenz. Er brauchte dringend Geld und eine Vision und hatte kaum noch eine andere Chance, als sich mit dem Jordanier zu einigen. Ismaik wiederum wollte sich im Prestige des europäischen Fußballs sonnen, sprach von einem neuen Stadion und der Champions League und präsentierte sich mit viel Pathos: „Löwen schlafen sehr lange, aber wenn sie wach sind, sind sie unbesiegbar. Diese Löwen haben jetzt lange genug geschlafen. Es wird Zeit, dass wir wach werden." Letztlich kam so zusammen, was bis heute nicht zusammengehört. Für 18,4 Millionen Euro sicherte sich Ismaik 60 Prozent der 1860 München KGaA. Laut eigenen Angaben hat er seit dem schicksalhaften Sommer 2011 mehr als 70 Millionen Euro in den Club gesteckt.
Wovon Ismaik allerdings gar nichts wusste, war die sogenannte 50+1-Regel. Demnach muss die Stimmenmehrheit stets beim Stammverein, in diesem Fall dem TSV 1860 München e.V., verbleiben. So soll der Einstieg verantwortungsloser Investoren eingeschränkt werden. Aber investieren ohne Entscheidungsgewalt? Für Ismaik ein untragbarer Zustand, auf den er in vielen seiner wirren Facebooktiraden schimpfte. Ein Verkauf seiner Anteile kommt für ihn aber nicht infrage. Dem Bayerischen Rundfunk gegenüber erklärte er, aufgeben gebe es bei ihm nicht und ergänzte: „Wenn mir jemand etwas bieten sollte, dann muss es ein Angebot sein, das dem Verein auch eine Perspektive gibt. Und so ein Angebot gab es bislang noch nicht."
Wer schüttet die Gräben zu?
Die Situation ist nach wie vor komplex. Die Löwen brauchen das Geld von Ismaik, wollen ihn aber von den Entscheidungsstrukturen fernhalten. Mit den Verantwortungsträgern des e.V. lag und liegt Ismaik Zeit seines Investments über Kreuz, den aktuellen Präsidenten Reisinger hat er noch nie persönlich getroffen. Auch die Fans sind sich uneins über den Mann, an dessen Tropf ihr Club hängt, und bezeugen die Spaltung auch auf den Tribünen des Stadions. Der Fanclub-Dachverband Arge hat sich auf die Seite Ismaiks geschlagen und hofft, mit dessen Geld wieder nach Höherem streben zu können. Die Gruppe Pro1860 lehnt den Investor indes offen ab und besingt das auch überdeutlich mit dem sogenannten „Scheich-Lied". Dort heißt es „Scheiß auf den Scheich, scheiß auf sein Geld". Weil sich Reisinger von diesem Text nicht öffentlich distanzieren wollte, unterstellte Ismaik der Clubführung sogar, Rassisten zu sein. Auch Pro1860 bekommt von Ismaik ihr Fett weg. In der „Sport Bild" erklärte der 43-Jährige: „Der Vergleich ist weit hergeholt, aber trifft zu: Es ist nämlich wie damals zwischen West- und Ostdeutschland, bezogen auf die Systeme. Die Bayern-Fans sind weltoffen, wollen weit hinaus. Unsere Fans sind verschlossen, leben in einem kleinen Kosmos und haben Angst vor Veränderungen. Es ist wie eine Münchner Mauer."
Tiefe Gräben, die Daniel Bierofka lange zu überbrücken wusste. Seit 2007 war er im Verein, zunächst als Spieler, später als Trainer. Für die „Süddeutsche Zeitung" war er „der Kitt des Klubs, weil ihm sein Herz für 60 alle abnahmen, die Unterstützer von Reisinger ebenso wie die Ismaik-Getreuen, die Freunde des Grünwalder Stadions ebenso wie die Anhänger aus dem Bayerischen Wald." Nach dem emotionalen Rücktritt („Es ging einfach nicht mehr. Ich kann nicht mehr zurück") versuchte Ismaik sogar noch, Bierofka umzustimmen. „Leider war er in seiner Entscheidung nicht mehr umzustimmen" hieß es auf Twitter, ehe der Investor wieder Richtung e.V. zielte: „Das Ausscheiden von Bierofka müssen die Menschen verantworten, die ihn seit dem Aufstieg in die 3. Liga ohne Rücksicht auf Verluste hinterhältig bekämpft haben. Für mich aber geht Daniel Bierofka als großer Held."
Vorwürfe, die Reisinger und Gorenzel nicht auf sich sitzen lassen wollen. Gegenüber dem „Spiegel" erklärten sie, dass „durch das Präsidium kein Mitarbeiter gemobbt oder diskreditiert" wurde. Zum Vorwurf, den „Kicker" mit Indiskretionen versorgt zu haben, kann der Präsident an selber Stelle „hundertprozentig ausschließen, dass das Präsidium mit dem Autor des Artikels in Kontakt stand". Letztlich bleibt so der Rücktritt eines Trainers, der eigentlich niemandem nützt und den TSV 1860 München einmal mehr kopfüber ins Chaos stürzt. Auf manche Dinge ist eben Verlass.